Mona Neubaur über Lützerath: „Es braucht die Kohle“

Die Räumung des Dorfs schmerze, sagt die grüne Klimaschutzministerin von NRW, Mona Neubaur, im Interview. Aber der RWE-Deal diene dem größeren Wohl.

Mona Neubaur

Folgenreicher Deal mit RWE: Mona Neubaur, grüne Ministerin für Wirtschaft und Klimaschutz in NRW Foto: David Young/picture alliance

taz: Frau Neubaur, Lützerath wird seit Mittwochmorgen geräumt – wie von Ihnen und dem grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit RWE vereinbart. Sind Sie zufrieden?

Mona Neubaur: Wir leben in einem Rechtsstaat. Und in dem gilt, was Gerichte ausgeurteilt haben: RWE hat das letztinstanzlich bestätigte Recht, auf Lützerath und die Kohle darunter zuzugreifen. Trotzdem konnten wir erreichen, dass der Kohleausstieg in NRW um acht Jahre auf 2030 vorgezogen wird, dass fünf Dörfer erhalten und dass rund 280 Millionen Tonnen Kohle unter der Erde bleiben. Aber klar, die Bilder aus Lützerath bewegen mich natürlich, das ist doch gar keine Frage.

45, ist Ministerin für Wirtschaft und Klimaschutz in der schwarz-grünen Landes­regierung von Nordrhein-Westfalen – und stellvertretende Ministerpräsidentin. Zuvor war sie Landesvorsitzende der NRW-Grünen und Geschäftsführerin der Heinrich-Böll-Stiftung.

Nicht nur Klimaaktivist:innen, auch die Grüne Jugend und Grünen-Abgeordnete argumentieren, die Kohle unter Lützerath werde gar nicht gebraucht. Haben Sie sich von RWE über den Tisch ziehen lassen?

Wir haben mehrere unabhängige Sachverständige prüfen lassen, ob der Erhalt von Lützerath möglich, ob die Verstromung der darunterliegenden Kohle wirklich nötig ist. Das Ergebnis ist: Der russische Angriff auf die Ukraine, der Zwang, ohne russisches Gas auskommen zu müssen, erfordert Dinge, die ich als grüne Ministerin nicht gerne tue – das können Sie mir glauben. Trotzdem: Um die Energieversorgung Nordrhein-Westfalens und Deutschlands zu sichern, müssen wir kurzfristig mehr Braunkohle verstromen. Dafür braucht es die Kohle unter Lützerath in den kommenden ein bis zwei Jahren.

Trotz der drohenden Klimakatastrophe?

Der Tagebau Garzweiler wird um die Hälfte verkleinert, das ist für den Klimaschutz ein sehr gutes Ergebnis. Damit bleiben rund 280 Millionen Tonnen Kohle in der Erde, werden 280 Millionen Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid weniger ausgestoßen. Dazu kommt: Vor dem Abriss gerettet werden auch fünf Dörfer und drei Feldhöfe. Im rheinischen Revier verliert damit niemand mehr seine Heimat.

Die grüne Landtagsabgeordnete Antje Grothus rechnet vor, im schon bestehenden Tagebau Garzweiler lägen noch 115 Millionen Tonnen Kohle. Dazu kämen weitere 45 Millionen Tonnen im sogenannten Südfeld neben Lützerath – und mehr als 30 Millionen Tonnen jährlich kann RWE in Garzweiler überhaupt nicht fördern.

Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben mit dem Kohleverstromungsbeendigungsgesetz beschlossen, unter anderem zwei Blöcke des Kraftwerks Neurath länger im Markt zu lassen. Damit die laufen können, müssen wir die Kohle unter Lützerath, die sich in besonderem Maße eignet, verfügbar machen.

Noch einmal: Warum wird Lützerath geräumt, wenn die vorhandenen Vorräte auch ohne Zerstörung des Dorfes noch für fünf Jahre reichen?

Wie die Bundesregierung haben auch wir in Nordrhein-Westfalen gerade in den aktuellen Krisenzeiten die sichere gesamtwirtschaftliche Energieversorgung ganz Deutschlands im Blick. Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine mussten wir so schnell wie möglich von russischem Gas unabhängig werden. Gleichzeitig wollen wir die letzten drei deutschen Atomkraftwerke abschalten. Unabhängige Sachverständige sagen uns, dass wir deshalb leider für kurze Zeit zusätzlichen Braunkohle-Strom ins Netz geben müssen.

Vom letzten Herbst aus gesehen ist das verständlich. Jetzt aber sind die Gasspeicher voll und Stromausfälle nicht in Sicht. Wäre es politisch nicht klüger gewesen, die Räumung abzublasen?

Es ist einfach nicht seriös, sich darauf zu verlassen, dass dieser Winter schön mild bleiben wird und den kommenden dabei aus den Augen verlieren. Wir müssen einfach das Worst-Case-Szenario im Blick haben – also Energiesicherheit auch ohne russisches Gas, auch bei einem harten Temperatursturz und leeren Gasspeichern. Gleichzeitig tun wir alles, die Braunkohleverstromung so schnell wie möglich zu reduzieren und die fossilen Energieträger am besten noch vor 2030 aus dem Markt zu verdrängen. Deshalb bauen wir die Erneuerbaren massiv aus, etwa durch die Schaffung neuer Flächen für Windräder und Solarkraft.

Wenn Ihre Argumente alle so schlüssig sind – warum muss Lützerath dann von mehr als 1.000 Po­li­zis­t:in­nen geräumt werden?

Die Proteste in Lützerath sind selbstverständlich legitim, solange sie friedlich sind. Aber noch mal: Die Rechtslage ist eindeutig. Damit die Räumung besonnen und sicher ablaufen kann, braucht es leider viele Polizist:innen.

Bei der Räumung des Hambacher Walds hat es einen Toten und Verletzte gegeben. Fürchten Sie, dass die Situation auch in Lützerath eskaliert?

Wichtig ist, dass sowohl die Be­set­ze­r:in­nen als auch die Po­li­zis­t:in­nen besonnen bleiben, damit möglichst niemand zu Schaden kommt.

Wie lange wird die Räumung noch dauern? Setzt die Polizei alles daran, die Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen noch vor der für Samstag angekündigten Demonstration zu vertreiben?

Fragen zur Einsatztaktik müssen Sie der Polizei stellen.

Zu der Großdemo wird nicht nur Klima-Ikone Greta Thunberg erwartet – auch 200 Prominente aus dem Kulturbereich fordern einen Räumungsstopp und eine Neubewertung der Verträge mit RWE. Wie sehr schadet Lützerath dem Image der Grünen?

Natürlich ist es schmerzhaft, die aktuellen Proteste zu sehen. Deshalb müssen wir Grüne noch deutlicher herausstellen, was die Vereinbarung ganz konkret bedeutet: Durch den um acht Jahre vorgezogenen Kohleausstieg bleiben mindestens 280 Millionen Tonnen Kohle im Boden und verhindern wir die Zerstörung von fünf Dörfern. Aber natürlich brauchen wir die Unterstützung der Klimabewegung, die für erneuerbare Energien, für mehr Klimaschutz streitet – so wie es die Ak­ti­vis­t:in­nen von Fridays for Future gerade zu Beginn getan haben. Klimaschutz ist Menschheitsaufgabe, sie betrifft uns alle.

In NRW stehen die nächsten Landtagswahlen erst 2027 an. In Berlin wird dagegen am 12. Februar gewählt. Fürchten Sie dort keine Stimmenverluste für die Grünen?

Wir werden als Grüne gemeinsam weiter hart für echten Klimaschutz arbeiten. Deshalb gibt es auch in Berlin für alle, die möglichst viel Klimaschutz wollen, die sich eine Mobilitätswende, eine Wärmewende wünschen, nur ein Angebot – und das sind die Grünen.

Grüne wie die Leverkusener Bundestagsabgeordnete Nyke Slawik erklären dagegen, die Räumung habe sie von den Grünen entfremdet. Wird die Braunkohle zur Zerreißprobe für die Partei?

Natürlich bewegt es Grüne angesichts der Klimakrise, Maßnahmen wie die temporäre Zuschaltung von Braunkohlekapazität zu ermöglichen. Das macht niemand mit Lächeln und Leichtigkeit. Trotzdem dürfen wir nicht in die Situation kommen, dass Unternehmen Arbeitsplätze streichen, weil die Energiesicherheit nicht mehr gegeben ist oder es zu sozialen Verwerfungen kommt. Wir müssen die Transformation zu mehr Klimaschutz ohne große Brüche hinbekommen – das wissen wir als Grüne.

Noch einmal ganz persönlich: Sie haben selbst jahrelang gegen die Braunkohle gekämpft. Jetzt sind Sie das Feindbild der Klimabewegung. Wie fühlt sich das an?

Als ich mein Amt als Ministerin angetreten habe, war mir klar, dass ich Verantwortung übernehmen und auch schwierige Entscheidungen treffen muss – sich davor zu drücken, dafür bin ich nicht der Typ.

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