Zum 50. Geburtstag von Martin Büsser: Feine Sahne Selbstironie

Der Musikjournalist Martin Büsser hätte an diesem Tag seinen 50. Geburtstag gefeiert. Ein Reader erinnert an das Werk des 2010 verstorbenen Mainzers.

Ein Mann sitzt vor einem Mikrofon

Im Herzen von Pop: Martin Büsser Foto: Ivo Schweikart

„Wo sich Helmut Kohl, Irmgard Möller, Michael Jackson, Anselm Kiefer, Jello Biafra, meine Freundin und mein letztes Wochenende mit Franz Schütze die Hand geben – nur da findet das Leben statt“, hat Martin Büsser 1994 postuliert. Was er mit dieser scheinbar willkürlichen Aneinanderreihung von Personen der Zeitgeschichte und Privathuberei zu einer Gesellschaftsgirlande verknüpft, war einem auktorialen Ich geschuldet, das von einer Punksozialisation im Südwestdeutschland der achtziger Jahre doppelt und dreifach gegerbt war. Selbstironie half ihm dabei, die Geschichten von CDU, RAF, Pop und bildender Kunst einzuordnen.

Das Zitat stammt aus einem Text, mit dem Büsser damals seinen Abschied vom Testosteron-Hardcore-Magazin Zap und dessen Denkverboten verkündete. Er begründete die Entscheidung mit der Forderung nach einem kompromisslosen Erwachsenwerden: Die musikalische Palette von Punk hatte er da schon längst mit allen möglichen Sounds erweitert. Was weiterhin zählte, war No-Nonsens-Attitude.

Er stellte sich eine Haltung vor, die „immer geschickter, immer feinfühliger und damit schärfer“ und somit unabhängiger war. Jener „Ein Schnitt. Gedanken eines Hundertjährigen“ betitelte Text ist dem schönen Reader „Für immer Pop“ vorangestellt, der aus Anlass von Büssers 50. Geburtstag am heutigen 12. Februar erscheint und gut 30 Texte aus seiner Feder versammelt: Frühwerke aus den Neunzigern, Fragmente und Signaltexte. Im September 2010 ist Martin Büsser an Krebs gestorben. Viel zu früh. Seine Haltung, sein Denken, seine Texte würden heute dringend gebraucht.

Eben nicht alles ist Pop

Martin Büsser: "Für immer Pop. Texte, Artikel und Rezensionen aus zwei Jahrzehnten." Ediert von Jonas Engelmann. Ventil Verlag, Mainz 2018. 240 S., 15 Euro

Noch immer wird der deutschsprachige Popdiskurs vom Lichtjahr 1982 aus bestimmt, dieser campen, aber immer massenkompatiblen Inszenierung im Halogen-Scheinwerfer des Mainstream, die von links wie von rechts aufgerufen wird, um alles Mögliche als Pop zu deklarieren: von Kartoffelchips über den „Islamischen Staat“ bis zum buchgewordenen Irrglauben „Mit Rechten reden“.

Fürs Schwadronieren hatte Martin Büsser genauso wenig übrig wie für autoritäre Behauptungen. Strategische Ranschmeiße an die Kulturindustrie war ihm ein Gräuel. Ihn interessierten glattpolierte Pop-Oberflächen zwar auch, wie seine Auseinandersetzung mit Jan Delay, Nirvana und Courtney Love in Texten des Readers belegen. Oftmals schaute er aber unter die Oberfläche und brachte dabei allerlei Abseitiges, Unbequemes und Radikales zum Vorschein. Folgerichtig ist der Bucheinband von „Für immer Pop“ einem ebenfalls 1982 erschienenen Albumcover der britischen Postpunk-Band This Heat nachempfunden. Ihre gallige musikalische Formensprache wendete Büsser auf seine eigene Schreibe an.

Emanzipatorisches Grundverständnis bedeutete für ihn, niemals auf behäbig-linker Parteilinie zu bestehen, sondern weitgehend autonom von Institutionen zu agieren. Damit wahrte er auch die nötige Distanz zum journalistischen Konsens und zu KünstlerInnen, über die er schrieb. Büsser landete bisweilen gar nicht wo weit vom ruling sound, wie er etwa im Spex der neunziger Jahre verkündet wurde, aber er betete nicht zwanghaft nach, was von anderen bereits zum hot topic deklariert wurde.

Und er erkannte Aspekte in der Popmusik, die von anderen geflissentlich übersehen wurden. „Postpubertäre Zerrissenheit, die Selbstzweifel narzisstisch nach außen trägt“, stellte er 1996 an den Mitsing-Songs von Tocotronic in dem Text „Die Take That fürs Indiezimmer“ fest. Fragen nach Race, Class und Gender wurden immer in seinen Texten beantwortet.

In dem von Büsser 1995 gegründeten Magazin Testcard und dem Programm des von ihm mitbetriebenen Mainzer Verlags Ventil, in unzähligen Texten für Jungle World, Intro, Konkret und verschiedene andere prägte Büsser den Popjournalismus der späten Neunziger und Nuller in einer Zeit mit, in der sich undogmatische Linke durch die Umwälzungen nach 1989 neu orientieren mussten.

Ätzender Humor

Was mit Skinheads und Nazirock begann, dem Wiedererstarken von Nationalismus weiterging und absurde Ideen, wie eine Quote für deutsche Texte von Popsongs im Radio, hervorbrachte, spießte Martin Büsser als einer der Ersten in seinen Texten auf. Zu Unrecht hat man ihn der protestantischen Humorlosigkeit geziehen. Aus den in „Für immer Pop“ kompilierten Texten spricht vielfach ein ätzender Witz, der Büssers prekärem Jobberalltag im Lager eines Schallplattenversandhandels, aber auch Urvertrauen in die Unbestechlichkeit von Do-it-Yourself in seinem Verlag geschuldet war.

Auch kurz vorm Ruin behielt er die Ruhe, dank „statischer Schläue“: Martin Büsser – und das zeichnet seine Texte aus – hat Stile, Moden und Sounds der Jugend ernst genommen, aber nie sauertöpfisch geurteilt.

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