Krieg in der Ukraine: Rückendeckung von links

Auch die Politik der Ukraine ist streckenweise zu kritisieren. Das Recht auf Selbstbestimmung und Verteidigung besteht dennoch unbesehen.

Zwei Männer sprechen miteinander auf einer Demo

Berlin: Ein Mitglied der Friedensbewegung diskutiert mit einem anderen Demonstrierenden Foto: Jenia Palamartschuk

Oft heißt es in linken Kontexten, dass sich Waffenlieferungen an die Ukraine und linke Positionen ausschließen. Doch gibt es eine ganze Reihe von Gruppen, die Ukrai­ne­r*in­nen weder Solidarität noch das Recht auf Selbstverteidigung versagen wollen. Die Berliner Gruppe Right to Resist UA, die ins Leben gerufen wurde, weil die Ak­ti­vis­t*in­nen die mangelnde Solidarität von Linken in Deutschland mit Ukrai­ne­r*in­nen entsetzlich fanden, gehört dazu.

Sie orientiert sich an den Positionen der ukrainischen Sozialisten Socialny Ruch, bei denen sich der Historiker Taras Bilous engagiert. Er kritisiert seit Beginn der russischen Komplettinvasion regelmäßig die Ignoranz der westlichen Linken gegenüber Russlands imperialen Ansprüchen. Anstatt die Welt nur in geopolitischen Lagern zu sehen, müssten sozialistische In­ter­na­tio­na­lis­ten jeden Konflikt auf der Grundlage der Interessen der arbeitenden Menschen und ihres Kampfes für Freiheit und Gleichheit bewerten, findet Bilous.

Er kämpft zudem an der Front und plädiert für Waffenlieferungen. „Auch wir stellen uns gegen das kapitalistische System, in dem mit Krieg Profit gemacht wird“, betont Aktivist Ian von Right to Resist. Man trete nicht generell für Waffenlieferung ein. „Unsere Forderungen dürfen aber nicht realitätsfern werden.“ Als Reaktion auf das „Friedensmanifest“ von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht verfasste Right to Resist ein eigenes Statement.

Darin heißt es, dass ein Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine nicht zu einem Ende des Krieges führen würde. Im Gegenteil würde dies eine Ausweitung der russischen Besatzung, also Vergewaltigungen, Deportationen und Hinrichtungen, bedeuten, die auf andere postsowjetische Staaten übergreifen könnte.

Die Gruppe demonstriert regelmäßig in Berlin mit anderen linken Gruppen, wie der russischen „Feminist Antiwar Resistance Berlin“, den antikolonialen Voices of Indigenous Peoples of Russia oder Good Night Imperial Pride, eine Solidaritätskampagne für antiautoritäre Genoss*innen, die für die Befreiung der Ukraine von der russischen Invasion und Besatzung kämpfen.

Recht zur Flucht vor dem Krieg

Gleichzeitig ist aus einer linken Perspektive kritikwürdig, dass es ukrainischen Männern im wehrfähigen Alter nicht gestattet ist, zu fliehen. Flucht vor Krieg ist ein Menschenrecht, das seit Kriegsbeginn mindestens 45.000 Männern und einigen trans Personen verweigert wurde. In Artikel 65 der ukrainischen Verfassung heißt es, dass die Verteidigung der Unabhängigkeit und territorialen Integrität der Ukraine die Pflicht der Bürger ist.

Allerdings wird nirgendwo die geschlechtsspezifische Dimension dieser Pflicht erwähnt. Während sich Männer strafbar machen, wenn sie dieser Pflicht nicht nachkommen, ist für ukrainische Frauen der Dienst in den Streitkräften ein erst seit Kurzem bestehendes Recht, für das ein Teil der feministischen Bewegung seit Langem kämpft. Aktuell sind mehr als 38.000 Frauen in den Streitkräften, etwa 5.000 von ihnen an der Front.

Die Gruppe Radical Aidforce fährt nahezu wöchentlich in die Ukraine und ermöglicht Liefer- und Evakuierungsfahrten bis an die Frontlinien. Die Ak­ti­vis­ten*­in­nen hegen grundsätzliches Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen. Festzuhalten ist, dass eine Unterstützung des ukrainischen Widerstandes nicht gleichbedeutend mit einer Unterstützung der Nato sein muss, insbesondere mit Blick auf andere internationale Konflikte, in die die Nato involviert ist.

Ein interna­tio­nales, demokratisches Sicherheitssystem muss her. Darüber zu debattieren, wird jedoch erst nach Wladimir Putins Untergang und dem Sieg der Ukraine über den russischen Imperialismus möglich sein. Sorge bereiten vielen Linken zudem die anhaltende Inflation und die neoliberale Antwort der Ampelregierung darauf.

Koalition von links und rechts

So werden prekarisierte Menschen aufgefordert, zu frieren und zu sparen, anstatt eine adäquate Antwort auf das Versagen der deutschen Energiepolitik infolge des jahrelangen Appeasements gegenüber Russland zu finden, die Übergewinnsteuer einzuführen und Reiche zu besteuern. Nicht wenige linke Gruppierungen demonstrieren deshalb seit Monaten zusammen in einer Querfront mit rechten und esoterischen Gruppen gegen eine Unterstützung der Ukraine und für Frieden mit Russland.

Auf bundespolitischer Ebene stellt sich der Bundesarbeitskreis Bytva (ukrainisch für Kampf) dagegen. Er wurde gegründet, um sich mit Linken im osteuropäischen Raum zu solidarisieren und gleichzeitig Antworten auf die neoliberale Politik zu finden. Die ukrainischstämmige Linkenpolitikerin und Mitglied des BAK Bytva Sofia Fellinger kritisiert, dass „aktuell eine große Aufrüstungskampagne unter dem Mantel der vermeintlichen Ukraine-Solidarität gefahren“ werde.

Die Menschen in der Ukraine profitierten wenig davon, „da von den 100 Milliarden für die Bundeswehr kein Cent dort ankommt. Wir brauchen als Deutsche keine angriffsfähige Armee.“ Im Zuge der Energiekrise, die vermeintlich durch den Ukrainekrieg erzeugt worden sei, fahren viele Konzerne deutlich höhere Gewinne als vor der Krise ein. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Ukraine-Solidarität und Rechte und Freiheiten sowie soziale Themen gegeneinander ausgespielt werden“, sagt Fellinger.

Die Überausbeutung osteuropäischer Ar­bei­te­r*in­nen und ukrainischer Geflüchteter in Deutschland ist ein weiteres Thema wie auch Wolodimir Selenskis neoliberale Wirtschafts- und So­zial­politik. Zahlreiche Linke und Ge­werk­schaf­te­r*in­nen kämpfen aktuell deshalb gleichzeitig gegen Russland und für die Rechte der Arbeiter*innen. Diese linken Gruppen inner- und außerhalb der Ukraine benötigen dringend internationale Solidarität. Stattdessen sind sie zwischen Sowjetnostalgikern, Russlandverstehern und Nato-Fans größtenteils auf sich allein gestellt.

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ist freie Journalistin, Kulturwissenschaftlerin und Moderatorin. Sie ist Alumna des Marion-Gräfin-Dönhoff Stipendiums der Internationalen Journalistenprogramme 2021, welches sie bei der Nowaja Gaseta in Moskau absolvierte. Außerdem macht sie ihren Master in Osteuropastudien und interdisziplinärer Antisemitismusforschung in Berlin.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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