Romanverfilmung „Warten auf Bojangles“: Sorgen sind so vulgär

Der französische Regisseur Régis Roinsard macht in seinem Film „Warten auf Bojangles“ eine bipolare Störung zur bonbonbunten Tragikomödie.

Eine junge Familie mit Vater, Mutter und Sohn sitzen auf dem Fussboden vor ein runden Teppich, auf dem Essen steht. Im Vordergund steht ein Kranich und pickt etwas vom Boden auf.

Fragiles Glück: Camille (Virginie Efira), Georges (Romain Duris) und Sohn Gary (Solan Machado-Graner) Foto: Studiocanal

In seinen ausgelatschten Schuhen und abgerissenen Klamotten tanzte Mr. Bojangles in einer Knastzelle oder auch für ein bisschen Trinkgeld in der Bar. Ein melancholisches Stehaufmännchen, das Sammy Davis Jr. mit dem Song „Mr. Bojangles“ weltberühmt machte.

Geschrieben hatte den Ohrwurm 1968 der im vorletzten Jahr verstorbene Countrymusiker Jerry Jeff Walker, seitdem wurde das Lied mit der eingängigen Melodie und dem leichten Weltschmerz von unzähligen Sän­ge­r*in­nen höchst unterschiedlich interpretiert, mal swingend von Robbie Williams, mal zu Tränen rührend von Nina Simone.

Und er diente als Inspiration für Titel, Thema und Tonfall eines französischen Bestsellers, Olivier Bourdeauts „Warten auf Bojangles“, der nun als nostalgische Tragikomödie verfilmt wurde.

Südfrankreich der späten 50er Jahre

Hier in der Schmelzsoulvariante von Marlon Williams ist das Stück der Lieblingssong von Camille (Virginie Efira) und Georges (Romain Duris), der das Liebespaar bei allen Hochs und Tiefs begleitet. Und davon gibt es mehr als genug. Auf einer mondänen Gartenparty im Südfrankreich der späten 1950er Jahre treffen sie aufeinander, zwei extravagant Unangepasste voller Lebenslust inmitten einer saturiert-bourgeoisen Gesellschaft, und es sprühen sofort Funken.

„Warten auf Bojangles“. Regie: Régis Roinsard. Mit Virginie Efira, Romain Duris u. a. Frankreich 2020, 124 Min.

Georges hat sich da bereits mit diversen Lügengeschichten und Fake-Biografien bei diversen Damen interessant gemacht, als er eine tanzende junge Frau entdeckt, die mit ihrer charmant-schillernden Art die Blicke auf sich zieht und sich im ersten Flirt mit Georges immer wieder neue Vornamen gibt. Georges ist hingerissen, doch sein Schwindel fliegt auf und die beiden flüchten kurz­entschlossen.

Wie im Rausch rasen sie mit dem Cabrio durch die Landschaft, bis sie just vor einer Kapelle bruchlanden, in der sie sich flugs selbst verheiraten. Am Altar schwört Georges nicht nur, Camille zu lieben und zu ehren, sondern alle Frauen, die sie sein wird. Ebendort zeugen sie gleich noch ihren Sohn, den sie später Gary nennen, nach Gary Cooper, dem Hollywoodstar.

So turbulent-schwindelerregend, unbekümmert und in quietschbunten Pastelltönen beginnt Régis Roinsards Nos­tal­gie­komödie, die in weiten Teilen mit ihrem Eskapismus eine Sehnsucht nach unbeschwerten Vergnügen bedient, die von Krieg, Pandemie und Inflation nichts wissen will.

Luftschlösser und Cocktailpartys

Auch nach einem Zeitsprung von mehreren Jahren, die beiden Enfants terribles sind inzwischen Eltern, aber noch immer Kindsköpfe, die in Saus und Braus leben, Luftschlösser bauend die als banal empfundene Wirklichkeit verdrängen und in ihrer prachtvollen Wohnung allabendlich rauschende Cocktailpartys geben, während sich die Post ungeöffnet meterhoch im Flur stapelt.

Aus Gary ist ein aufgeweckter Junge geworden, der jedoch in der Schule gemobbt und verprügelt wird, wenn er vom unglaublichen Familienleben erzählt und niemand ihm glauben will. Und irgendwann bekommt diese überdreht fröhliche Traumwelt des exzentrischen Trios tatsächlich kleine Risse, der Gerichtsvollzieher steht vor der Tür, Camille fühlt sich zunehmend einsam, wenn Georges tagsüber einer Lohnarbeit nachgeht, sie reagiert oft unberechenbar.

Er überspielt das lange mit strahlendem Lächeln, Besorgnis ist schließlich ein vulgäres Gefühl. Als ihre manischen und depressiven Phasen extremer werden, wird sie schließlich in die Psychiatrie eingewiesen, wo ihre Erkrankung weniger behandelt als bestraft wird. Bis ihre Jungs sie in unnachahmlicher Art von dort zu befreien versuchen.

Zwei extravagant Unangepasste voller Lebenslust inmitten einer saturiert-bourgeoisen Gesellschaft

Die Vorlage, der Debütroman des 1980 geborenen Olivier Bourdeaut, traf 2016 einen Nerv mit den surrealen Anleihen an Boris Vian („Der Schaum der Tage“) und Nobelpreisträger Patrick Modiano („Im Café der verlorenen Jugend“) und es war nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Regisseur wie Roinsard dafür interessierte, der sich mit der Filmkomödie „Mademoiselle Populaire“ (2012) bereits als Erschaffer zuckersüßer Nostalgiewelten empfahl.

Tanz auf dem Vulkan

Sein neuer Film schlägt zwar vor allem in der zweiten Hälfte durchaus dunklere Töne an, bleibt aber stets an der wohlfühlig-patinierten „Amélie“-Oberfläche und nimmt letztlich die Erkrankung seiner weiblichen Hauptfigur nicht ernst, wird dem komplexen Thema psychische Gesundheit oder der unbenannt bleibenden bipolaren Störung nicht gerecht, sondern erzählt von einer Amour fou als Tanz auf dem Vulkan.

Nur hin und wieder bricht die Wirklichkeit der Nachkriegsjahre ein, wenn in einem Nebensatz erwähnt wird, dass Camilles Vater zur Zeit der deutschen Besatzung „nicht zu den Guten“ gehörte und sich Jahre später auf dem Dachboden erhängte, wo ihn Camille als kleines Mädchen fand.

Für das gefährdete Außenseitertum seiner Figuren findet der Film jedoch keine eigene Position, er illustriert lediglich die Fantasiewelten und gefällt sich im leichten Ankratzen der glänzenden Bonbonschale. Am ehesten artikuliert sie sich noch im Schmelz von „Mr. Bojangles“ und seinem Tanz am Abgrund, damit das Leben weitergeht, so traurig der Verlust am Ende auch ist.

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