Zum Gedenken an Punkikone Joe Strummer: Sicher, dank Bullshit-Detektor

Vor 20 Jahren verstarb Joe Strummer. Mit seiner Band The Clash wurde der Brite weltberühmt. Erinnerung an einen widersprüchlichen Künstler.

Joe Sttummer trägt eine Sonnenbrille in der Nacht und lehnt in Lederjacke an einem Hydranten

Punkpionier und Reggaefan, aber auch früher HipHop-Adept: Joe Strummer in New York, 1983 Foto: Dave Hogan/Hulton Archive/Getty Images

Wenn am Anfang einer Erinnerung an die britische Punk­ikone Joe Strummer ein berühmtes Zitat seines hassgeliebten Bandkollegen Mick Jones aus dem Film „Rude Boy“ steht, ist das kein Sakrileg, sondern eine verbale Backpfeife, nach der hoffentlich alle noch mal die Fingernägel an den Heckflossen ihrer Straßenkreuzer schärfen: „Ich bin Kommunist.

Aber ich stehe nicht für eine Staatsform, in der die Leute in Overalls und Arbeitsschuhen rumlaufen, in meiner Version fahren Kommunisten Cadillac.“ Als er nach einer Wette gegen einen BBC-Moderator im Jahr 1980 einen Cadillac gewann, überließ Joe Strummer die Karre den Einwohnern der kleinen englischen Stahlstadt Corby, die durch die Wirtschaftsreformen des Thatcherismus verarmt waren.

Mit Jones und dem Bassisten Paul Simonon bildete Joe Strummer den Kern der 1976 in London gegründeten Punkband The Clash. Als Hauptsänger wurde Strummer bald in die Rolle eines „Sprechers der Punkgeneration“ gedrängt. Eine Verantwortung, vor der er sich in den Wunsch nach mehr Anonymität flüchtete, obwohl er als ekstatischer Performer das Rampenlicht suchte, wie sein Biograf Chris Salewicz festgestellt hat.

Debatten um Parolen

Um die Ernsthaftigkeit der linken Parolen und Aussagen von The Clash entspannten sich kontroverse Debatten. Und sie begleiteten Strummer auch nach dem eher traurigen Ende der Band als Zweimann-Straßenmusikkapelle Mitte der 1980er über seine erstaunliche Solokarriere bis zum 22. Dezember 2002, dem Tag seines unerwarteten Todes im Alter von 50 Jahren.

Kein Künstler wird so schmerzlich vermisst wie Strummer, der wüste Schimpfer und unverbesserliche Romantiker. Als Songtexter gab er den straßenbewährten Visionär. Für die Wohnungsnot in London fand er eine simple Lösung: „We’re just a Garage band / We come from Garageland“, reimte er in dem Song „Garageland vom Debütalbum, veröffentlicht im April 1977. In dem Text kommt auch der berühmte „Bullshit Detector“ zum Einsatz, mit diesem Gerät navigierten Strummer und die Seinen durch die toxische gesellschaftliche Atmosphäre Englands zu jener Zeit.

Damals zogen Strummer und Simonon aus einem besetzten Haus in den Übungsraum, der in einer Kfz-Werkstatt untergebracht war. Sein Songtext gibt eine lakonische Antwort auf einen Kritiker, der den vitalen Krach der Clash mit den Worten verunglimpft hatte, die Band solle zurück in die Garage, aus der sie gekrochen kam. Wenn es bis heute heißt, Joe Strummer sei der ultimative „Frontmann“, dann stimmt es insofern, als er die Songs auf der Bühne verkörperte, seine anspielungsreichen Texte verhehlen nie Wut und Verzweiflung, dieses Rumoren brachte er überzeugend rüber.

Als London brannte

In „London’s Burning“ brennt London vor Langeweile, zugleich zitiert der Text einen Abzählreim über die Londoner Feuersbrunst im 17. Jahrhundert. Strummers Hohn ist glaubwürdig, genau wie sein Mitgefühl; ein linker Melancholiker fern jeder Parteidisziplin.

Bürgerlich heißt Joe Strummer John Mellor und kommt als Sohn eines Diplomaten und einer Krankenschwester zur Welt. Schon in der Jugend, die er teils als Internatsschüler in Surrey verbrachte, nennt er sich Woody, um dem linken Folksänger Woody Guthrie zu entsprechen. Zu Strummer dem Schrammler wurde John Mellor in den frühen 1970ern. Als Linkshänder spielte er die Gitarre mit rechts. Die schwächere rechte Hand kriegt nur rudimentäre Riffs hin.

Das vermeintliche Handicap wird zum Signatursound: Strummers Powerchords schneiden bei The Clash die Leadgitarre von Mick Jones wie mit der Rasierklinge. Strummer muss am rechten Arm Bandagen anbringen, weil er vom Schrammeln regelmäßig Schnittverletzungen davonträgt.

Oberster Widerspruch

Er bleibt der oberste Widerspruch in einer Band, die aus diesem wandelnden Widerspruch extrem griffige Songs formt. Anders als die berüchtigten Sex Pistols, die nach ihrer Eintagsfliege, dem Album „Never Mind the Bollocks“, das Handtuch werfen, feiert The Clash in den USA kommerzielle Erfolge. Weil sie als sozialkritische Band gilt, hagelt es Proteste: „Wir möchten so viele Menschen wie möglich erreichen, deshalb haben wir beim Majorlabel CBS einen Vertrag unterschrieben. Wir spielen mit, aber wir spielen nach unseren Regeln“, sagt Strummer dem Melody Maker 1978.

Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: „CBS promote The Clash / But it ain’t for revolution / It’s just for cash“, reimt die Anarchoband Crass in ihrem Song „Punk is Dead“ im selben Jahr. Von 1977 bis 1983 veröffentlicht The Clash fünf Alben. Bei ihrem Doppel- und Tripelalbum setzt die Band jeweils durch, dass diese zum Preis von Einzelalben in die Läden kommen.

Die Musik von The Clash lässt sich gegen den Vorwurf des Boring Old Fart Sounds auch heute verteidigen: Das eng geschnürte Korsett des Punk zerlöchern The Clash mit Reggae, den sie in exakt gewählte Coverversionen integrieren und in Namechecks immer wieder aufrufen. Ähnlich wie Kingston in den Songs von Bob Marley mythologisiert wird, ist auch der Londoner Stadtteil Notting Hill beständiges Thema in der Vorstellungswelt Strummers: „Westway to the World“, ein Stück Stadtautobahn, parallel zu einer U-Bahnlinie, ist Ausgangspunkt mehrerer Songs, verewigt in dem Titel eines Dokumentarfilms von Strummer-Kumpel Don Letts.

Frühe Gedanken zum Klimawandel

Mit dem Doppelalbum „London Calling“ (1979) verlassen The Clash das Genre endgültig. Unter dem Eindruck ihrer ersten US-Tour untersucht die Band die Welt von Americana und deren unglaublich seltsame Musik. Gleich nach dem Titelsong nimmt sie sich der primitiven Wurzeln von Rock ’n’ Roll an und covert „Brand New Cadillac“, einen Song des Rockabilly-Sängers Vince Taylor. Wenige Takte zuvor, im Titelsong „London Calling“, macht sich Strummer Gedanken zum Klimawandel: „Engines Stop Running / And the wheat is growing thin.“

Die am Ende jeder Strophe gesungene Zeile „And I live by the river“ erinnert an die braune Brühe, die als Themse durch London fließt. Offen bleibt, ob der Fluss ein geeigneter Fluchtweg für den Vortragenden ist oder zur Falle wird.

Er sei Sozialist, sagt Strummer, aber habe kein Verständnis für den real existierenden Sozialismus des Ostblocks. „Karl Marx and Friedrich Engels / Came to the Checkout at the 7-11 / Marx was skint, but he had sense / Engels lend him the necessary pence“: Strummers Protorapsong „Magnificent Seven“ (1980) ist nicht nur einer der allerbesten Songtexte, die je über die Monotonie der Arbeitswelt geschrieben wurden, „Magnificent Dance“, sein Danceremix, produziert von dem New Yorker DJ Frankie Crocker, wird im selben Jahr der Soundtrack für einen heißen New Yorker Sommer, wo er sich zum vielgesampelten Dokument der frühen HipHop-Szene entwickelt.

Im Mai 1980 erlebt die in New York gefeierte Band ihr Waterloo: In der Hamburger Markthalle kommt es nach dem Aufruf, das Konzert der „Kommerzschweine“ zu stürmen und „Punk is dead“-Chören zur Saalschlacht. Strummers Gesangsmikrofon landet später im Übungsraum der Hamburger Band Slime. Weil er aus dem Zuschauerraum bespuckt und körperlich attackiert wird, zimmert Strummer einem 18-Jährigen seine Telecaster-Gitarre über den Schädel.

Scheinbar unbeeindruckt spielt die Band das Konzert routiniert zu Ende. Joe Strummer wird festgenommen und verbringt die Nacht auf einer Polizeiwache. Obwohl er hierzulande viele Fans hat, Strummers Verhältnis zu Deutschland blieb immer gespalten.

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