Neues von der Frankfurter Buchmesse: Kein Ende der Gutenberg-Galaxis

Frankreich beflügelt die Fantasien der Buch-Branche im grundlegenden Umbruch. Ein erfreulich ungekünstelter Auftritt des Gastlandes.

hohes Regal mit vielen Büchern, an dem schemenhaft Menschen vorbeigehen

Zauber des seitlich dran Vorbeigehens: der Pavillon Frankreichs auf der Buchmesse 2017 Foto: dpa

Eine große Frau in einem roten Kostüm stand aufrecht und mit voller Körperspannung inmitten des Trubels vor der Halle 4.1 und schaute nach vorn. Sie machte nichts anderes. Sie stand nur und schaute, bestimmt zwei Minuten lang, während die anderen Besucher an ihr vorbeihetzten, auf ihren mobilen Endgeräten wischten, sich vor der Rolltreppe stauten, sich begrüßten, Blickkontakt suchten oder mieden, Promis entdeckten, Promis waren und kurz an einem Brötchen kauten.

Es gibt bestimmt intelligentere journalistische Darstellungsformen als einen Buchmessenbericht in Form eines schlendernden Ganges durch die Messehallen. Aber die Szene mit der Frau in Rot war schon mal ein gutes Bild. Für einen Moment schien es, als sei die Zeit angehalten. Und man sah sich um und realisierte, wie seltsam eigentlich und auch wie kostbar so eine Messe in Wirklichkeit ist. Das Besondere an ihr sind ja nicht die Menschen oben auf den Podien, sondern die vielen, vielen Menschen, die ihnen zuhören und nach Frankfurt kommen, um irgendwie in der Nähe der Bücher zu sein.

Ob der Buchmarkt in einer Krise ist, ist in Frankfurt ein vielbesprochenes Thema. Heinrich Riethmüller vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vermittelte offiziell eher den Eindruck: So wild sei das alles gar nicht. Diese Meinung hatte er eher exklusiv. Hinter vorgehaltener Hand – und der Diogenes-Verleger Philipp Keel auch öffentlich im FAZ-Interview – berichten viele Buchmenschen durchaus von schlechten Bilanzen. Wobei für die ernsthafte Literatur gerade das Wegbröckeln der mittleren Auflagen ein Problem ist. Man kann immer noch große Verkäufe landen – oder gleich einen Auflagenflop; der Raum dazwischen schrumpft.

Der schlendernde Blick

Inmitten dieses unglaublichen Trubels in Frankfurt sieht man aber auch, auf was für einem massiven Fundament von Interesse, Aufmerksamkeit und Leidenschaften die ganze Buchbranche sitzt.

Der schlendernde Blick, der Zauber des seitlich dran Vorbeigehens, den schon Max Goldt besang, ist vor allem aber auch die Realität auf der Messe. Eben gerade hat man sich noch Gedanken darüber gemacht, was der neu gestaltete Stand des Aufbau-Verlags bedeutet; er ist hell gehalten und strahlt eher eine gute Arbeitsatmosphäre als kuschelige Gemütlichkeit mit dir und deinem Buch aus. Dann saß da, um die Ecke, mit einem Mal Salman Rushdie an einem Tisch und signierte gejetlagt Bücher.

Eine Rolltreppe weiter gab es einen Roboter, der mit seinem Greifarm akkurat Texte schreiben konnte und womöglich die Zukunft des Buchdrucks darstellen sollte. Wieder etwas weiter war man tief drin in der Vergangenheit: Antiquitäten in Vitrinen. Ganz großartig die Stiche verschiedener Drachen in einem Band von 1657, der für 1.200 Euro zu haben war.

Derzeit weiß noch niemand, wie die Gutenberg-Galaxis einmal aussehen wird

In der Halle der ausländischen Verlage verströmte der Stand Kataloniens viel Wille zur Unabhängigkeit; er wirkte glatt größer und gewichtiger als der Stand Spaniens daneben. Und spätestens beim dritten Live-Interview mit dem Buchpreisgewinner Robert Menasse fiel einem auf, dass er jetzt vor allem politisch nach dem Stand der EU gefragt wird und nicht literarisch nach Machart und Textintention seines Romans „Hauptstadt“. Roman der Stunde nennt man so etwas.

Baudelaire, Macron und ein neuer europäischer Geist

Wechselnde Einsichten. Eindrücke in Hülle und Fülle. Die interessantesten Themen sind dann die, die sich aus der Summe dieser Gespräche und Szenen allmählich und sozusagen naturwüchsig entwickeln. Frankreich gehörte unbedingt zu diesen Themen. Dieser Gastlandauftritt hat nichts Künstliches und Gewolltes so wie manch anderer zuvor.

Anschwellendes Mitteilungsbedürfnis gab es auf den Partys und in den Messeständen darüber, dass die Literatur aus Frankreich derzeit offenbar wirklich sehr interessant ist. Fotos, auf denen man neben Michel Houelle­becq stand, zum Beispiel auf dem Messefest des Verlegers Joachim Unseld, wurden stolz herumgezeigt. Dass der Staatspräsident Macron nicht nur Baudelaire, sondern auch Walter Benjamins Interpretationen von Baudelaire studiert hat, wurde bestaunt. Dass wiederum Didier Eribon seinerseits nicht nur auf Macron schlecht zu sprechen ist, sondern auch auf die Wochenzeitung Die Zeit, die es gewagt hatte, kritische Anmerkungen zu Eribons neuem Buch zu drucken, ging von Mund zu Mund.

Und als beim Kritikerempfang des Suhrkamp Verlags die Autoren Éduard Louis, Annie Ernaux und Didier Eribon traut an einem Tisch zusammensaßen, bildete sich schnell ein leicht andächtiger Fankordon um den Tisch herum. Kurz, Frankreich beflügelte tatsächlich die intellektuellen Fantasien. Vielleicht ist ja doch etwas dran an einem neuen europäischen Geist auf einem deutsch-französischen Fundament.

Bäumchen wechsel dich

Ein leiseres, aber deutlich in der Branche wahrnehmbares Messethema sind die vielen Wechsel auf den Verleger- und Lektorenposten. Der bisherige Aufbau-Chef Gunnar Cynybulk wird Verleger bei Ullstein, deren bisherige Verlegerin Siv Bublitz wiederum Verlegerin beim Fischer Verlag wird. Der Lektor bei Kiepenheuer & Witsch, Olaf Petersenn, geht zu Piper, seinen Platz nimmt wiederum Jan Valk von Dumont ein. Die Lektorin Lina Muzur geht von Aufbau zu Hanser Berlin und noch manche Personalie mehr.

Das ist mehr als nur ein Austausch von Namen. An jeder dieser Personalie hängen Schicksale von Autoren und Büchern, auch von den Verlagen selbst. Man darf etwa davon ausgehen, dass die Krimis von Volker Kutscher bald nicht mehr bei Kiepenheuer & Witsch, sondern bei Piper erscheinen werden, und kann darüber spekulieren, dass Joachim Meyerhoff mit seinen autobiografischen Erinnerungsbüchern ihm folgen wird. Beide sind große Umsatzbringer.

Vielleicht ist diese Ansammlung von Personalien in den Programmleitungen der Verlage nur Zufall. Wahrscheinlicher ist, dass sie vor dem Hintergrund der Nervosität der Branche zu sehen sind.

Die E-Book-Revolution mag zwar ausgefallen sein; die Deutschen, da sind sich viele Gesprächspartner in Frankfurt sicher, wollen gedruckte Bücher in Händen halten. Aber dafür müssen sich die Verlage (und die Autoren) für jedes einzelne Buch auf eine komplizierte Mischkalkulation aus Print, E-Books, Lesungen und Buchpreisen einstellen. Und vielleicht wandelt sich inmitten dieser Transformation auch der Lektoren- und Programmleiterjob etwas weg vom Kern der einsamen Textarbeit im Büro hin zu einer eher kuratorischen Tätigkeit, bei der man sein Programmprofil nicht nur immer wieder herstellen, sondern auch inszenieren muss, inklusive Eventmanagement und Präsenz in den sozia­len Medien.

Darüber das Ende der Gutenberg-Galaxis auszurufen, ist Quatsch. Nur weiß eben noch niemand, wie sie einmal aussehen wird.

Langsame gründliche Transformation

Die Transformation in der Buchbranche insgesamt, auch diesen Gedanken kann man aus Frankfurt mitnehmen, vollzieht sich dabei ziemlich gründlich, vor allem aber auch ziemlich langsam. Und sie kann ja einfach auch gelingen. So wie beim Suhrkamp Verlag, deren große Dramen nach dem Tod der Verlegerlegende Siegfried Unseld inklusive Gerichtsprozessen und seelischen Abgründen sich nun mit dem endgültig installierten Verleger Jonathan Landgrebe wie Episoden inmitten so einer gelungenen Transformation lesen lassen. Sie hat eben nur, 2002 ist Siegfried Unseld gestorben, 15 Jahre gebraucht.

Wie heftig persönliche Schicksale an so einer Transformation hängen, kann man an dieser jetzt langsam in die Vergangenheit absinkenden Transformation aber auch sehen.

Irgendwann fing die Frau im roten Kostüm vor der Halle 4.1 übrigens noch wie ins Nichts zu sprechen an. Ein ganz kurzer Moment von: Die hat sie doch nicht alle. Aber dann erkannte man sie. Es war die Moderatorin Cécile Schortmann, die gerade eine Anmoderation möglicherweise für die Sendung „Kulturzeit“ aufzeichnete. Und dann sah man auch die Kamera zwanzig Meter weiter weg stehen.

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