Ausstellung „Re: Feb. 24/UKR“ in Hamburg: Vom Leben mit dem Krieg

Zum Jahrestag des russischen Angriffs zeigt das Hamburger Westwerk die Kunst von Deutschen, Rus­s*in­nen und Ukrai­ne­r*in­nen nebeneinander.

Ein Ausstellungsraum, an dessen weißen Wänden Kunstwerke hängen.

Viele verschiedene Perspektiven: Blick in die (fast fertig aufgebaute) Ausstellung Foto: Miguel Ferraz

Es ist Mittwoch, anderthalb Tage vor der Eröffnung. Viele Ausstellungsstücke stehen noch auf dem Boden, angelehnt an die Wände des Hamburger Westwerks. Leitern werden hin- und hergetragen, Arbeiten probeweise an ihren zukünftigen Platz gehalten. Die Kunst ist divers: Fotografien neben Zeichnungen, Rauminstallationen neben Videomontagen.

Die Kunstwerke sind Teil von „Re: Feb. 24/UKR“, einer Ausstellung zum Krieg in der Ukraine anlässlich des Jahrestages des russischen Überfalls. Initiiert von Peter Boué und Wolfgang Oelze, in Hamburg lebenden und arbeitenden Künstlern, sind an der Ausstellung sowohl ukrainische als auch russische und deutsche Künst­le­r*in­nen beteiligt; das Projekt führt fort, was Mai mit „With Ukraine“ begonnen wurde.

„With Ukraine“, zu sehen damals im kleinen Kunstraum im „Hinterconti“, sei impulsiver und lauter gewesen, findet Nadiia Mykhailiuk, eine wieder mitwirkende Ukrainerin. Die jetzige Ausstellung habe eine längere Planungsphase gehabt, auch die Arbeiten seien mit mehr Vorlauf entstanden. „Der Krieg herrscht nun seit einem Jahr. Wir hatten Zeit, unsere Gefühle einzuordnen, verschiedene Blickwinkel einzunehmen“, sagt sie. „Diese Ausstellung geht tiefer und zeigt unsere innere Auseinandersetzung mit dem Geschehen.“

Ebenfalls seit einem Jahr ist Mykhailiuk Gaststudentin an der Hamburger Hochschule für bildende Künste (HFBK); im laufenden Semester bewirbt sie sich auf einen festen Studienplatz. Ähnlich wie die anderen Aus­stel­le­r*in­nen hat sie online in der Ukraine weiterstudiert. Die HFBK hatte zusätzlich eine Klasse für geflüchtete Künst­le­r*in­nen gegründet, das schuf Raum auch zum Arbeiten. Während sie in der Ukraine vor allem Grafikdesign studiert, konzentriert Mykhailiuk sich in Deutschland mehr auf Malerei. „Ich bin selbstbewusster in meiner Arbeit geworden“, sagt sie. „Durch Kunst kann ich meine Gefühle ausdrücken und die Geschehnisse versuchen zu verarbeiten.“

Peter Boué, Künstler und einer der Initiatoren der Ausstellung

„Die Werke befassen sich alle mit dem Krieg, ohne ihn unbedingt direkt abzubilden.“

Für Varvara Perehinets ist die Ausstellung eine Art Wachrütteln ihres Umfeldes. Sie ist ebenfalls Gaststudentin an der HFBK, beendet parallel ihr Studium in Kiew. Sie habe vor allem ihre deutschen Freun­d*in­nen eingeladen, nun ins Westwerk zu kommen: Durch ihre Kunst möchte sie daran erinnern, dass der Krieg immer noch da ist, dass sie mit ihm umgehen muss, Tag für Tag. Denn: Die Aufmerksamkeit ebbe langsam ab, habe sie das Gefühl. „Viele distanzieren sich von den schrecklichen Bildern in den Nachrichten, als eine Art Selbstschutz“, sagt sie. „Durch meine Kunst habe ich einen neuen Weg gefunden, über die Situation in der Ukraine aufzuklären.“ ­Perehinets’ Zeichnungen beschäftigen sich mit Propaganda als politisches Instrument – und damit, wie wir uns als Gesellschaft dagegen wehren können und sollen.

Yana Kyrychenko lebt schon seit einigen Jahren in Deutschland, hat an der HFBK Kommunikationsdesign studiert. Von dem Ausstellungsprojekt erfuhr sie über eine ehemalige Dozentin. In ihren Fotografien thematisiert Kyrychenko das Problem der verdeckten Wohnungslosigkeit bei Frauen: Bis vor anderthalb Jahren selbst betroffen, befürchtet sie viele weitere Fälle verdeckter Wohnungslosigkeit als Folge der aktuellen Fluchtbewegung aus der Ukraine. „Wir sind alle oft gefangen in unserem Alltag, leben manchmal in einer Blase“, sagt sie. „Diese Ausstellung bietet Raum für Aufklärung über den Krieg und Raum für die Opfer.“ Normalerweise stelle sie nicht in Galerien aus, sondern in der Öffentlichkeit: „Ich möchte, dass auch Menschen, die nichts mit Kunst zu tun haben, auf meine Bilder stoßen und sich Fragen stellen.“

Kunstausstellungen seien ein Luxus, das sagt auch Wolfgang Oelze: „Einen Luxus, den man sich in anderen Ländern nicht leisten kann, sei es als Meinungsäußerung in einem totalitären Staat oder in einem Land, in dem Krieg herrscht.“

Re: Feb. 24/UKR. Eine Ausstellung zum Krieg in der Ukraine anlässlich des Jahrestags des Überfalls: bis 5. 3., Hamburg, Westwerk

Gespräche „Bilder im Krieg“: So, 26. 2. und Di, 28. 2.; jeweils 18.30 Uhr im Westwerk

Mit „Re: Feb. 24/UKR“ solle eine Möglichkeit geschaffen werden, die ganz persönlichen Lebensräume der Künst­le­r*in­nen in einen fiktiven Rahmen zu setzen, sagt Peter Boué, der zweite Initiator. „Die Werke befassen sich alle mit dem Krieg, ohne ihn unbedingt direkt abzubilden.“ Oelze und Boué luden bewusst nicht nur ukrainische Künst­le­r*in­nen ein, auch Deutsche und Russ*in­nen stellen aus.

So wie Leonid Kharlamov. Er kam 1995 nach Deutschland und sieht keine Möglichkeit, nach Russland zurückzukehren, sagt er: wegen der möglichen Zensur seiner Kunst, aber auch wegen seiner politischen Aussagen.

Es sei ein Privileg, nun in Deutschland ausstellen zu können. Ihn beschäftigt vor allem die Flut an Informationen, die uns alle täglich über den Krieg erreiche: „Jede Person erhält andere Fakten über den Krieg, das irritiert und spaltet. Aber ein unbestrittener Fakt ist die Tatsache, dass Menschen sterben. Sie sterben für politische Ambitionen.“

Dieses Sterben könnte verhindert werden, so Kharlamov, aber es werde zu wenig getan. Seine Bilder beschäftigen sich mit ebendieser Wirklichkeit, der sich Sol­da­t*in­nen jeden Tag aussetzen. „Für mich ist das das Gesicht des Krieges. Dass die Hoffnung mit den Personen stirbt und es kein Zurück mehr gibt.“

Dass auch Rus­s*in­nen dabei sein würden, haben die Initiatoren vorab offen kommuniziert. Es hätten ukrainische Künst­le­r*in­nen deswegen nicht teilnehmen wollen, erzählt Boué. Auch Nadiia Mykhailiuk spricht von einer harten Entscheidung: „Ich musste schon kurz mit meinen eigenen moralischen Prinzipien in den Dialog treten.“ Am Ende sei aber die Person hinter der Kunst wichtiger als ihre Herkunft. Sie habe sich viel mit den individuellen Arbeiten der russischen Künst­le­r*in­nen ausein­andergesetzt und schließlich zugesagt.

Trotz der nicht unproblematischen Beteiligung auch von Russ*innen: Seit Bekanntmachung des Projekts seien etliche Initiativbewerbungen von ukrainischen Künst­le­r*in­nen eingegangen, erzählt Simone Lietzkow vom Westwerk, die nun auch selbst ausstellt. „Das zeigt, dass wir einen Raum schaffen können, der sich über die einzelne Herkunft hinwegsetzt und die persönlichen Gedanken der Beteiligten in Form gießt“, sagt Lietzkow. Am Ende zähle die Haltung zum Krieg – und die sei bei allen Beteiligten die gleiche.

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