Kunsthistorikerinnen zu Diversität: Öffnung im Kopf

Julia Grosse und Yvette Mutumba wollen den Kunstdiskurs diverser und globaler machen. Ein Gespräch über Kunstgeschichte und Debatten.

Julia Grosse und Yvette Mutumba vor einem Bild

Yvette Mutumba und Julia Grosse in Berlin Foto: Benjamin Renter

Die Kunsthistorikerinnen Julia Grosse und Yvette Mutumba gründeten im Jahr 2013 unterstützt von der bundesdeutschen Kulturmittlerorganisation Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) das Onlinemagazin „Contemporary And“ mit dem Ziel, dem zeitgenössischen Kunstdiskurs globalere und diversere Stimmen aus Afrika und der afrikanischen Diaspora hinzuzufügen. „Contemporary And“ wuchs zur Plattform heran und bekam Zuwachs durch „Contemporary And América Latina“. Ende November wurden Grosse und Mutumba dafür beim Kulturmarken-Award in der Kategorie Euro­päische*r Kulturmanager*in des Jahres 2020 ausgezeichnet. Im Dezember kam noch ein weiteres Projekt mit dem ifa hinzu: Das partizipative Onlineprojekt „Are You For Real“ soll Künstler*innen, Pro­gram­mie­re­r*innen, Poet*innen und Aka­de­mi­ke­r*innen und deren jeweiligen Blick auf unsere aktuelle Realität zusammenbringen.

taz: Frau Grosse, Frau Mutumba, Sie als frisch gewählte Europäische Kulturmanagerinnen des Jahres können uns folgende Fragen sicher beantworten: Was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff Kulturmanagement? Wie managt man überhaupt Kultur?

Yvette Mutumba: Das ist schwer zu sagen, denn es gibt unzählige Formen, Kultur zu „managen“. Zudem kann das Wort „managen“ irreführend verstanden werden, gerade in Bezug auf Kultur. Zwar gibt es die kommerzielle Seite des Betriebs, wo Künst­le­r*innen geschäftlich betreut werden, wir dagegen sehen unsere Rolle eher als Netzwerker*innen und Begleiter*innen künstlerischer Prozesse. Dennoch freuen wir uns natürlich sehr über die Auszeichnung.

Sie haben sich in Ihrer Kategorie unter anderem gegen Eike Schmidt, den Direktor der Uffizien, und gegen Malte Boecker, den Direktor des Beethoven-Hauses Bonn, durchgesetzt. Weiße Männer der Generation 50plus, die große Institutionen leiten. Was machen Sie besser?

Julia Grosse: Na ja, da wir ganz anders arbeiten, zudem auch in völlig anderen Bereichen von Kultur, kann man nicht wirklich von besser oder schlechter sprechen. Uns ist in unserer Arbeit wichtig, über Kontexte zu sprechen, innerhalb derer es nicht mehr um Kategorien und damit oft auch Vereinfachungen geht.

Wie meinen Sie das?

JG: Es gibt zum Beispiel nicht „die afrikanische Kunst“ oder „den afrikanischen Künstler“. Oder wenn wir von Kunstgeschichte oder Moderne sprechen, haben wir nicht die „eine Moderne“ im Sinn, nicht die „eine Kunstgeschichte“, wie man sie in Gombrichs „Geschichte der Kunst“ nachlesen kann, sondern reflektieren immer mit, dass es unzählige Kunstgeschichten und Modernen gibt und gab. Wir sind beide Kunsthistorikerinnen und durch das Studium absolut westlich sozialisiert. Wir mussten diese Öffnung im Kopf also selber erst lernen.

Ausgezeichnet wurden Sie dafür, „hochkomplexe Inhalte zeitgenössischer Kunstproduktionen aus Afrika, Südamerika und seiner globalen Diaspora durch lokale Schreiber*innen zugänglich zu gestalten“. Gemeint sind Ihre Plattformen Contemporary And und Contemporary And América Latina. Worum handelt es sich dabei?

Julia Grosse studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Medienwissenschaft an der Ruhr-Universität in Bochum und arbeitete als Kolumnistin und Kulturjournalistin in London für zahlreiche Publikationen. Grosse ist Dozentin am Institut für Kunst im Kontext der UdK Berlin sowie Mitbegründerin und Chefredakteurin der Kunstmagazine Contemporary And und Contem-porary And América Latina.

Yvette Mutumba studierte Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin und promovierte an der Birkbeck University of London. Sie war unter anderem Teil des kuratorischen Teams der 10. Berlin Biennale und ist aktuell Curator-at-large am Stedelijk Museum in Amsterdam. Mutumba ist Dozentin am Institut für Kunst im Kontext der UdK Berlin sowie Mitbegründerin und Chefredakteurin der Kunstmagazine Contemporary And und Contemporary And América Latina.

YM: Contemporary And (C&) ist eine dynamische Plattform zur Reflexion und Verbindung von Ideen und Diskursen zur zeitgenössischen bildenden Kunst. Es geht darum, vielschichtige Arbeiten von Kulturproduzenten aus den unterschiedlichsten Perspektiven und Kontexten zu verbinden. C& ist ein globales, ständig wachsendes Netzwerk von Stimmen und bringt komplexe Themen in zugängliche Formate: durch Sprache, durch Digitalität, durch Begegnungen.

Was heißt das konkret?

YM: Der C&-Kosmos umfasst Inhalte und Projekte, die online, offline und irgendwie auch dazwischen stattfinden. Das C& Magazine wird online in Englisch und Französisch veröffentlicht und bietet täglich weltweit produzierte Kunstnachrichten, Features, Essays und Interviews. Das C& América Latina Magazine ist ein Onlineraum für Kunstkritik in Spanisch, Portugiesisch und Englisch, mit dem Ziel, noch umfassendere Einblicke in globale künstlerische Diskurse zu bieten. Dazu kommen unter anderem Workshops für junge Kunst­auto­r*in­nen, Initiativen wie das C& Center of Unfinished Business, einem durch international renommierte Kunsträumen und Museen tourenden Leseraum, oder C& Commissions, ein digitales Ausstellungsformat auf unserer Webseite.

An wen richtet sich all das?

JG: Eines der Stichwörter oder gar Mantren unserer Arbeit ist das englische Wort der accessibility, der Zugänglichkeit, und das auf diversen Ebenen: Wir haben C& von Anfang an als Onlineplattform gegründet, um theoretisch jeden mit Internetzugang erreichen zu können. Zudem sind alle unsere Inhalte kostenfrei, dank der Förderung des ifa, des Auswärtigen Amts und im Falle von C& América Latina des Goethe-Instituts, auch unsere zwei- bis dreimal im Jahr produzierten Printausgaben. Zugänglichkeit betrifft genauso die Inhalte. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, auf C& zu stark akademische Texte zu veröffentlichen, da wir idealerweise alle erreichen wollen.

Funktioniert das?

JG: Unsere lokalen Schrei­be­r*in­nen schaffen es, komplexe Diskurse zu Kunstproduktion aus Afrika und der globalen Diaspora so zugänglich und verständlich wie möglich wiederzugeben. Dass das funktioniert und auch angenommen wird, merken wir daran, dass C& Magazine und C& América Latina Magazine in über 150 Ländern gelesen werden, von den USA über Deutschland bis Nigeria oder Brasilien, und die Leser*innen sind vor allem zwischen 18 und 35 Jahren.

Die Frage nach globaleren, diverseren Perspektiven hat in den vergangenen Jahren auch die großen Kulturinstitutionen erreicht. Sie arbeiten selbst häufig in und für Institutionen. Wie nehmen Sie den aktuellen Diskurs wahr?

YM: Wir haben C& in einer Zeit gegründet, in der man durchaus von einem Hype um künstlerische Positionen aus Afrika und der globalen Diaspora in der Kunstwelt sprechen konnte. So etwas kommt ja in der Regel in Wellen, um die Zeit der von Okwui Enwezor kuratierten Ausstellungen „The Short Century“ (2001) und documenta 11 (2002) vollzog sich ebenfalls eine Art von global turn. Viele Institutionen zogen damals nach und zeigten Projekte mit Arbeiten von Künstler*innen aus Afrika und der Diaspora. Dann verebbte das Interesse jedoch erst einmal wieder, bevor es in den 2010er Jahren langsam wieder begann Aufschwung zu nehmen.

Das klingt wenig nachhaltig.

JG: Hypes des Kunstzirkus waren nie und sind bis heute nicht Teil unserer Vision für C&. Und spätestens mit den diesjährigen weltweiten Eruptionen durch die Black-Lives-Matter-Bewegung, die ja auch einen merklichen Einfluss auf die Kunst und Kunst­institu­tio­nen hatte, ist der Druck auch auf Museen nochmals gestiegen, mitzuziehen und ein globaleres, diverseres Programm anzubieten.

Wo stehen wir heute in diesem Prozess?

YM: Es ist noch ein langer Weg zu gehen, wenn es um nachhaltige, tiefgreifende institutionelle Veränderungen geht – von langfristigen Programmänderungen über Sammlungsankäufe bis dazu, dass Diversität nicht beim Reinigungs- und Wachpersonal enden darf, sondern auch bei den inhaltlich arbeitenden Mitarbeiter*innen oder in den Freundeskreisen Normalität werden muss. Was wir bei jungen Künst­le­r*in­nen aus afrikanischen Städten beobachten, ist, dass immer mehr nicht im Geringsten davon träumen, endlich in London, Paris oder Berlin zu leben und dort ihre Arbeit auszustellen. Vielmehr gehen viele bewusst zurück nach Accra, Kairo oder Lagos mit dem Wunsch, an der Gestaltung lokaler, kultureller Infrastrukturen vor Ort mitzuwirken. Solche Tendenzen finden wir großartig.

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