Räumung von Obdachlosen in Berlin-Mitte: Empörung über rabiaten Einsatz

Nach der Räumung eines Obdachlosenlagers am Hauptbahnhof will der Senat einen einheitlichen Umgang mit solchen Camps.

Muss das sein? Eine Frau wird mit einem Tuch über dem Kopf abgeführt Screenshot: taz

Ein von der taz veröffentlichtes Video von der Räumung eines Obdachlosencamps am Hauptbahnhof hat am Wochenende für Empörung gesorgt. „Es ist schon unerträglich, dass Mitte räumen lässt, ohne den Menschen Hilfe anzubieten, aber der Umgang der Polizei ist mindestens genauso unerträglich“, teilte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) via Twitter mit. Der Senat will nun tätig werden. „Wir werden einladen, um über einen berlinweit einheitlichen Umgang mit Obdachlosencamps zu reden“, kündigte Staatssekretär Alexander Fischer, ebenfalls Linke, an.

Am 9. Januar hatten Einsatzkräfte ein Lager von Obdachlosen im Ulap-Park nahe dem Hauptbahnhof geräumt. Auf dem Video, das die taz am Freitag veröffentlichte, ist eine Frau zu sehen, die gefesselt auf einer Bank sitzt. Polizisten ziehen ihr von hinten ein weißes Tuch wie einen Sack über den Kopf und führen sie dann ab. Auf den Bildern ist zu sehen, wie Zelte, Schlafsäcke und andere Dinge auf einen Lastwagen gehoben werden.

Eine Augenzeugin berichtete der taz, das Hab und Gut der Frau sei vor ihren Augen in ein Müllfahrzeug geladen worden. „Sie saß gefesselt auf der Bank, war völlig verzweifelt.“ Dann sei ihr der Kopf verhüllt worden. „Umstehende haben die Polizisten darauf aufmerksam gemacht, dass das Vorgehen unverhältnismäßig und traumatisierend sei“, sagte die Augenzeugin.

In einer Pressemitteilung des Bezirks heißt es, die „katastrophalen Zustände vor Ort“ seien Anlass zahlreicher Bürgerbeschwerden gewesen. Streifen des Ordnungsamts hätten die Menschen wiederholt aufgefordert, das Lager selbst zu räumen. Sie hätten auch Informationen über Hilfsangebote bekommen. Alle Personen seien der Aufforderung zu gehen gefolgt – bis auf eine Frau, „die aufgrund eines vorliegenden Haftbefehls und extrem aggressiven Verhaltens verhaftet wurde“. Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) dankte den Einsatzkräften „für ihr umsichtiges und engagiertes Handeln“.

Niklas Schrader, Linke

„Einer gefesselten Person ruckartig einen Sack über den Kopf zu ziehen, kann eine Panikreaktion auslösen“

Die Polizei widersprach der Darstellung des Bezirks am Sonntag teilweise. „Ein Haftbefehl lag nicht vor“, sagte ein Sprecher der taz. Die Frau, die man auf dem Video sehe, sei mitgenommen worden, um sie erkennungsdienstlich zu behandeln, die Polizei habe sie dann wieder entlassen.

Bei der Räumung habe sich die Frau geweigert, den Platz zu verlassen, so der Sprecher. Sie soll sich gewehrt und gespuckt haben. „Das Video zeigt nur einen Teil der Räumung.“ Der Frau seien dann Handfesseln angelegt worden. „Als ihre Wollmütze herunterfiel, haben die Einsatzkräfte einen starken Läusebefall bemerkt und dann entschieden, ihr das Tuch anzulegen.“ Dabei habe sie sich nach vorne bewegt, sodass der Eindruck entstehe, dass das Tuch zusammengezogen worden sei. „Wir werden das jetzt intern aufklären“, sagte der Sprecher.

Niklas Schrader, Abgeordneter der Linken, bezeichnete den Einsatz gegenüber der taz als unverhältnismäßig. „Einer gefesselten Person ruckartig einen Sack über den Kopf zu ziehen, kann eine Panikreaktion auslösen.“ Sicherlich müssten sich die Einsatzkräfte schützen, wenn sie bespuckt würden. „Aber hätte es nicht die Möglichkeit gegeben, psychologische Hilfe zu holen?“, will Schrader wissen. Er kündigte an, das Thema am Montag im Innenausschuss ansprechen zu wollen.

Gemeinsam eine Lösung finden

„Ich finde diese Bilder – ob Sack oder Tuch, ist mir egal – schockierend“, sagte Antje Kapek, Fraktionschefin der Grünen. Es müsse aufgeklärt werden, wie der Einsatz genau abgelaufen sei. Dass Staatssekretär Fischer ein abgestimmtes Vorgehen im Umgang mit Obdachlosencamps will, findet Kapek gut. „Eine gemeinsame Leitlinie zu entwickeln ist Aufgabe des Landes und nur zu begrüßen.“

Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel reagierte noch am Freitag auf die Vorwürfe. Bis auf die eine Person hätten alle, die im Ulap-Park gecampt hätten, ihre Habseligkeiten mitgenommen. „Die zurückgebliebenen Sachen waren wohl eindeutig nicht mehr zu gebrauchen“, so von Dassel. Zum Vorwurf, es gebe nicht genug Hilfsangebote, schrieb er: „Nennt mir einen obdachlosen Menschen, der das BA-Mitte (Bezirksamt Mitte, Anm. d. Red.) um ein Dach über dem Kopf gebeten hat und keine Hilfe bekommen hat. Das bringe ich innerhalb eines Werktags in Ordnung!“ Und weiter: „Es ist nicht sozialer, Menschen draußen in ihrem Elend zu lassen, als sie zur Hilfeannahme zu nötigen.“

Von Dassel hat bereits vor anderthalb Jahren Schlagzeilen gemacht, als er die Abschiebung der Obdachlosen im Tiergarten ins Gespräch brachte. Daraufhin wurde eine Taskforce gegründet aus VertreterInnen von Senatsverwaltungen, Bezirken, der Polizei und der Caritas. Es gab verstärkte Streifen von Polizei und Ordnungsamt, mehr Sozialarbeiter waren unterwegs.

Welche Art von einheitlichem Umgang mit Obdachlosencamps der Sozialverwaltung nun vorschwebt, machte Staatssekretär Fischer in seinem Tweet deutlich. Er schrieb: An der Rummelsburger Bucht zeige der Bezirk Lichtenberg gemeinsam mit dem Träger Karuna und der Senatsverwaltung, wie es auch gehen könne. Dort wurde eine Räumung zunächst ausgeschlossen. Mitarbeiter von Karuna sind mit Obdachlosen im Gespräch, um für Einzelne oder für Gruppen von ihnen gemeinsam Lösungen zu finden.

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