taz-Serie: Die Reichsbürger (Teil 1): Willkommen im Deutschen Reich

Spinner, Rechte oder Abgehängte? Wieso Menschen die Bundesrepublik anzweifeln. Erkundungen in Milieus, in denen Demokratie erodiert.

Das Brandenburger Tor in Potsdam vor bewölktem Himmel

Ein bisschen preußischer Glamour zur rassistische Haltung – das Brandenburger Tor in Potsdam Foto: imago/Jürgen Schwarz

BERLIN/POTSDAM/WITTENBURG taz | Die Dämmerung hat den Marktplatz, von dem der Wandel ausgehen soll, schon halb verschluckt. Rüdiger Hoffmann hat seinen Kombi direkt vor dem Rathaus geparkt und die mitgebrachten Banner ausgeladen. „Es reicht!“, steht darauf. „Raus aus der Diktatur.“

Wittenburg, ein Ort in Mecklenburg-Vorpommern. Ein kalter Wind hechelt um die Fachwerkhäuser. Hoffmann, ein unauffälliger Typ mit Brille und kurzen grauen Haaren, zieht seine Jacke um sich. Hinter ihm im Halblicht zeichnen sich die Silhouetten von einem Dutzend Leuten ab. „Hier stimmt etwas nicht. Immer mehr Menschen stellen Fragen“, sagt er. „Wieso ändert sich nichts? Wieso haben wir immer weniger Geld? Und immer mehr Probleme?“

Wie er es sieht, kommt langsam eine Wahrheit ans Licht, die lange unterdrückt worden ist: Dass es die Bundesrepublik nicht gibt, sondern nur ein dubioses Firmengeflecht, das sich als Staat tarnt. Und weil er so denkt, soll er ein Reichsbürger sein? Er fährt hoch, seine Stimme wird laut: „Bei den Leuten, die wirklich Fragen stellen, da wird gesagt: Das sind Reichsbürger. So etwas nennt man nationalsozialistisches Vorgehen. Weil man im Dritten Reich genauso die Juden angegangen ist.“

Schießereien in Bayern

Die kleine Kundgebung in Wittenburg ist ein Anzeichen dafür, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist. Denn es geht in dieser Geschichte nicht nur um ein paar Eigenbrötler mit absurden Thesen, sondern um die Frage, warum die Ideologie der Reichsbürger verfängt. Der Begriff bündelt eine Vielzahl von Gruppen, die nur eins gemeinsam haben: die Überzeugung, dass das Deutsche Reich bis heute existiert, weil die Bundesrepublik kein legitimer Staat ist.

Zweimal innerhalb weniger Monate ist es zu Schießereien zwischen Reichsbürgern und Polizisten gekommen. Die Radikalität am Rand der Szene ist deutlich gewachsen, zugleich breitet sich ihre Ideologie immer stärker aus. Was sagt es aus, dass sich mehr und mehr Menschen aus der Bundesrepublik abmelden?Teil 4 nächste Woche: Der Aussteiger – wie einer zwischen Reichsbürger-Ideologie und Behördendruck fast unter die Räder geriet. Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2.

Gerade erst machte die bisher gravierendste Konfrontation zwischen ihnen und dem Staat Schlagzeilen: Ein Sportschütze, der auf seinem Grundstück in Bayern seinen eigenen Staat ausgerufen hatte, eröffnete das Feuer, als die Polizei seine Waffen beschlagnahmen wollte. Ein Polizist starb, drei wurden verletzt. Erst im August kam es in Sachsen-Anhalt zu einer Schießerei, weil sich ein Reichsbürger bei einer Zwangsräumung gegen die Polizei Wehr setzte.

Michael Hüllen, Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in Brandenburg, läuft durch die Flure des Innenministeriums in Potsdam, tippt einen Code in das Zahlenfeld einer Tür, das Schloss öffnet sich mit leisem Klick. Dann lässt er sich in einem engen Besprechungsraum nieder. „Reichsbürger alleine sind lästig“, sagt er, „aber wenn sie als Gruppe auftreten, werden sie oft hochaggressiv.“

Die Radikalität nimmt zu

Rund 300 von ihnen soll es in Brandenburg geben, hat der Verfassungsschutz ermittelt. Aber längst nicht jeder ist den Behörden bekannt. „Das Spektrum geht relativ weit“, sagt Hüllen, „und am Rand gibt es Leute, wo wir denken: Da kann was passieren.“ Die Radikalität der Szene nehme seit Jahren zu. Was ihm Sorgen macht, ist, dass die Ideologie in die Mitte der Gesellschaft einsickert: Er nennt die Reichsbürger ein „Zwischenspektrum“, das auf der einen Seite Normalbürger zu sich zieht, die das Vertrauen in den Staat verloren haben, und auf der anderen Anknüpfungspunkte für Neonazis bietet.

Thomas Patzlaff, Selbstverwalter

„Der Staat ist eine Fremdverwaltung, die uns verarscht. Weiter nichts“

Seit Längerem schon versucht Hüllen, die diffusen Strukturen des Milieus zu erfassen; er schaltet sein Laptop ein, ein Diagramm erscheint: Da sind die revisionistischen Gruppen, die im Rechtsextremismus wurzeln. Da sind regionale, unstrukturierte Milieus, Querulanten, gescheiterte Existenzen. Und da sind Milieumanager, die aktiv versuchen, den Staat zu destabilisieren. Unter dem Begriff erscheint auf dem Display ein Bild von Rüdiger Hoffmann.

Auf dem Marktplatz von Wittenburg wird es allmählich spät; Hoffmann spricht schnell, seine Gedanken springen wie Pingpongbälle von Thema zu Thema, von der Freimaurersymbolik auf den Euro-Scheinen zum Krieg in Syrien und der Ukraine. „Wir wollen in Frieden leben“, sagt er, „wir wollen unsere Heimat wiederhaben.“ Hoffmann war in den 90ern als Kreisvorsitzender in der NPD aktiv. Er wurde verführt, sagt er heute. In seinem Koordinatensystem ist es umgekehrt: Nicht er ist der Nazi. Deutschland setze die faschistischen Gesetze Hitlers fort.

Ein Mann zwischen Fahnen

Der Kampf gegen die Bundesrepublik ist seine Mission: Rüdiger Hoffmann in Wittenburg, 2016 Foto: Gabriela Keller

Seine Anhänger vergraben die Hände tief in den Taschen; ab und an glimmt eine Zigarette. Im Internet gibt es eine Fülle von Videoclips, die zeigen, wie Reichsbürger Mitarbeiter in Finanz- oder Bürgerämtern massiv bedrängen. Wenn man Hoffmann danach fragt, schüttelt er den Kopf. „Das geht nicht“, sagt er. „Das verletzt die Menschen.“

„Das ist destruktiv“

Hoffmann sagt, weder er noch einer seiner Leute sei den Mitarbeitern der Stadt gegenüber je laut geworden. Bürgermeisterin Margret Seemann erzählt etwas anderes: „Die sind an Tagen in die Stadtverwaltung gekommen, an denen es keine Sprechzeiten gibt, gingen von Büro zu Büro. Einige wurden ausfällig.“ Sie hat Hausverbote erteilt, ihre Mitarbeiter fühlten sich bedroht. Sie selbst wurde von Hoffmann angezeigt, wegen Hochverrats und des Einschleusens von Flüchtlingen. „Wir kümmern uns um die Anliegen der Bürger“, sagt sie, „aber das sind keine normalen Anliegen, das ist destruktiv.“

Mit Reichsbürgern sprechen heißt, ihnen in ein Labyrinth zu folgen, in dem hinter jeder Biegung immer neue, bizarre Wendungen liegen. Historische Versatzstücke, politische Mythen und antisemitischen Theorien greifen ineinander. Wenn es den Staat nicht gibt, muss jemand anders die Fäden ziehen, und das sind meist das US-Finanzkapital oder Geheimlogen – Chiffren für das „Weltjudentum“.

Durch die Säulen des Brandenburger Tors in Potsdam treten zwei Männer in Anzügen, sie steuern im Touristenstrom auf ein Café zu. Thomas Mann und Bernd Weber sind Mitglieder der administrativen Regierung des „Freistaats Preußen“ – einer bundesweiten Gruppierung, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird.

In den Grenzen von 1914

Seit der Schießerei in Bayern stehen sie unter Druck: „Jetzt macht man eine generelle Hexenjagd auf unterschiedliche Gruppen, zusammengefasst und bezeichnet als Reichsbürger“, sagt Thomas Mann. „Dieser Vorgang ähnelt einer Zeit, da hat man Menschen stigmatisiert, indem man ihnen Sterne anheftete.“ Die zwei suchen sich einen abgelegenen Tisch. Das Reden übernimmt Mann, Weber sitzt still daneben. Es ist ihm wichtig, einige Dinge zurechtzurücken. Er lehne die Bundesrepublik nicht ab – aber man müsse sehen, was sie sei: „Eine Nichtregierungsorganisation. Eine auf Basis des Grundgesetzes von den Alliierten eingesetzte Verwaltung.“

Mann war früher bei der Bundeswehr, heute arbeitet er als Heilpraktiker. Er trägt Sakko und Krawattennadel, spricht in ruhigen, sortierten Sätzen. Aber wenn man seine Thesen anzweifelt, wird seine Stimme plötzlich kalt: „Wir machen das nicht, weil wir einen Kegelclub gründen wollten. Wir reden hier von völkerrechtlichen Fakten.“

Mann sieht sich und seine Mitstreiter als Verwalter eines neuen, besseren Deutschland. Seinen Personalausweis hat er abgegeben, er führt die Papiere mit sich, die der „Freistaat Preußen“ verkauft. „Das Deutsche Reich ist, wie vom Bundesverfassungsgericht bestätigt, nicht untergegangen, sondern durch die Alliierten handlungsunfähig gestellt worden.“ Das Deutsche Reich in den Grenzen von 1914, inklusive der einstigen Ostgebiete. Über Revisionismus wolle er nicht reden, „weil die Geschichte wird immer von den Siegermächten geschrieben“.

Der Selbstverwalter

Er lehnt sich zurück, sein Kaffee auf dem Tisch ist kalt geworden. „Wir haben ein Rechtssystem, das Willkür übt und ein politisches System, das Lobbyinteressen durchsetzt“, sagt er. „Deswegen kommen die Leute zu uns und fragen: Habt ihr etwas Besseres anzubieten?“

Viele, bei denen die Ideologie der Reichsbürger Gehör findet, sind in finanziellen Nöten. Oft fängt es damit an, dass sie die Zahlung von Steuern und Bußgeldern verweigern. In einer ruhigen Straße in Berlin-Wedding öffnet ein hochgewachsener Mann mit zerfurchtem Gesicht die Tür, auf seinem Briefkasten kleben Aufkleber: „Selbstverwaltung Thomas Patzlaff.“

Patzlaff, ein Langzeitarbeitsloser, 59 Jahre, hat vor ein paar Jahren den „Runden Tisch“ organisiert, ein Treffen Gleichgesinnter. „Wir wurden infiltriert und sabotiert“, sagt er. Heute betreibt er ihn nur noch als Internetplattform. Er sitzt auf seiner verblichenen Polstergarnitur, trinkt Filterkaffee wie Sprudelwasser. „Der Staat ist offenkundig eine Fremdverwaltung, die uns verarscht. Weiter nichts.“

Zu DDR-Zeiten arbeitete er als Elektriker, aber in dem Betrieb eckte er ständig an. Später versuchte er sich als Selbstständiger in der Gastronomie, auch das klappte nicht. Patzlaff zündet sich eine Zigarette an, starrt in den Rauch. Vor über zehn Jahren zeigte ihm ein Bekannter einen selbstgebastelten Reichs-Ausweis, da dachte er sich: „Das ist ja spannend.“ Er suchte Kontakte in dem Milieu, durchforstete Archive, stöberte im Internet. „Ich habe mir die Gesetze angeguckt und festgestellt, dass ein großer Teil davon nichtig ist“, sagt er. „Ich bin dann in den Widerstand gegangen.“

Patzlaff sieht müde aus, der ständige Ärger zehrt an ihm, die Gerichtsvollzieher, die Inkasso-Verfahren. Immer wenn es an seiner Tür klingelt, fährt ihm der Schrecken in die Knochen. „Die kommen immer wieder“, sagt er, „Ich belehre die, aber das wird ignoriert.“ Letztlich hält ihn nur noch der Glaube aufrecht, dass er den politischen Umbruch in Deutschland noch mitkriegen wird: „Ich hoffe, dass das noch zu meinen Lebzeiten passiert. Dass ein echter Rechtsstaat entsteht.“ Dann erst könne es endlich wieder aufwärtsgehen. Mit ihm und mit allem anderen.

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