Fahrgastverband Pro Bahn über Streik: „Es kann zum Totalausfall kommen“

Gibt es einen unbefristeten Streik der Gewerkschaft EVG? Detlef Neuß ist Bundesvorsitzender des Verbands Pro Bahn und erklärt, was auf Bahnkunden zukommen könnte.

«EVG Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft» steht auf einer Fahne

Demonstration Der EVG vor dem Berliner Hauptbahnhof im März Foto: Annette Riedl/dpa

taz: Herr Neuß, die Eisenbahnergewerkschaft EVG hat beschlossen, eine Urabstimmung über unbefristete Streiks abzuhalten, statt ein Schlichtungsverfahren aufzunehmen. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?

Detlef Neuß: Das Angebot der Deutschen Bahn ist ziemlich nah an den Vorstellungen der EVG, und die Verhandlungen waren sehr weit fortgeschritten. Was noch fehlt, hätte durchaus noch verhandelt werden können. Die DB zeigte sich weiter verhandlungsbereit, aber die EVG hat die Verhandlungen abgebrochen. Als Fahrgastverband stellen wir das Streikrecht nicht infrage, aber hier wäre noch Luft nach oben gewesen.

68, ist Bundesvorsitzender des Fahrgast­verbandes Pro Bahn. Er vertritt damit die Interessen von Fahr­gästen des öffentlichen Verkehrs.

Wäre ein unbefristeter Streik strategisch lohnenswert für die EVG?

Ob die EVG damit Tarifverbesserungen für ihre Mitglieder erreicht, sei dahingestellt. Dass die EVG hier eine so harte Linie zeigt, liegt auch daran, dass sie ihr Image ändern möchte und sich gegenüber der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) profilieren will, die als härter gilt. Insofern ist die jetzige Situation auch wegen der Konkurrenz der zwei Gewerkschaften entstanden. Um Mitglieder anzuwerben und zu halten, ist es strategisch gut, sich als kampfbereit zu zeigen.

Würde der Bahnverkehr durch einen unbefristeten Streik der EVG auf Dauer komplett lahmgelegt?

Es wird keinen Notfallplan geben­, weil so etwas lange im Voraus geplant werden muss. Der Bahnverkehr wird demnach zumindest partiell lahmgelegt. Denn Mitglieder der GDL, mit der die Deutsche Bahn einen Tarifvertrag hat, würden das Schienennetz weiter betreiben können. Unter Umständen kann es aber auch zum Komplettausfall kommen. Das hängt davon ab, wie weit die EVG gehen möchte. Werden zum Beispiel Stellwerke bestreikt, können auch Züge von anderen Mobilitätsanbietern wie etwa Transdev nicht fahren und der gesamte Bahnverkehr wäre unterbrochen. Auf der eingleisigen Strecke zwischen Leipzig und Chemnitz muss zum Beispiel nur ein einziges Stellwerk bestreikt werden, um Chemnitz vom Fernverkehr abzuschneiden.

Wie soll man sich als Fahrgast auf die Streiks einstellen?

Wir empfehlen, auf jeden Fall zu beobachten, ob Streiks angekündigt werden. Dann kann man vermeiden, die Bahn an diesen Tagen zu benutzen, und auf Alternativen umsteigen. Wie weit im Voraus das geschieht, lässt sich nicht sagen, aber bei den letzten Streiks wurden Arbeitnehmer berücksichtigt: Die Streiks wurden am Freitag angekündigt, sodass man sich mit seinen Arbeitgebern absprechen konnte. Dass Bahnen überfüllt sein werden durch die Streiks, ist klar. Allerdings wird es wegen der Option des Homeoffice wohl nicht so chaotisch wie früher. Von Familienausflügen und der Fahrradmitnahme rate ich an Streiktagen ab.

Das Deutschlandticket ist seit eineinhalb Monaten erhältlich. Eigentlich sollte es mehr Menschen dazu bewegen, die Bahn zu benutzen …

Genau, deshalb wäre ein Streik der EVG fatal für die Verkehrswende. In Nordrhein-Westfalen beginnen jetzt die Schulferien, Familien planen möglicherweise, mit dem Zug in den Urlaub zu fahren. Gerade jetzt die Bahn durch Streiks unattraktiv zu machen erweist der Verkehrswende einen Bärendienst.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.