Buch von Bob Dylan: Dem befreundeten Angler gewidmet

Neverending Tour: Bob Dylan hört sich Songs von ­Kol­le­g:in­nen an und hält seine Gedanken darüber in der „Philosophie des modernen Songs“ fest.

Bob Dylan mit Hut am Klavier

Boxt im eigenen Gym: Bob Dylan (hier bei einem Konzert im Londoner Hyde Park im Juli 2009) Foto: Dave J. Hogan/getty

Bob Dylan hat ein Buch geschrieben. Sieht man von diversen Songeditionen ab, ist es erst das dritte eigenständige literarische Werk des US-Weltstars. Doch darüber sollten sich nur solche Leute mokieren, die bis heute nicht verkraftet haben, dass der Musiker Dylan 2016 den Literaturnobelpreis erhielt. It ain’t me.

„Die Philosophie des modernen Songs“ heißt es und hat den Anklang eines geisteswissenschaftlichen Monumentalwerks, aber selbstverständlich hat der 81-jährige Künstler keine Monografie mit Überblick des Forschungsstands plus Anmerkungsapparat vorgelegt. Eher ist es mehr. Teils finden sich Listen über Sänger, die auf der Bühne weinen, und über Songs, die klassischer Musik entspringen, ein Abriss der Filmgeschichte.

Bob Dylan: „Die Philosophie des modernen Songs“. Aus dem Englischen von Conny Lösch. C.H. Beck Verlag, München 2022, 352 Seiten, 35 Euro

Vor allem aber sind es Essays über 66 Songs und ihre Interpreten – und leider nur vier Interpretinnen –, die Dylan geprägt haben. Tatsächlich erklärt der Singer-Songwriter darin populäre Musik so, dass sie allgemein verständlich wird. Dabei ist beinah alles hier überraschend: Dass The Who mit ihrem modernistischen Klassiker „My Generation“ und die Punkband The Clash mit ihrem Hit „London Calling“ dabei sind. Dass mit freihändig assoziierten Bebilderungen gearbeitet wird. Oder dass Songs der Beatles, von Chuck Berry und Woody Guthrie darin fehlen.

Dafür aber ist Domenico Modugno und sein Song „Volare“ vertreten. Hierzulande meist als italienischer Schlager wahrgenommen, zeigt Dylan an ihm exemplarisch die sekundäre Bedeutung von Sprache. Ein Song überzeugt, gerade auch wenn man die Sprache, in der er gesungen wird, nicht beherrscht. Fado etwa, so Dylan, sei auch dann traurig, „wenn man kein Fitzelchen Portugiesisch kann“. Deutsch? „Wunderbar für eine bestimmte Art von Bierzelt-Humptata“. Und das Italienisch von „Volare“? Weich, karamellig, melodiös und nebenbei ein „perfektes Beispiel, dass man einfach nur ‚oh, oh, oh‘ singen muss, wenn einem zu einer Melodie kein Text einfällt“. But you don’t know what it is.

„Volare“ und „Mack, the Knife“

Dylan nimmt sich Songs vor, lässt sie auf sich wirken und findet so heraus, warum sie für ihn groß sind. „Volare“ ist eine Ausnahme, und auch Titel wie das Brecht/Weillsche „Mack the Knife“, die Moritat von Mackie Messer, bei Dylan in der Interpretation von US-Sänger Bobby. Darin vorgestellt, fremdelt man ein wenig mit der Storyline.

Vielmehr setzt Dylan in seiner „Philosophie“ meist etwas fort, das er schon seit vielen Jahren macht: Die Americana archivieren, diesmal überwiegend in Songs des 20. Jahrhunderts. Schon Dylans „Theme Time Radio Hour“-Radiosendungen und seine autobiografischen Erinnerungen „Chronicles 1“ stellen die US-amerikanische Musikgeschichte als das dar, was sie ist: ein gigantischer und noch gar nicht genug gewürdigter Beitrag zum Weltkulturerbe.

Willie Nelson, John Trudell und Dean Martin

„Pancho and Lefty“ von Willie Nelson, „Doesn’t Hurt Anymore“ von John Trudell und „Blue Moon“ von Dean Martin illustrieren diesen Teil des Anliegens bestens.

Allerbestenfalls skurril wirkt seine Forderung nach der polygamen Ehe

Wo steht in dieser Reihe eigentlich Dylan selbst? Über den britischen Popstar Elvis Costello notiert er kritisch, dieser habe wohl „eine starke Dosis ‚Subterranean Homesick Blues‘ intus“. Zu „Big Boss Man“ bemerkt Dylan, Jimmy Reed spiele Mundharmonika mit Gestell, „aber mit einer Mundharmonika auf einem Halter kann man nicht allzu viel anstellen“.

Und in seiner Analyse von „My Generation“ notiert Dylan: „In Wirklichkeit bist du achtzig Jahre alt, ein alter Mann, der in einem Seniorenheim herumgeschoben wird.“ Das alles darf man wohl als Selbstironie interpretieren.

Allerbestenfalls skurril wirkt seine Forderung nach der polygamen Ehe. Auf sie kommt er, weil er Scheidungsanwälte hasst. Einer Frau erginge es besser, „wenn sie eine von vielen Frauen eines reichen Mannes wäre“, fabuliert der zweimal geschiedene Dylan. Der Song, der ihn zu so etwas animiert, ist „Cheaper to Keep Her“ von Südstaaten-Soulsänger Johnnie Taylor.

Der nicht verheiratete Bob Dylan tourt immer noch nicht enden wollend durch die Welt, with no direction home. Jüngst hat er in Deutschland binnen neun Tagen sechs Konzerte absolviert. Er boxt im eigenen Gym, und eine seiner Danksagungen für das Buch geht an einen Freund, mit dem er oft angeln geht.

Neben diesen durchaus zeitintensiven Haupt- und Nebentätigkeiten malt Dylan, und aus altem Stahl schweißt, schraubt und hämmert er beeindruckende Skulpturen. Schon recht früh hat er mit „Renaldo and Clara“ einen Spielfilm geschaffen und in dem Film „Pat Garrett & Billy the Kid“ als Schauspieler mitgewirkt. Ein Museum gibt es auch schon, das „Bob Dylan Center“ in Tulsa, Oklahoma, und jetzt eben eine „Philosophie des modernen Songs“.

Wesentlich mehr künstlerischer Ausdruck als das, was Bob Dylan in über 60 Bühnen- und Künstlerjahren geleistet hat, dürfte kaum möglich sein. Und mit Ausdruckstanz wird Dylan ja wohl kaum noch anfangen. Obwohl, in the jingle jangle morning I’ll come following you.

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