Rechtsextremismus in Brandenburg: „Ein Rück­schritt in die Neunziger“

Mit ihrem Schweigen zu rechten Vorfällen gefährdet die Landesregierung den Strukturwandel, sagt der Rechtsextremismusforscher Gideon Botsch.

Demonstration gegen Rechts

Nazis raus aus den Schulen: Demo vor dem Cottbuser Schulamt nach Bekanntwerden des Brandbriefes Foto: picture alliance/dpa | Patrick Pleul

taz: Herr Botsch, vor sechs Wochen gab es einen Brandbrief zweier Lehrer aus Burg im Spreewald, seitdem gibt es Berichte über zahlreiche weitere rechtsextreme Vorfälle aus der Lausitz. Überrascht Sie das?

Gideon Botsch: Das überrascht mich nicht besonders. Ich habe den Eindruck, dass in Brandenburg die Anstrengungen, sich damit auseinanderzusetzen, gerade im Schulbereich nachgelassen haben.

Wie schätzen Sie die Lage an Schulen ein?

Das sind eher Probleme des Umfelds. Es ist nicht so wie in den 90er Jahren, dass beim Rechtsextremismus junge Leute das zentrale Problem sind. Bei denen hängt das sehr viel damit zusammen, was sie in den Familien und im Erwachsenenumfeld erleben. Aber auch, welche Grenzziehungen sie an der Schulen erleben – oder eben auch nicht.

53, ist Politikwissenschaftler und hat sich als Rechtsextremismusforscher verdient gemacht. Er leitet am Moses Mendelssohn Zentrum die Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsex­tremismus (EJGF) an der Uni Potsdam.

In Burg scheint es diese Grenzziehungen nicht gegeben zu haben. Die Schulleiterin soll einen Hitlergruß nicht ans Schulamt in Cottbus gemeldet haben. Ein andermal meldete sie nur, dass Schüler ein „Handzeichen“ gemacht hätten.

Zu dem konkreten Fall kann ich mich nicht äußern. Aber natürlich hat eine Schule bestimmte Verpflichtungen. Strafbaren Handlungen muss entgegengetreten werden. Ich kann verstehen, wenn eine Schulleitung den Schülerinnen und Schülern erst mal sagt: Das sind strafbare Handlungen, das dürft ihr nicht. Wenn das aber akzeptiert wird und es keine Grenzziehung gibt, dann kommt eine Schule ihrer Pflicht nicht nach.

Stattdessen haben zwei Lehrer die Vorfälle in Burg öffentlich gemacht. War das richtig?

Das birgt gewissen Risiken. Gegenüber dem Kollegium und gegenüber den Schü­le­r*in­nen und Eltern. Auf der anderen Seite ist es sehr mutig. Und im Zweifel auch sehr nötig.

Inzwischen kommen immer mehr Vorfälle ans Licht. In Sprem­berg sollen Schüler sich Klebestreifen als Hitler-Bart aufgeklebt und Hitlergrüße gemacht haben. Insgesamt zählt das Schulamt Cottbus 15 strafrechtlich relevante rechtsextreme Vorfälle allein in diesem Schulhalbjahr. Ist das nur die Spitze des Eisbergs?

Man kann davon ausgehen, dass da mehr passiert. Aber dass so etwas an Schulen passiert, darüber dürfen wir uns nicht wundern. Der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ist für Schü­le­r*in­nen eine große Herausforderung. Sie reagieren unterschiedlich darauf. Und sie reagieren nicht immer so darauf, wie wir Erwachsenen es für angemessen halten. Deshalb muss die Schule hier reagieren.

Also muss nicht jeder Vorfall angezeigt werden?

Wir reden hier über Kinder. Über schutzbedürftige Menschen. Sowohl aufseiten der Opfer als auch aufseiten derjenigen, die das begehen. Man muss da sehr vorsichtig sein. Jeder Schüler hat einen Spielraum verdient, in dem er bis zu einem bestimmten Grad Dummheiten begehen kann. Es hängt davon ab, dass sie auf Erwachsene stoßen, die ihnen aufzeigen, wo die Dummheiten gefährlich werden. Das ist, was wir von einer Schule erwarten können und müssen. Das funktioniert aber nicht immer.

Warum nicht?

In den letzten fünf Jahren gab es gewisse Gewöhnungseffekte in Brandenburg. Wir haben eine andere Situation, weil wir einen massiv präsenten Akteur in der Landespolitik haben.

Die AfD-Fraktion im Potsdamer Landtag.

Die macht Dinge sagbar, die bis dahin einem berechtigten Tabu unterlagen. Da wird ein Klima vorgegeben, in dem viele Standards abgeschliffen sind, nicht nur im schulischen Bereich. Angefangen hat die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in Brandenburg mit der Benennung des Problems. Das Verdrängen und Beschweigen und der Wunsch, dass das nicht wahr sein kann, hat das Problem verlängert.

Auch die Landespolitik trägt also Verantwortung?

Ich habe manche Aussagen der Landesregierung mit Befremden wahrgenommen. Ich habe den Eindruck, dass wir zunehmend wieder in die Richtung segeln, das Problem kleinzureden und nicht sehen zu wollen. Gerade in den Regionen, die die Landesregierung besonders fördert und wo sie die Förderziele nicht gefährden möchte. Das scheint mir ein Rückschritt in die späten 90er zu sein.

Sie reden von der Lausitz, wo es laut Landesamt für Verfassungsschutze eine „toxische rechtsextreme Mischung“ gibt.

Wer sich mit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigt oder sich von zivilgesellschaftlicher Seite dagegenstellt, weiß, dass es im Südosten Brandenburgs eine Problemlage gibt, die deutlich stärker ausgeprägt ist als in allen anderen Landesteilen. Und dass das mit einem Umfeld zusammenhängt, das in der Zurückweisung der Handlungsfähigkeit rechtsextremer Akteure deutlich nachlässiger ist.

Wie sehr hat die Stadt Cottbus das ermöglicht?

Es gibt in Cottbus viele Akteure, die sehr gute Arbeit leisten. Das gilt teilweise auch für die Stadtverwaltung. Es gibt aber auch eine Reihe von Defiziten.

Zum Beispiel?

In der Lausitz wird das Selbstbild gepflegt, man werde vernachlässigt und nicht gleichberechtigt behandelt. Das geht weit über die extreme Rechte hinaus. Das steht deutlich in Diskrepanz zu der Aufmerksamkeit, die die Lausitz bekommt. Wäre ich Uckermärker oder Prignitzer, würde ich fragen, warum ausgerechnet immer nur die Lausitz?

Weil es den Braunkohleausstieg gibt und die Milliarden, die der Bund für den Strukturwandel lockergemacht hat. Allein Brandenburg bekommt dafür 10 Milliarden Euro.

Die Lausitz hat große Potenziale. Aber die werden durch die politischen Signale, die aus der Lausitz kommen, gerade unterminiert. Der Wunsch, die Lausitz zu einer Innovationsregion zu machen, beißt sich massiv mit der regressiven und ausländerfeindlichen Stimmung. Darüber sollte man sich sehr gründlich Gedanken machen.

Hat die Landesregierung nicht erkannt, dass der Strukturwandel kein Selbstläufer ist?

Ob der Strukturwandel gelingt, hängt stark damit zusammen, welches Klima und welche Stimmung dort entsteht. Es gibt Menschen, die überlegen es sich dreimal, ob sie ein attraktives Angebot in Cottbus nicht doch besser ausschlagen, weil sie sich dort nicht sicher fühlen. Oder einfach keine Lust haben auf die ablehnende Haltung. Da wird es sehr schwierig, einen Innovationskorridor zu schaffen.

Was sollte die Landesregierung tun?

Ich habe den Eindruck, dass die Landesregierung das nicht so gern hört. Und lieber darauf setzt, eine Ostidentitätsdebatte zu führen. Nicht als Erklärung für die mentalen Strukturen in den neuen Bundesländern, sondern um ein Ihr-wir-Gefühl aufzumachen.

Der neue Ost-Stolz, den SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke ausgerufen hat.

Ich habe nicht den Eindruck, dass Brandenburg ein neues Ihr-wir-Ausgrenzungsgefühl braucht. Brandenburg braucht eher ein Zusammenkommen. Zumindest, wenn man die ehrgeizigen Ziele in der Lausitz erreichen will.

Sie haben zuletzt ganz explizit vor den wirtschaftlichen Folgen des Rechtsextremismus gewarnt.

Die Perspektive, die die Lausitz hat, funktioniert nur, wenn sie als weltoffen und sicher wahrgenommen wird. Aber natürlich können die Lausitzerinnen und Lausitzer sagen: Das wollen wir nicht. Dann müssen sie aber auch sagen, welches andere Konzept sie haben. In Cottbus gibt es jedoch einen Diskurs, der die Stadt die ganze Zeit schlechtredet. Die rechtsextreme Initiative „Zukunft Heimat“ und die AfD machen nichts anderes, als zu sagen: Cottbus ist eine Problemstadt und wegen seiner Kriminalitätsbelastung ein Brennpunkt. Nur stimmt das überhaupt nicht.

Was stimmt daran nicht?

Die Kriminalitätsbelastung gab es schon immer. Mit der muss man umgehen. Aber das wurde dann, auch vom ehemaligen Oberbürgermeister, mit dem Zuzug verbunden. Und das entspricht nicht der Realität. Gerade der Umgang mit Geflüchteten 2015 und 2016 ist in Cottbus im Brandenburger Landesvergleich erstaunlich gut gelaufen.

Was hat denn zum Beispiel in Frankfurt (Oder) dazu geführt, dass es dort keine toxische Mischung, also keine verfestigten Nazistrukturen wie in der Lausitz gibt?

Das ist eine Frage, die wir wissenschaftlich noch nicht klären konnten. Wichtig wäre da eine Vergleichsanalyse der Gemeinden in Brandenburg, die Anfang der 90er ein ähnlich großes Problem hatten. Da wäre neben Frankfurt auch Eberswalde interessant. Beide haben eine ganz andere Entwicklung genommen als Cottbus.

In Frankfurt (Oder) haben sich Menschen aktiv gegen Nazis gewehrt. Halten Sie es für legitim, sich dabei nicht auf die Polizei zu verlassen und sich selbst zu wehren?

Das ist eine heikle Frage. Tatsächlich hatten wir in manchen Landstrichen Brandenburgs Situationen, wo bei rechtsextremen Vorfällen von der Polizei nichts zu sehen war. Solche Situationen darf die Landespolitik nicht mehr zulassen. Das heißt aber auch, dass ermittelte Fälle abgearbeitet werden müssen. Da ist die Staatsanwaltschaft gefordert.

Und die wird hier nicht aktiv?

Einige der letzten Verfahren in Cottbus haben mich erstaunt. Da hat die Polizei glänzende Ermittlungsarbeit gemacht, aber die Staatsanwaltschaft hat die Beweislage infrage gestellt. Es gibt auch in Cottbus eine starke Zivilgesellschaft. Aber noch immer will die Stadtgesellschaft das Problem nicht sehen und behauptet, das komme alles von außen. Solange wir ein Problem verdrängen, werden wir es nicht bekämpfen können.

Anders als in Cottbus wäre im Landkreis Oder-Spree ein AfD-Kandidat fast Landrat geworden. Wie konnte das passieren?

Es ist zunächst so weit gekommen, weil unter anderem eine an der Landesregierung beteiligte Partei nicht zur Wahl des Gegenkandidaten aufgerufen hatte. Da muss man sich fragen, ob der Ernst der Lage nicht erkannt wurde. Es ist aber auch die Aufgabe der demokratischen Parteien, auch in der Fläche überzeugende Politik zu machen. Das war sicher in Oder-Spree eines der Probleme.

Nächstes Jahr sind Landtagswahlen in Brandenburg. Was passiert, wenn die AfD stärkste Partei wird?

Das würde die politischen Bedingungen höchstwahrscheinlich nicht sehr verändern. Außer dass es eine noch größere Fraktion gäbe, die Fundamentalopposition und keine konstruktive Opposition betreibt. Mit größerer Sorge schaue ich nach Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen, wo die AfD so stark werden könnte, dass es schwierig wäre, an ihr vorbei zu regieren.

Wäre nicht der Punkt gekommen zu sagen: Dann macht doch mal. Die Leute kriegen dann bald mit, dass ihr nichts zu bieten habt. Oder wäre der Schaden zu groß?

Beim jetzigen Auftreten der AfD, wie wir sie in den Kommunen und im Landtag wahrnehmen, wünsche ich mir für kein Bundesland, dass diese Partei Regierungsverantwortung übernimmt. Aber das will sie auch gar nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.