Kolumne Die eine Frage: Das It-Girl und die alten Männer

Können die historisch erledigten Grünen sich neu erfinden und der CSU Wähler wegnehmen? Und vor allem: Wollen sie das?

Im Hafen-Garten von Offenbach ist eine Sonnenblume vor einem Kohlekran zu sehen

Sonnenblume vor Kohlekran: Die Grünen im Wandel der Zeit Foto: dpa

In unseren geliebten Checker-Milieus vermeidet man sogar bei der Verteidigung der Demokratie immer gern die entscheidende Frage. Sie lautet: Wie gewinne ich für meine Wahrheit eine demokratische Mehrheit?

Pfff. So was Profanes brauchten wir nie. Da der global operierende Laden der westlichen Werte ja letztlich auch in unserem Sinne lief, konnten wir uns kritisch von den unfeineren Geschäftsbereichen distanzieren und uns – zwischen den Fernreisen – auf die Beschwörung des festangestellten Mittelklassen-Humanismus konzentrieren.

Vorbei. Unwiederbringlich.

Und so ist auch die Zeit der Grünen vorbei, wie wir sie kannten. Diese Grünen von Trittin und Roth, bei allen ihren emanzipatorischen Verdiensten, sind historisch erledigt. Und zwar seit nunmehr dreizehn Jahren. Das sollte vielleicht mal jemand dem Chefstrategen Michael Kellner stecken, dessen Tweets („Was für ein abgrundtiefer Zynismus, was für eine Unmenschlichkeit“) von dieser schönen Zeit künden, als das Wachstum des Moralausstoßes noch zu helfen schien.

Der Epochenbruch der Welt

Aber: Wir sind jetzt in der seltsamen Situation, dass der Epochenbruch der Welt den historisch erledigten Grünen eine zweite Chance gibt. Doch nun kommt das für manche Grüne Unmenschliche: Dazu dürfen sie nicht sagen, dass sie es ja immer gesagt haben. Damit lägen sie weiterhin falsch.

Sie müssen die partiell begonnene Neuerfindung anhand der Leitplanken der Realität vorantreiben und zwar so, dass sie damit die Landtagswahl in Bayern entscheidend beeinflussen. Es wird nicht möglich sein, die CSU abzuwählen. Aber es muss möglich sein, den Söder-Dobrindt-Nationalismus abzuwählen, die CSU unter 40 Prozent zu drücken und damit den Interimsministerpräsidenten zu einer fränkischen Fußnote zu machen.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Die Wirklichkeit lehrt, dass das eben nicht mit ausgrenzendem Menschenrechtssound klappt und Befehlen, wer sich alles schämen soll. Menschenrechte müssen heute vor allem sicherheitspolitisch, ökonomisch und mit Blick auf die Verteidigung von EU und Rechtsstaatlichkeit begründet werden. Wie wir bei Macron sehen, kann man Mehrheiten dafür gewinnen, aber nicht, wenn man sich die Hände in Unschuld wäscht. Man darf in der Einwanderungs-, Asyl- und Flüchtlingspolitik nicht nur sagen, was alles gar nicht geht, man muss ganz klar aufzeigen, wie der gesellschaftliche Kompromiss aussieht, den eine demokratische Mehrheit lieber möchte als die nationale Politik von Söder und Wagenknechts rechter Sammlungsbewegung.

Die schönen Merkel-Jahre sind vorbei

Deshalb muss man das Vertrauen derer in die liberale Alternative zur CSU gewinnen, die bisher CSU gewählt haben. Dafür muss es der Spitzenkandidatin Katharina Schulze gelingen, nicht nur das strahlende It-Dirndl-Girl einer schöneren und emanzipatorischeren Welt zu sein. Sie muss auch das Vertrauen alter, verstockter Männer gewinnen, dass sie Realität kann. Tja, Demokratie.

Mir wär's auch lieber, man könnte jetzt volle Pulle über politische Wege zur sozialökologischen Transformation der EU diskutieren. Wann wir das schaffen, ist unklar. Aber wenn man Söder, Kurz und andere jetzt gewähren lässt, dann geht es nie mehr, weil es dann keine EU mehr gibt.

Bernd Ulrich von der Zeit hat ja Recht, die schönen Merkel-Jahre der unzureichenden Reförmchen sind vorbei. Die großen Probleme brauchen große politische Antworten. Union und SPD werden sie nicht liefern können. Robert Habecks Leitsatz steht über diesem Epochenbruch: Realistisch ist nur, wer die notwendigen radikalen Antworten geben kann und zu geben bereit ist. Aber genau deshalb ist die Zeit der moralischen Weltrettungsphrasen vorbei.

In der Realität beginnt diese Radikalität damit, dass die Grünen CSU-Wähler umdrehen. Gelingt das nicht, kommt eine andere Radikalität. Simple as that.

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Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried

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