Die These: Wider die Transfeindlichkeit

Es ist nicht gut, wenn ausgerechnet Feministinnen anzweifeln, ob trans Frauen auch Frauen sind. Feminismus ist für alle da – sonst ist er keiner.

Personen demonstrieren mit Schildern.

Berlin 2020: Demo für ein Selbstbestimmungsrecht in Bezug auf Personenstand/Geschlecht Foto: M. Golejewski/AdoraPress

Es ging ums große Ganze: um Mann und Frau. Als die Grünen gegen Ende der vergangenen Legislatur einen Gesetzentwurf vorlegten, um das Transsexuellengesetz abzuschaffen, sah die FAZ das „körperliche Geschlecht“ in Auflösung. Der Stein des Anstoßes: Künftig, so die Grünen, solle trans Personen in Deutschland der Wechsel des Geschlechtseintrags ohne externe Gutachten und auf Basis der Selbstauskunft erlaubt sein. Die Emma warnte vor einer sich „anbahnenden Katastrophe“, die SZ beschrieb, warum: Am Horizont stehe das „Verschwinden der Frauen“.

Auch international führt die Frage, wer Geschlecht eigentlich wie definiert und was das in puncto trans bedeutet, derzeit zu aufgeheizten Auseinandersetzungen. Zuletzt trat die britische Philosophin Kathleen Stock, die trans Frauen als Männer bezeichnet, nach massivem öffentlichen Druck von ihrem Posten zurück. Ein Geschlechterkampf bricht sich Bahn, vorwiegend zwischen cis und trans Frauen – also zwischen Frauen, denen bei Geburt das Geschlecht „weiblich“ zugewiesen wurde und die sich damit identifizieren, und zwischen Personen, denen bei Geburt das Geschlecht „männlich“ zugewiesen wurde und die sich damit nicht identifizieren. Die zentrale Frage dabei: Sind trans Frauen Frauen?

Dass diese Frage jetzt relevant wird, liegt daran, dass trans Personen als sichtbare Gruppe auf der Bildfläche des Mainstreams erscheinen. Sie haben Rechte erkämpft, das Klima gegenüber LGBTI hat sich verändert. Die Gefahren, die trans Personen – trans Frauen, trans Männer, nichtbinäre Personen – durch Angriffe oder Ausgrenzung drohen, nehmen langsam, ganz langsam ab. Derzeit geht man von einer knappen halben Million trans Personen in Deutschland aus, noch längst nicht alle davon leben offen.

Das biologische Geschlecht scheint dabei zentral, weil die meisten überzeugt sind, mit Ja oder Nein beantworten zu können, ob es bei der Definition von Geschlecht nun eben zählt oder nicht. Ich zum Beispiel finde hinlänglich belegt, dass biologisches Geschlecht und Geschlechtsidentität keineswegs gekoppelt sein müssen und dass nur eine Person selbst darüber Auskunft geben kann, ob sie Frau ist oder nicht. Eine einhellige Meinung dazu gibt es aber nicht, und jede Seite beansprucht Wissenschaftlichkeit für sich.

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Zielführender, als sich über Biologismen zu zerstreiten, könnte also sein, die Frage politisch zu stellen. Warum wehren sich manche cis Frauen mit Händen, Füßen und teils mit Hetze dagegen, trans Frauen als Frauen zu akzeptieren? Anders gefragt: Angenommen, trans Frauen sind Frauen – was hieße das für feministische Kämpfe, für Gemeinsamkeiten, Bruchlinien und Solidarität?

Geschlechterkämpfe sind im Kern Anerkennungs- und Verteilungskämpfe, ganz gleich, wer da gerade mit wem streitet. Frauen gegen Männer, Schwule gegen Lesben, cis Frauen gegen trans Frauen: Immer geht es um Rechte, Repräsentation und Ressourcen, immer geht es um das Wesen von Teilhabe. Die ist in einer patriarchalen Welt auch für cis Frauen längst nicht gesichert.

Im konkreten Fall einiger cis Frauen – nicht der Mehrheit – gegen trans Frauen geht es zum Beispiel um Räume, reale und metaphorische. Um Umkleiden, Kneipen, Partys, Schutzräume, Gefängnisse, Praxen von Ärzt:innen, den politischen Raum mitsamt seiner Quoten oder den gesellschaftlichen Diskursraum. Der Vorwurf einiger cis Frauen: Trans Frauen – in der Lesart einiger also Männer – beanspruchen Raum, der Frauen gehört, obwohl sie keine sind. Durch die Möglichkeit, den Geschlechtseintrag rein auf Basis der Selbstauskunft zu ändern, könnten etwa in Frauenumkleiden cis Frauen belästigt werden, die lange darum gerungen haben, genau davor geschützt zu sein.

Befürchtungen wie diese lassen sich faktisch widerlegen. In europäischen Ländern, in denen vereinfachte Geschlechtseinträge möglich sind, darunter Dänemark, Irland und Portugal, sind Fälle von Missbrauch nicht bekannt. Andersherum aber ist leicht vorstellbar, wie gefährlich es ist, angesichts der derzeit herrschenden Form von Männlichkeit als offen trans lebende Frau etwa Männerumkleiden zu nutzen. Der Gedenktag für die Opfer von Transfeindlichkeit an diesem Samstag macht darauf aufmerksam, welche oft tödlichen Gefahren trans Personen drohen.

Dass sich Minderheiten gegenseitig Räume und Ressourcen streitig machen, liegt an Raumknappheit. Diejenigen auszuschließen oder gar zu bekämpfen, die aufgrund von Diskriminierung noch weniger Raum haben als man selbst, scheint für manche naheliegend. Sinnvoll ist es keineswegs. Das Ziel kann nicht sein, sich gegenseitig in Grabenkämpfen um die eigenen Räume zu verbarrikadieren. Das Ziel muss sein: genug Raum für alle.

Worum soll überhaupt gekämpft werden?

Gestritten wird auch darüber, worum überhaupt gekämpft werden soll. Haben die Kämpfe um Rechte von cis und trans Frauen dieselbe Stoßrichtung? Möglich, dass die Relevanz einzelner, aber zentraler Aspekte verschieden bewertet wird: Legaler Schwangerschaftsabbruch etwa könnte für cis Frauen, die Abschaffung des Transsexuellengesetzes für trans Frauen wichtiger sein. Aber die zugrunde liegenden Werte und Rechte – Gewaltfreiheit, Gleichstellung, sexuelle Selbstbestimmung und reproduktive Gerechtigkeit – liegen in den Interessen aller Frauen. Weit zielführender wäre also, die Kräfte zu bündeln und die gemeinsame Sache groß zu machen.

Profitieren werden sonst diejenigen, gegen die es tatsächlich geht – und das sind noch immer die Vertreter des Patriarchats, also diejenigen, denen Geschlechterhierarchien nutzen, die anti-egalitäre und anti-emanzipatorische Strukturen pflegen. Wahrscheinlich also, dass die eigenen Energien gewinnbringender eingesetzt sind, wenn cis Frauen und trans Personen zusammen den Gegner in den Blick nehmen. Und Vorsicht vor falschen Freunden: Wer gegen die Rechte von trans Personen kämpft, macht sich mit denen gemein, die auch sonst gegen Gleichstellung mobilmachen – auch die von cis Frauen, versteht sich.

In der Tendenz sind übrigens die, die sich derzeit so heftig wehren, trans Frauen als Frauen zu akzeptieren, cis Frauen einer nicht mehr ganz jungen Generation, die die Erfahrung ihrer eigenen Diskriminierung und Unterdrückung einbringen. Aber es gibt kein Copyright auf Diskriminierungserfahrung, und diese gegeneinander aufzurechnen war noch nie produktiv. Im Gegenteil: Die Erfahrung muss die gemeinsame Klammer sein und das gemeinsame Ziel – das, was politisch verbindet, nicht das biologische Geschlecht.

Es ist ein Erfolg feministischer Debatten, sich zu hinterfragen, über eigene Leerstellen klar zu werden und den Blick zu weiten. Bildet Banden, keine neuen Fronten! Feminismus ist für alle da, für trans Personen, cis Frauen und Queers. Sonst ist es kein Feminismus.

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war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erscheint mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.

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