Gewaltbereite Netzwerke im Osten: Aufgeilen am schwachen Staat

In Ostdeutschland erstarkt der Rechtsextremismus nicht wegen Impfpflichtdebatten. Sondern weil der Staat ihn verharmlost und sich zurückzieht.

Reihe Polizei gegenüber wütenden Männern

Polizei regelt: Demo gegen Coronamaßnahmen in Halberstadt am Montag Foto: Matthias Bein/dpa

Bei der Radikalisierung von Impf­geg­ne­r:in­nen, so schien es zuletzt, muss jemand auf Vorspulen gedrückt haben. Vor gut einer Woche zogen Menschen mit Fackeln vor das Haus von Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping. Po­li­ti­ke­r:in­nen aller Parteien äußerten Entsetzen. Verschiedene Innenminister, darunter der da noch amtierende Horst Seehofer, warnten: Das Einführen einer Impflicht könne zu weiterer Radikalisierung führen. Wenige Tage später, am Mittwoch, reagierte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) auf Morddrohungen gegen seine Person. Er sagte, man müsse „mit allen juristischen Mitteln gegen solche Entgrenzung vorgehen“. Männer hatten in einer Chatgruppe auf Telegram sowie bei Treffen erörtert, wie sie Kretschmer töten könnten. Eine Impfpflicht haben sie dafür nicht gebraucht.

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Die rasche Abfolge von Fackelmarsch und – durch journalistische Recherche, nicht etwa durch polizeiliche Ermittlung öffentlich gewordenen – Mordfantasien stehen für die Eindrücke der vergangenen Wochen. Verantwortliche Po­li­ti­ke­r:in­nen dackeln mitsamt ihrer Behörden einem immer selbstbewusster und radikaler auftretenden Mix aus Geg­ne­r:in­nen der Coronapolitik und Ver­tre­te­r:in­nen rechtsextremer Milieus hinterher. Aufhalten? Regeln durchsetzen? Das geschah nur vereinzelt.

Aus diesem Zurückweichen des Staates, diesem Nicht-behelligt-werden schöpfen Impf­geg­ne­r:in­nen ein Gefühl großer Selbstwirksamkeit. Man sollte zudem nie den Lustgewinn an einer Revolte unterschätzen, die für einen selbst kaum Risiken birgt: Das gegenseitige Aufgeilen an der eigenen Unangepasstheit, für die man nicht mal nach Hause geschickt wird. Zugleich gibt sich zumindest ein Teil der gemeinschaftlichen Halluzination hin, Verfolgte einer Diktatur zu sein, die sie per Impfung auslöschen kann und will. Manche Menschen, die die DDR noch erlebt haben, geben dabei die Kronzeugen und bestärken die Opfererzählung.

Diese als Gemeinde zelebrierte Ohnmachtsillusion und die real erfahrene Wirkmacht des eigenen Handelns sind nur scheinbar Gegensätze. Sie verbinden sich wie die Stränge der Doppelhelix zur politischen DNA der Proteste. Die Mordpläne einzelner sind da eine erwartbare Konsequenz. Gewaltbereite Impf­geg­ne­r:in­nen sehen die diktatorische Bedrohung als so stark, den Staat dagegen als so schwach, dass ihnen ein Anschlag erfolgversprechend erscheint.

Das Zurückweichen vor den Rechten hat Tradition

Po­li­ti­ke­r:in­nen werden in Ostdeutschland, aber auch im Westen, nicht erst seit vergangener Woche bedroht. Einschneidend war der Mord an Walther Lübcke 2019. Aber vorher schon erlebten Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r:in­nen monate- und jahrelang Drohungen und Schikanen rechter bis rechtsextremer Milieus, weil sie sich für zwischenmenschliche Selbstverständlichkeiten eingesetzt hatten: Markus Nierth in Tröglitz, Karin Larisch in Güstrow, Martina Angermann in Arnsdorf, die Liste ließe sich fortsetzen. Ostdeutsche Po­li­ti­ke­r:in­nen fanden darauf oft keine angemessenen Antworten, bis heute werden Rechtsextreme verharmlost und zum Gespräch eingeladen.

Die Proteste gegen die Coronamaßnahmen waren in vielen Teilen Ostdeutschlands übrigens nie weg, es gehen gerade nur wieder sehr viel mehr Leute auf die Straße. In Halberstadt über 1.500, in Magdeburg 1.000, in Chemnitz 400. Teilweise waren die Protestzüge nicht angemeldet, beziehungsweise konnte die Polizei keine An­mel­de­r:in­nen auftreiben. Mobilisiert hatten in Teilen rechtsextreme Netzwerke wie die „Freien Sachsen“, oft per Telegram. In Chemnitz fanden Be­am­t:in­nen am Montagabend hingegen Zeit, sich zirka 30 linke Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen rabiat vorzuknöpfen.

Das Zurückweichen der Polizei vor rechten bis rechtsextremen Protesten ist in Ostdeutschland erlernt. Seit den frühen 90er Jahren, als in Hoyerswerda, Rostock und anderswo Ver­trags­ar­bei­te­r:in­nen und Asyl­be­wer­be­r:in­nen angegriffen wurden – und die sogenannten Sicherheitsbehörden ihnen keine Sicherheit gaben.

Im Zweifel erscheint das als fremd gelesene, das als dekadent empfundene, die Abweichung, das Linke, das Migrantische eher bekämpfenswert als die angebliche Mitte der Gesellschaft, die sich vielleicht gerade nur verlaufen hat in den Wirren des Lebens. So funktionierten schon die DDR-Behörden.

„Texas von Deutschland“

Viele, die für die Proteste mobilisieren und an ihnen teilnehmen, wurden damals sozialisiert oder kennen entsprechende Geschichten. Die AfD macht mit Slogans wie „Vollende die Wende“ tatsächliche und vermeintliche völkische Elemente der Revolution von 1989 für sich nutzbar.

Der Staat ist in Ostdeutschland auch in der Fläche zurückgewichen, aus Kostengründen. Als ich letztes Jahr ein paar Monate im südlichen Brandenburg gewohnt habe, tanzte man dort noch in Massen, als das längst verboten war. Niemand rechnete mit Kontrollen. „Wir sind das Texas von Deutschland“, sagten mir Alte wie Junge. Eine Chiffre für ein Land, in dem die Staatsgewalt die weiße Mehrheit nicht mehr berührt.

Die Impf­geg­ne­r:in­nen reagieren in ihren Netzwerken jedenfalls fassungslos wütend auf die Möglichkeit von Kontrolle. Diese Netzwerke sind im Umfeld der Pegida-Märsche entstanden, aus dem sogenannten Trauermarsch von Chemnitz 2018 heraus, bei rassistischen Bürgerinitiativen. Der Magdeburger Rechtsextremismusexperte David Begrich spricht am Telefon von „Protestplattformen“. Rechtsextreme stellen Impf­geg­ne­r:in­nen Kanäle und ihre Erfahrung beim Organisieren von Aktionen zur Verfügung.

Natürlich nicht uneigennützig: Rechtsextreme Ideologie ist Umsturzideologie, Rechtsextreme suchen immer Verbündete. Die personell oft gar nicht so scharf zu trennenden Gruppen verbinden sich aufgrund ihrer gemeinsamen Wahrnehmung, dass es nötig und möglich sei, ein System zu stürzen. „Die wollen total zerstören“, sagte mir eine Reporterin, die in Sachsen viel unterwegs ist.

Das erlernte Verhalten und die erprobten Strukturen der Umsturzgläubigen verschwinden nicht von selbst – und ­sicher nicht durch gutes Zureden. Selbst das jetzt diskutierte härtere Vorgehen gegen Telegram oder härteres Durchgreifen der Polizei in einigen Städten wird nichts grundlegend ändern. Wenn das jahrzehntelange Verharmlosen und Normalisieren von Rechtsextremen in Teilen der ostdeutschen Politik nicht endlich aufhört, werden jene, mit denen man so unbedingt das Gespräch sucht, eines Tages vor der eigenen Haustür stehen.

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Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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