Unklare Coronastrategie der Kanzlerin: Eine Krise auf Dauer

Gehen die Infektionszahlen wieder hoch, wird es einen zweiten Lockdown geben. Merkel sollte das klar so sagen.

Angela Merkel bei einer Pressekonferenz.

Angst, schlechte Nachrichten zu verkünden? Foto: Bernd von Jutrczenka/reuters

Jetzt also das Oktoberfest: München hat das weltgrößte Volksfest abgesagt – wegen Corona. Und dabei wird es nicht bleiben. Großereignisse für Kultur und Sport dürften gar bis weit ins nächste Jahr hinein nicht stattfinden. Und wer fest mit seinem Strandurlaub in Thailand zum Jahresende rechnet, sollte sich das ebenfalls abschreiben. Zumindest solange es keinen Impfstoff gibt.

Zuletzt ist klar geworden: Um die Ausbreitung des Corona­virus zu stoppen, ist es mit einigen Wochen Kontaktsperre nicht getan. Flatten the Curve – so lautete das Ziel der Bundesregierung. Noch im März dachten auch einige Experten, eine über mehrere Monate gestreckte „Durchseuchung“ könne eine Strategie sein – sofern die Krankenhäuser nicht an ihre Grenzen stoßen.

Doch jetzt weiß man: Auch eine Reproduktionszahl von 1 oder nur knapp darunter birgt das Risiko, dass es doch zu einem unkontrollierten Ausbruch kommen könnte. Die Kanzlerin hat das erkannt und darauf hingewiesen, dass die Reproduktionszahl auf 0,4 oder niedriger sinken müsse. Ihre Minister und die Landesregierungen leisten sich aber einen Überbietungswettbewerb beim Exit und bewirken damit das Gegenteil. Welche Strategie Merkel nun verfolgt, ist nicht mehr klar.

Zudem betonte die Kanzlerin mehrfach, sie wolle keinen zweiten Lockdown. Den wird es aber geben, wahrscheinlich mehrfach. Das zumindest ist die Erfahrung, die Taiwan, Hongkong, Singapur und Südkorea gerade machen. Durch rasches Handeln war es ihnen gelungen, die Epidemie zu stoppen. Sie konnten ihre Maßnahmen wieder lockern. Singapur wird nun von einer zweiten Infektionswelle überrollt, die anderen stehen kurz davor. Nun gelten die Sperren wieder.

Ein Ende der Kontaktsperre sollte bei einem Stopp der Neuinfektionen zwar zeitweise möglich sein. Sobald die Infektionszahlen aber wieder in die Höhe schnellen, muss es wieder die Bereitschaft für Kontaktsperren geben. Es wäre gut, wenn die Bundesregierung das auch klar so benennen würde.

Einschränkungen bis ins nächste Jahr

Wirtschaft, Gesellschaft und Politik sollten sich darauf einstellen, dass es noch bis weit ins nächste Jahr hinein erhebliche Einschränkungen geben wird. Vielen Geschäften, Unternehmen, aber auch Schulen und Universitäten kann es gelingen, einen Umgang damit zu finden. Für andere wird es schwer. Das ließe sich mit finanzieller Hilfe zumindest teilweise abfedern.

Die Vorstellung, dass wir noch ein Jahr und mehr unter diesem Ausnahmezustand leben müssen, ist schrecklich. Das aber ist die neue Normalität – bis ein Impfstoff gefunden ist. Genau so sollte die Kanzlerin das auch sagen.

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war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.

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