Fragen und Antworten zum Green-Deal: Macht die EU ernst?

Am Dienstag entscheidet der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments über die Reform des Emissions­handels.

Steinkohlekraftwerk

Steinkohlekraftwerk in Berlin Foto: Paul Langrock

1Eine Reform des Emissionshandels? Wieso sollte mich das interessieren?

Weil es der wichtigste Hebel ist, um die EU bis 2050 von Kohle, Öl und Gas wegzubekommen. Und weil Europa so die Pariser Klimaziele halten, die Wirtschaft modernisieren, die Menschen nicht überlasten und weltweit zum Klimavorbild werden will. Jetzt wird es ernst.

2 Emissionshandel? Der funktioniert eh nicht.

Falsch. In seinen ersten Jahren hat der Mechanismus (ETS I für Emission Trading System I) tatsächlich kaum etwas gebracht. Aber inzwischen läuft es gut. Der ETS reguliert etwa 11.000 Kraftwerke und Fabriken der EU, die insgesamt gut 40 Prozent des europäischen CO2 ausstoßen. Eine Tonne CO2 kostet da inzwischen etwa 90 Euro. Der CO2-Ausstoß aus diesen Bereichen ist seit 2005 um 43 Prozent gesunken – viel mehr als die gesamten Emissionen der EU, die nur um 24 Prozent verringert wurden. Der Grundgedanke des Emis­sions­handels ist ja auch gut: Die klimaschädlichen CO2-Emissionen werden mit einer Obergrenze gedeckelt, die jedes Jahr sinkt. Für jede Tonne CO2 muss ein Unternehmen eine Lizenz vorweisen. Spart es Emissionen ein, kann es diese Lizenzen an andere Firmen verkaufen.

3 Und der Rest?

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Den müssen die 27 EU-Staaten vor allem in den Bereichen Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfall mit eigenen Maßnahmen reduzieren. Das funktioniert aber nicht richtig, höhere Preise und schärfere Regeln für den Klimaschutz sind unpopulär. Deshalb soll es jetzt auch in der EU einen ETS II für einen höheren CO2-Preis bei Verkehr und Gebäude geben.

4 Ein CO2-Preis für Verkehr und Gebäude? Den gibt es doch in Deutschland schon längst!

Jawoll, gut aufgepasst! Bereits seit Januar 2021 gilt bei uns auch für das CO2 aus Benzin, Diesel, Heizöl oder Gas eine jährliche Obergrenze und ein zusätzlicher Preis: Derzeit 30 Euro pro Tonne CO2, bis 2025 sollen es sogar 55 Euro sein. Im Sommer 2021 hat die EU-Kommission vorgeschlagen, dieses System in der ganzen EU einzuführen und mit dem Geld daraus – geplante 72 Milliarden Euro bis 2030 – über einen sogenannten Sozialfonds sowohl entsprechende Klimaschutzmaßnahmen als auch das notwendige Energiesparen und einen sozialen Ausgleich zu finanzieren.

5 Und das kommt jetzt?

Na ja, so ein bisschen. Schließlich leben wir in der EU. Der bisherige Kompromiss für Dienstag sieht so aus: Ab 2023 gibt es einen CO2-Preis für Gebäude und Verkehr, aber nur für gewerbliche Nutzungen – also Büros und Lieferverkehr. Das macht insgesamt nur etwa 30 bis 45 Prozent der geplanten Emissionsreduzierungen aus und bringt entsprechend weniger Einnahmen. Der CO2-Preis darf dafür nicht höher als 50 Euro liegen. Für Private – wie in Deutschland – soll er frühestens 2029 eingeführt werden. Dafür gibt es viele Hürden: Er darf nicht zu Armut führen, drei Jahre vorher muss es Geld aus dem „Sozialfonds“ geben und die Energiepreise dürfen nicht höher liegen als im März 2022. Außerdem soll die Kommission prüfen, ob man den Energie­kon­zer­nen ihre Extragewinne aus den Preissteigerungen seit dem Ukrai­ne­krieg teilweise wegsteuern kann. All das soll verhindern, dass die Menschen gegen steigende Energiekosten protestieren – wie vor einigen Jahren die „Gelbwesten“ in Frankreich.

6 Und was wird aus dem deutschen CO2-Preis, wenn eine solche EU-­Regel kommt?

Gute Frage, nächste Frage. Darauf hat niemand bisher eine Antwort. Der EU-Preis wird niedriger liegen und nur für Gewerbe gelten. Da könnte man (zum Beispiel die FDP) argumentierten: Um deutsche Firmen nicht zu benachteiligen und um „EU-konform“ zu sein, müsse man die deutschen CO2-Preise an die EU angleichen – und damit senken. Was weniger CO2 sparen und weniger Geld einbringen würde.

7 Und wird wenigstens im renovierten Emis­sions­handel für die Industrie ordentlich CO2 eingespart?

Die Reformen im ETS I sind tatsächlich ganz schön knackig. Die Obergrenze für die Emis­sio­nen soll künftig fast doppelt so kräftig sinken wie bisher, um 4,2 Prozent jedes Jahr, vielleicht noch schärfer. Dann sollen nach dem Willen der linksliberalen Mehrheit im Ausschuss ab 2030 die kostenlosen Zertifikate für die Industrie wegfallen – also alle Firmen voll für ihre CO2-Emissionen zahlen müssen. Die Konservativen sind da vorsichtiger. Außerdem fallen endlich auch die Emissionen aus Flugzeugen, Schiffen und Müllverbrennungsanlagen unter den Emissionshandel. Gleichzeitig soll der EU-Außenzoll (Carbon Border Adjustment Mechanism) eingeführt werden, um die Firmen vor dreckigen Billigimporten zu schützen: Billiger Stahl aus Russland oder China, der mit viel CO2 hergestellt und transportiert wird, soll nicht den zukünftig „grünen“, mit Wasserstoff produzierten europäischen Stahl vom Markt drängen. Unternehmen, die ihre CO2-Emis­sio­nen Richtung null fahren, werden mit viel Geld unterstützt: Etwa 140 Milliarden Euro sollen bis 2030 zur Verfügung stehen, um neue grüne Anlagen zu subventionieren oder Preisunterschiede zu dreckigen Produkten auszugleichen. Die Ausgaben aus diesem „Klima-Investitionsfonds“ sollen auch für Ausbau der Erneuerbaren, für Klimaschutz in Schwellen- und Entwicklungsländern und für Busse und Bahnen verwendet werden.

8 Sind die Pakete jetzt ein Fortschritt?

Das kommt drauf an. Beim ETS I werden tatsächlich drastisch die Zügel angezogen. Das muss auch sein, um bis 2030 auf ein Minus von 61 bis 67 Prozent zu kommen, die das Pariser Klimaziel erfordert. Für einen „Erfolg für das Klima, die Indus­trie und Europas BürgerInnen“, lobt der Verhandlungsführer der Grünen, Michael Bloss, sich und seine KollegInnen. Beim ETS II dagegen fragt sich etwa Brigitte Knopf, Generalsekretärin des Mercator Research Institute MCC, „ob wir den Spatz in der Hand haben oder ob dieser Spatz auf dem Dach sitzt“. Denn anders als geplant werden nur die gewerblichen Emissionen erfasst. Sie bemerkt auch, dass die Politik beim CO2-Preis offenbar erst die Entlastung beschließen will, ehe das Preissignal das Verhalten der KonsumentInnen wirklich beeinflusst. Peter Liese (CDU) wiederum, der Verhandlungsführer für die konservative EVP, zeigt sich „insgesamt zufrieden“, auch wenn die Verschiebung des ETS II auf 2029 ein „großer Wermutstropfen“ sei. Aber Liese erinnert auch daran: Noch vor ein paar Monaten galt der ETS II in Brüssel als klinisch tot, „jetzt hat der Patient das Krankenhaus verlassen“. Immerhin: Der Kompromiss zum ETS II widerlegt das Argument, Europa mache Klimaschutz ohne Rücksicht auf die Armen. Und er zeigt, dass das Versagen der Mitgliedstaaten beim Klimaschutz zu EU-weiten Instrumenten führt.

9 Welchen Einfluss hat der Ukrainekrieg?

Einerseits wurde sehr deutlich: Europa muss so schnell wie möglich weg von den Fossilen und braucht sehr schnell sehr viel mehr erneuerbare Energien, sagen Verhandler. Andererseits steckt allen die Angst vor Preisschocks in den Knochen wie sie seit Februar bei Gas und Öl zu sehen sind. Das macht die Abgeordneten vorsichtiger, wenn es darum geht, im ETS I ab 2024 die Zertifikate noch weiter zu verknappen und die Preise hochzutreiben, wie es eigentlich für den Klimaschutz notwendig wäre.

10 Ist das jetzt schon ­alles in trockenen Tüchern?

Hahaha! Schon im Umweltausschuss nächste Woche ist nicht ganz klar, welche Details dieser Regel eine Mehrheit finden. Die linken Fraktionen wollen noch verschärfen, die Konservativen die Industrie länger entlasten. Dann kommt Anfang Juni die Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments. Und da entscheiden nicht nur die UmweltpolitikerInnen, sondern alle Abgeordneten, und die Industrie­lobby hat noch Zeit, die scharfen Kanten rund zu schleifen. Und wenn es dann eine Position des Parlaments gibt, muss sie mit dem EU-Rat zu einem Kompromiss kommen. Das geschieht meist im „Trilog“ zwischen Parlament, Rat und EU-Kommission. Da haben es halbwegs ehrgeizige Ideen immer schwer. Allerdings: Die Vorschläge zum ETS I und ETS II fallen ja nicht vom Himmel. Sie setzen um, was Parlament, Rat und Kommission vor einem Jahr beschlossen haben. Es wird sich nun zeigen, ob die EU es ernst meint.

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