Krimi-Roman auf Sardinien: Schräge Vögel auf kargen Bergen

Gesuino Némus erzählt in „Süße Versuchung“ von einer Kriminalgeschichte auf Sardinien. Manches darin ist verworren – doch es lohnt sich.

Eine Stadt am Hang auf Sardinien, davor das Meer

Schauplatz von „Süße Versuchung“: die Insel Sardinien Foto: Thomas Kakalik/PantherMedia/imago

Es würde zu kurz greifen, den Stil von Gesuino Némus, der in Wirklichkeit Matteo Locci heißt, „skurril“ zu nennen. Eine gesichtslose Gestalt namens Gesuino Némus geistert auch durch dieses Buch, in der Nebenfigur des Dorfirren, der manchmal literarisch wertvolle Texte schreibt, die dann vom offiziellen Dorfpoeten als dessen eigene ausgegeben werden.

Diese Metaebene mitbedenkend, versteht sich, dass vieles in diesem Roman nicht so ist, wie es scheint. Die Übergänge zwischen „skurril“, „absurd“ und „verdächtig“ sind ebenso fließend wie die zwischen den extremen Klimazonen auf der Insel, „auf der man“, wie es an einer Stelle heißt, „von Südtiroler Winterlandschaften bis zu tropischen Verhältnissen wie in Polynesien innerhalb einer halben Autostunde alles erleben konnte, solange man ein versierter Fahrer war“.

Kommissar Marzio Boccinu verschlägt es in das einsam gelegene sardische Bergdorf Telévras, nachdem in der Nähe ein Auto mit einer toten Französin darin an einem Abhang gefunden wurde. Kurze Zeit später erschießt sich der neugewählte Vorsitzende des Heimatvereins. Während der erste Todesfall rätselhaft ist und bleibt, umso mehr, als die Verunglückte offenbar von niemandem vermisst wird, scheint beim zweiten eindeutig Selbstmord vorzuliegen, obwohl auch hier ein Motiv fehlt.

Dabei schien es am Anfang eigentlich so, als ob es um Politik ginge, soll doch in der strukturschwachen Region ein Gefängnis für Schwerverbrecher aus ganz Italien gebaut werden. Und dazu haben die Mitglieder des Heimatvereins durchaus unterschiedliche Ansichten …

Der Kommissar steigt aus

Aber nachdem all das passiert und erzählt ist, hört der Roman für eine Weile einfach ein bisschen auf, Krimi zu sein. Erfolglos in seinen Ermittlungen, quittiert Marzio Boccinu den Polizeidienst, um sich in Telévras niederzulassen. Er lebt billig in einem alten Häuschen, das ihm der Dorfpoet vermietet, unternimmt lange einsame Wanderungen, verkommt äußerlich zusehends und verbringt viele Abende in der Dorfbar, deren Betreiber legendären Selbstgebrannten ausschenkt.

Schließlich ereilt den Kommissar in dieser Abgeschiedenheit auch noch die Liebe; aber ehe es zu einem Happy End kommen kann, nimmt das kriminelle Geschehen wieder an Fahrt auf. Und man könnte beginnen, an den ehrlichen Absichten des Marzio Boccinu zu zweifeln, der vielleicht doch ein bisschen zu gut bekannt ist mit einem russischen Hehler, bei dem sich zu Fantasiepreisen allerlei zweifelhafte Waren, darunter auch scharfe Waffen, erwerben lassen.

Gesuino Némus: „Süße Versuchung“. Aus dem Italienischen von Juliane Nachtigal. Julia Eisele Verlag, München 2022, 336 S., 16,99 Euro

Es gibt so manches in diesem Roman, das durchaus verwirrend, um nicht zu sagen verworren, ist, aber diese Leserverwirrung liegt unbedingt in der Absicht des Autors, der mit der Einführung zusätzlicher Textebenen sogar noch mehr erzählerische Abweichung stiftet. Und doch biegt die Handlung irgendwann ganz organisch wieder ein auf eine narrative Zielgerade, an deren Wegesrand alle Verbrechen zufriedenstellend aufgeklärt werden und auch sonst manches ins Lot kommt.

Kurz: „Süße Versuchung“ ist ein Roman, der mit herkömmlicher Genreware phasenweise gar nicht so viel zu tun hat. Aber wer sich auf des Autors kriminell abweichendes Spiel einlässt, kann ein echtes Lesevergnügen erleben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.