taz-Serie: Die Reichsbürger (Teil 3): Der Mann im Teufelsmoor

Jo Conrad ist der Talkmaster der Reichsbürger. Bei Bewusst.tv gibt es keine Gewissheiten, nur Mythen und Spirituelles. Dem Publikum gefällt's.

Jo Conrad neben gelb gefärbtem Laub

Naturbursche und Verschwörungsideologe – Jo Conrad Foto: Gabriela Keller

WORPSWEDE/BERLIN taz | Jeder Schritt führt weg aus der Wirklichkeit, mit jedem Meter nimmt eine Parallelwelt Form an, in der nichts ist, wie es scheint. Ein hochgewachsener Mann, Asketengesicht, 58 Jahre, flaniert ins Teufelsmoor. Er hält inne. Ein klarer Himmel spannt sich über Wiesen, Marschen und Bäume, die wirken wie hineinaquarelliert in dieses braungrüne Stillleben. Jo Conrad hat diesen Ort ausgesucht, um sich als naturverbundener Denker in Szene zu setzen. Er sagt, es müsse doch erlaubt sein, Fragen zu stellen. Gibt es kosmische Gesetze? Gibt es Außerirdische? Gibt es HIV? Ist die Bundesrepublik ein Staat? Für ihn hängt das alles zusammen, Ufos und Chemtrails, die Lügen der Pharmaindustrie, der 11. September.

Denn wenn wir manipuliert werden, wer weiß dann, was wirklich ist und was nicht? „Man kann einzelne Themen nur begreifen, wenn man sieht, dass hinter den offensichtlichen Strukturen noch andere Strukturen sind“, sagt er. Das Fragenstellen ist sozusagen Conrads Geschäftsmodell. Er kann davon leben, „bescheiden“, wie er sagt. Er hat Bestseller geschrieben.

Jo Conrad zählt zu den führenden Verschwörungstheoretikern in Deutschland. Zum harten Kern der Reichsbürger gehört er nicht. Anders als die Vordenker des Milieus konstruiert er keine juristischen Fiktionen, er überschüttet seine Zuhörer nicht mit vermeintlichen völkerrechtlichen Belegen, dass die Bundesrepublik gar nicht existiere. Es gibt unter den Reichsbürgern zahllose Gruppen, die Szene ist atomisiert und zerstritten. Aber alle nutzen alternative Medienangebote. Jo Conrad betreibt den Onlinekanal Bewusst.tv. Dort waren alle namhaften Vertreter zu Gast, Staatenlose, Selbstverwalter, selbsternannte Könige, Reichskanzler.

Das Wort „Reichsbürger“ lehnt er ab. „Ich würde eher sagen, es ist eine Souveränitätsbewegung. Menschen suchen nach gesetzlichen Grundlagen und gucken: Wo findet Entrechtung statt? Und wie kann man sie rückgängig machen?“ Er schreitet an einem Fluss entlang, Hände in den Taschen, Laub raschelt. Auf seiner Website stehen mehr als 600 Folgen Bewusst.tv; stets ist die gleiche Kulisse zu sehen, ein Studio mit blauen Wänden, zwei rote Sessel, ein runder Tisch. Dort empfängt er Wunderheiler, Ufologen, Weltverschwörungsideologen. An diesem Tag aber will er es nicht zeigen. Stattdessen also das Teufelsmoor.

Systemhörigkeit und Misstrauen

Conrad ist misstrauisch. Während des Gesprächs lässt er ein Band mitlaufen. „Die Medienlandschaft ist heute weitgehend systemhörig“, sagt er, „wirkliche Kritik kommt nur von Nichtetablierten.“ Also von Menschen wie ihm. Deutschland, sagt er, bewege sich in Richtung einer von Machtinteressen bestimmten Gesinnungsdiktatur. „Die Medien benutzen den Begriff Reichsbürger, der eine Schubladen-Wirkung haben soll, damit sich keiner intensiver damit befasst.“ Dies sei umso deutlicher geworden, als ein Anhänger des Milieus vor wenigen Wochen in Bayern das Feuer auf ein SEK-Kommando eröffnete und einen Polizisten erschoss. Conrad fragt: Ist er wirklich tot? Wie sicher ist das, was geschehen ist?

Wer sich mit Conrad unterhält, fühlt sich wie nach einem Sturz durch einen Kaninchenbau in ein Land, wo es keine Gewissheiten gibt, sondern nur noch politische Mythen, spirituelle Bruchstücke und Neuzeit-Legenden. Gerade deswegen spiele er für das Milieu der Reichsbürger eine Schlüsselrolle, sagt Jan Rathje, Mitarbeiter der Amadeu Antonio Stiftung, Autor der Broschüre „Wir sind wieder da. Die ,Reichsbürger' “. Rathje sagt: „Jo Conrad stellt mit seinen Sendungen bei Bewusst.tv eine Plattform bereit, auf der er wirklich jeden zu Wort kommen lässt. Damit schlägt innerhalb des Milieus eine Brücke zwischen Reichsideologen, Esoterikern und anderen Verschwörungsideologen.“

Für Jo Conrad hängt alles zusammen, Ufos, Chemtrails, der 11. September

Conrad stamme aus der rechtsesoterischen Szene, arbeite mit Holocaust-Leugnern zusammen und trage zum Transfer antisemitischer Inhalte bei. „Er verkauft sich als open-minded, aber er ist das Gegenteil eines kritischen Geistes, weil er auch widersprüchlichen Aussagen seiner Gäste zustimmt, wenn sie in sein antisemitisches Weltverschwörungsbild passen.“

Juden und ihre „Wirtsländer“

Auch die Hamburger Innenbehörde hat Conrad in der Broschüre „Brennpunkt Esoterik“ vorgeworfen, mit „antisemitischen Klischees“ zu argumentieren. Er beziehe sich in seinen Büchern auf die „Protokolle der Weisen von Zion“, eine antisemitische Fälschung, an einer Stelle sei vom Einfluss der Juden auf ihre „Wirtsländer“ die Rede.

Spricht man Conrad darauf an, verschließt sich sein Gesicht. „Laut Voltaire bedeutet Meinungsfreiheit, das Recht zu haben, auch Meinungen äußern zu dürfen, die man selber ablehnt und verabscheut“, sagt er. Mit dem Vorwurf Antisemitismus werde jeder Dialog blockiert. „Eine differenzierte Auseinandersetzung ist dann nicht mehr möglich.“

Zweimal innerhalb weniger Monate ist es zu Schießereien zwischen Reichsbürgern und Polizisten gekommen. Die Radikalität am Rand der Szene ist deutlich gewachsen, zugleich breitet sich ihre Ideologie immer stärker aus. Was sagt es aus, dass sich mehr und mehr Menschen aus der Bundesrepublik abmelden?Teil 4 nächste Woche: Der Aussteiger – wie einer zwischen Reichsbürger-Ideologie und Behördendruck fast unter die Räder geriet. Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2.

Er kommt an einem Bootssteg vorbei, schweigt eine Weile und lauscht seinen Worten nach. Hinter ihm rumort ein Gärtner mit einem Laubsauger; sonst regt sich nichts. Jo, eigentlich Johannes Conrad verließ die Schule ohne Abschluss, fing eine Ausbildung als Fotograf an, brach sie ab. Zehn Jahre lang machte er Fotos für Kalender, fuhr Taxi, komponierte. Im Offenen Kanal Bremen moderierte er eine Show. Bewusst.tv hat er 2010 gegründet.

Die Kritik driftet ab

Jo Conrad ist kein Wirrkopf; er spricht mit ruhiger Stimme, ohne große Gesten. Mitunter scheint das, was er sagt, gar nicht unvernünftig: Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um zu finden, dass der Einfluss von Wirtschaftslobbyisten zu groß ist. Aber dann driftet er in Bereiche, die klingen wie der Stoff für Wühltisch-Literatur: Außerirdische haben die Menschheit unterwandert, Aids ist eine Erfindung der Pharmaindustrie, Flugzeuge versprühen Gifte. Und im Hintergrund agieren Geheimlogen, die nach Weltherrschaft streben. „Uns wird vorgespiegelt, dass wir eine freiheitlich-demokratische Grundordnung haben. Das ist eine Farce, wenn man sieht, wie Interessengruppen ihre Machtspiele vorantreiben.“

Einen sogenannten Reichsbürger hat das Amtsgericht im niedersächsischen Winsen zu einer Haftstrafe von vier Monaten auf Bewährung verurteilt. Außerdem muss der 47-Jährige 250 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten, wie eine Gerichtssprecherin am Donnerstag mitteilte. Der Mann hatte in einem Verfahren gegen ihn eingeräumt, heimlich Tonbandaufnahmen von Gesprächen mit Justizmitarbeitern gemacht und auf Youtube veröffentlicht zu haben. Er berief sich dabei laut Gericht auf sein angebliches Widerstandsrecht nach dem Grundgesetz. (dpa)

Ist das noch Kapitalismuskritik oder schon esoterische Phantasterei? Oft ist nicht ganz durchsichtig, wo Conrad steht. Fest steht nur, dass er viel Zustimmung findet. Sein Buch „Entwirrungen“ ist in zehnter Auflage erschienen. Die Bewusst.tv-Sendungen erreichen auf YouTube 30.000, 40.000 Klicks. Fangruppen haben sich formiert, „Bewusst-Treffs“, in Baden-Baden, in Wuppertal, sogar auf Bali. „Ich sage nicht: Ich hab die Wahrheit gepachtet“, sagt Conrad, „sondern ich suche sie und hinterfrage alles.“

Damit steht er auch für den Umbruch, der die gesamten Medien erfasst hat: Noch nie waren so viele Informationen verfügbar wie heute, noch nie hatten so viele Menschen die Möglichkeit, zu verbreiten, was sie für wahr halten. Im Internet rivalisieren Fernsehkanäle, Blogs und Foren; jeder kann Quellen finden, die seine Weltsicht bestätigen.

„Man ist ein normaler Mensch, der Antworten will“

Wer wissen will, warum mancher lieber Bewusst.tv guckt als die ARD-Nachrichten, kann Hanne Feibig fragen. „Jo lässt auch Leute zu Wort kommen, die bei den öffentlich-rechtlichen Medien nicht berücksichtigt werden“, sagt sie, „ich habe dann die Möglichkeit, mir eine eigene Meinung zu bilden.“ Im Fernsehen dagegen würden Fakten zurechtgedreht; Raum für kritische Stimmen gebe es nicht. Feibig sitzt in einem Restaurant in einer ruhigen Siedlung in Berlin-Schönefeld, trägt dicken Silberschmuck und viel Kajal um die Augen. Auf ihrem Handy steht: „Look at the Sky. Stop Chemtrails.“

Sie wuchs in der DDR auf, hat früher eine Gaststätte, dann ein Kosmetikstudio geführt; heute stockt sie ihre Witwenrente mit Hartz IV auf. „Man ist ein normaler Mensch, der einfach Antworten will“, sagt sie; aber gerade damit ecke man überall an. Hanne Feibig informiert sich schon seit Längerem nur noch in alternativen Medien, Bewusst.tv schaut sie nicht immer, aber regelmäßig: „Was mich bei Jo anspricht, ist seine Natürlichkeit.“ Er verhaspele sich auch mal und trete seinen Gästen ohne persönliche Wertung gegenüber. „Das ist, was einem den Eindruck gibt, dass er völlig authentisch nach Informationen sucht.“

Am späten Nachmittag kommt Wind über dem Teufelsmoor auf; die Sonne wird schwächer. Jo Conrad setzt sich in sein Auto und steuert ein Café in Worpswede an. Über Apfelkuchen und Kaffee sammelt er seine Gedanken. „Ich würde mir Politiker wünschen, die weise und liebevoll sind“, sagt er, aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Für ihn ist es daher kein Wunder, dass Menschen an der Legitimität der Bundesrepublik zweifeln: „Dass die Menschen gucken: Ist das ein Staat? Hat der hoheitliche Rechte? Das würden die ja gar nicht machen, wenn in diesem Land alles in Ordnung wäre.“

Ein basisdemokratisches Fürstentum

Als sich 2009 in einem baufälligen Schloss in Brandenburg das „Fürstentum Germania“ formierte, war auch er dabei. Die Minination zerstreute sich, als der Landkreis das Haus räumen ließ. Aber das Thema hat für ihn nicht an Bedeutung verloren, im Gegenteil: „Ich glaube, dass die Fehler im System immer deutlicher sichtbar werden.“ Conrad sagt, „Germania“ sollte Gegenentwurf sein, ein besseres Deutschland. Ein Phantasialand für Erwachsene

„Die Hoffnung war, dass man einen kleinen Bereich schafft, wo die Menschen souverän leben können, ohne drangsaliert zu werden. Dahinter stand der Wunsch, dass man basisdemokratisch entscheiden kann: Wie wollen wir leben?“ Auch das ist, wie vieles, was Conrad äußert, nur eine Frage.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.