US-Theatergruppe Wooster Group in Berlin: Ein Fest fürs Museum

Theaterkunst als Remix, das zeichnete die New Yorker Wooster Group aus. Doch ihre Kunst ist nicht gut gealtert, wie sich beim Festival FIND zeigte.

Schauspieler in Vintage-Kostümen sitzen an alten Klassenbänken

Zur Schaubühne brachte The Wooster Group die Performance „A Pink Chair“ mit Foto: Steve Gunther

Der legendären Performance-Company The Wooster Group aus New York gilt beim Festival Internationaler Neuer Dramatik (FIND) an der Berliner Schaubühne ein eigener Schwerpunkt. Dabei zeigen sie zwar mehrfach, wie es gehen könnte, avantgardistisches Theater zu archivieren. Der Sinn des eigenen Tuns geht in diesem Bemühen aber leider verloren.

Der technische Aufwand ist beachtlich. Über den Monitor in der Mitte der Bühne huscht eine Linse, die verschiedene Zonen des Bildes scharfstellt. Mal wird dadurch der Blick auf archivierte Szenen aus Aufführungen der polnischen Theaterlegende Tadeusz Kantor fokussiert, ein anderes mal werden die, die ihm jetzt aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts zuschauen, in den Mittelpunkt gerückt.

Wooster-Group-Spielerin Kate Valk sichtet in „The Pink Chair“ gemeinsam mit Dorota Krakowska, der Tochter des 1990 gestorbenen Kantor, Aufnahmen von dessen Werken. Angefertigt hat sie der dritte der Zuschauer, der Filmregisseur Zbigniew Bzymek. Er begleitete im Vorfeld der 100-Jahr-Feierlichkeiten Kantors 2015 eine Abordnung der Wooster Group durch polnische Archive und filmte jede Menge Material ab. Der Aufzeichner mutiert gar zum Wiedergänger Kantors, die Ähnlichkeit der kantigen Gesichtszüge ist verblüffend.

Szenen von Kantor nachgestellt

Um Kantor/Bzymek herum stellt die Wooster Group genau die Szenen aus Kantors Spätwerk „I Shall Never Return“ nach, die gleichzeitig auf die Bühne projiziert werden. Man wird szenisch in ärmlich wirkende Gasthäuser transportiert, Schau­spie­le­r*in­nen in historischen Kantor-Kostümen schauen von einer Art Schulbank aus zu – wem Kantor etwas sagt, der mag sich an sein Stück „Die tote Klasse“ erinnern, in dem er unter seinen früheren Mitschülern jener gedenkt, die in deutschen KZs umkamen.

In der Parallelität der gespielten und der projizierten Szenen verrauschen die Inhalte allerdings. Weil auch nicht live gesprochen wird, sondern die Lippen (fast) synchron zum Ton aus der Konserve bewegt werden, wirkt das Spiel noch artifizieller, distanzierter, ja tot. Was die Wooster Group an Kantor fand, wird nicht deutlich. Warum sie die aufwendige Ausgrabung tätigte, ebenso wenig.

Die Auftragsarbeit zum Kantor-Jubiläum wirkte jetzt bei FIND arg aus dem Kontext gerissen. Immerhin konnte die Wooster Group darin ihre Mittel perfekt präsentieren: Das fortwährende Graben in Materialien, das immerwährende Neubefragen, das Wiederholen, Verarbeiten und Abmixen, ganz so, als sei Theaterkunst vor allem DJ-Arbeit. Das und die Betonung der Künstlichkeit und der Schichtstruktur des Materials zeichnet die 1975 in der New Yorker Wooster Street gegründete Gruppe aus.

Sich wehren gegen die Flüchtigkeit

In den späteren Arbeiten, im 21. Jahrhundert entstanden, nimmt das Remixen allerdings anthropophagische Züge an. Vor allem das Eigene wird gefressen, verdaut und ausgeschieden. In der multimedialen Dokumentationsperformance „Nayatt School Redux“ und dem Film „Rumstick Road“ werden alte Arbeiten der Gruppe selbst neu aufgelegt.

Natürlich kann man auch das loben, dass sich die Gruppe eines uralten Themas der Theaterkunst annimmt: der Klage über deren Flüchtigkeit. Die Raffinesse, in der die Woosters Materialien schichten, Blickrichtungen ineinander spiegeln, überzeugt hierbei. Ja, das könnte tatsächlich eine Archivierungsstrategie für flüchtige Bühnenereignisse sein.

Auch der Wert längst vergangener Arbeiten erhält Gewicht. Die Odysseus-Figur, die sich durch viele Arbeiten Kantors hindurchbewegt und auch in einer Sequenz von „Pink Chair“ auftauchte, wurde vom polnischen Regisseur erstmals 1942 in einem Untergrundtheater in Krakau während der deutschen Besetzung als ein zum Bettler herabgesunkener Kriegsheimkehrer inszeniert. Da schließen sich plötzlich Welten kurz.

„White Homeland Comando“ zeigt die schon vor 30 Jahren gärende toxische Mischung aus weißem Rassismus, Institutionenfeindlichkeit und Rausch an der Gewalt, die in den Trump-Jahren Massencharakter annahm

Als Bühnenkunst selbst waren diese jüngeren Arbeiten der Wooster Group allerdings nur ein lebloses Referenz- und Selbstreferenztheater.

Glücklicher war der Mitteleinsatz bei den ebenfalls bei FIND gezeigten Filmarbeiten aus den 80er und 90er Jahren. „Wrong Guys“ – nach dem Roman des längst verstorbenen Schwagers von Elizabeth LeCompte, Star der Wooster Group, Jim Strahs – ist ein bizarres Roadmovie um Moral und Gesetz verachtende Aussteiger.

„White Homeland Comando“ zeigt die schon vor 30 Jahren gärende toxische Mischung aus weißem Rassismus, Institutionenfeindlichkeit und Rausch an der Gewalt, die in den Trump-Jahren Massencharakter annahm. In diesen Filmarbeiten erkennt man noch wieder, warum die Gruppe einst als prägend für mehrere Genera­tionen galt.

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