Die Forderungen der Coronaleugner: Freiheit für die Unterwerfung

Die Hygienedemonstranten sehen die Demokratie in eine Diktatur kippen. Doch wenn sie Freiheit rufen, meinen sie nur ihre persönliche.

Eine Gruppe von Demonstrantinnen und Demonstranten

Freiheit ist nicht gleich Freiheit, das kann man derzeit gut bei den Corona-Protesten studieren Foto: Christian Mang/reuters

Die Leute, die gegen den Mund-Nasen-Schutz als „Gehorsamkeitszeichen“ protestieren. Die Leute also, die gegen eine sogenannte „Coronadiktatur“ auf die Straße gehen. Rechte bis Rechtsextreme. Und eine Mischung. Eine Sammlung aller Irrationalitäten. An der Stelle sollte nun eine süffige Aufzählung der verschiedenen Elemente dieses bunten Wahnsinns kommen.

Aber was, wenn man das auch anders sehen könnte? Wenn deren Irrationalität ganz anderer Art wäre? Nicht in dem Sinne, dass sie vielleicht doch recht hätten. Nein. Aber in dem Sinne, dass ihr Aufbegehren etwas anderes wäre: die Rückkehr der neoliberalen Botschaft in verkehrter Form.

Was sagen sie? Sie begehren auf gegen die staatlichen Coronamaßnahmen im Namen ihrer persönlichen Freiheit, die sie durch diese eingeschränkt sehen. Nun ist es so: Wenn in einer Demokratie der Staat weit reichende Einschränkungen anordnet, dann ist dies diskussionswürdig.

Keine Frage. Diskussionswürdig aber heißt, das staatliche Handeln in Kategorien von zulässig – nichtzulässig, sinnvoll – sinnlos, effizient – nichteffizient, Schutz – Nichtschutz zu befragen.

Verquere Logik

Den sogenannten Hygienedemonstranten aber geht es gar nicht um die Frage der Rationalität des staatlichen Vorgehens. Hier kommt vielmehr ihre ganze verquere Logik zum Tragen: Es ist nicht so, dass sie die Realität des Virus ablehnen – und deshalb die Maßnahmen des Staates ablehnen.

Es ist vielmehr genau andersherum: Weil sie die Eingriffe des Staates nicht akzeptieren – akzeptieren sie auch nicht die Realität des Virus, der Bedrohung, der Krise. Und genau darin reproduzieren sie das neoliberale Konzept des Staates, der nur die Rahmenbedingungen für den Markt zu garantieren habe, in entstellter Form.

Gegen die „Zumutungen“ eines eingreifenden, regulierenden Staates begehren sie nun im Namen ihrer persönlichen Freiheit auf. Aber Freiheit ist heute nicht mehr so einfach zu haben, zu denken. Auf Freiheit lässt sich nicht mehr einfach so sich berufen. Es ist ja keine Neuigkeit, dass die ökonomische Freiheit alle Freiheitsvorstellungen usurpiert hat, diese umdefiniert hat. Zur freien Konkurrenz. Der Neoliberalismus hat seine Interpretation von Freiheit durchgesetzt, und das heißt: Er hat die Freiheit zu dem gemacht, was uns unterwirft.

Und nun wehren sich die Demonstranten nicht nur nicht gegen die Zumutungen, die diese ökonomisch gewendete Freiheit bedeutet. Nein – sie begehren sogar im Namen ebendieser „individuellen“ Freiheit auf. Im Namen jenes Prinzips, das sie unterwirft. Was für eine Verinnerlichung! Diese Demonstranten lechzen nach ihrer persönlichen Freiheit, als sei es ihre Erlösung – und sei es um den Preis ihrer Gesundheit oder ihres Lebens.

Land of the free

Wie beispielsweise jene Demonstranten in Michigan, die die Zufahrtswege zum einzigen Krankenhaus, wo Coronapatienten behandelt werden, versperrt haben. Demonstranten, die gegen die „Stay home“-Regeln protestierten. Mit Autos mit der Aufschrift: „Land of the free“, die dann von Pflegern gestoppt wurden.

Die Verschwörungsgläubigen unter den Demonstranten erzeugen darüber hinaus noch einen Überschuss. Indem sie den Adressaten ihrer Empörung personalisieren. Genauer gesagt: sie erzeugen, benennen, beschwören einen konkreten Adressaten: Bill Gates, George Soros, Rothschild, Rockefeller, die Illuminati. Egal. Irgendwer soll verantwortlich sein. Und die sollen dann weg. Alle. Mitsamt „ihrem“ Virus.

Man kann diese irrlaufenden Demos auch so verstehen: als Beschwörungsveranstaltungen. Als Voodoo-Zeremonien, die all das bannen sollen, was die eigene Befindlichkeit, was die persönliche Freiheit stört.

Die Paradoxie aber ist bei allen gleich: Gerade so ein überzogener „Freiheitsdrang“ vollzieht die Vorgaben des Neoliberalismus. Das absurde, auf die Spitze getriebene Hochhalten ihrer persönlichen Freiheit deckt sich haargenau mit den Anforderungen einer durchliberalisierten Ökonomie und deren reduzierten Staates. Kurzum: Dies ist die Rückkehr der neoliberalen Botschaft in verkehrter Form.

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