Neue Asylregelung: Die EU rückt nach rechts

Durch die neue EU-Asylregelung wird sich das Leben von vielen Ankommenden künftig an Orten abspielen, die Hochsicherheitsgefängnissen gleichen.

Ein mit Menschen überfülltes Boot

Ein würdiges Leben in der EU wird für viele Geflüchtete unmöglich gemacht Foto: Francisco Seco/ap

Neun Jahre hat die EU über das neue gemeinsame Asylsystem verhandelt. Am Donnerstag gab es eine vorläufige Einigung. Die Grünen haben dabei der weitreichendsten Asylrechtsverschärfung seit der Grundgesetzänderung von 1993 zugestimmt.

Die Populisten in der EU konnten sich durchsetzen. Die neue Rechtslage wird zwar nicht ganz ihren Forderungen entsprechen – aber kommt dem sehr nahe. Das war nur möglich, weil fast alle anderen Parteien ihnen in ihrem zentralen Punkt im Prinzip recht gegeben haben: Die Geflüchteten sind das Problem. Es sind zu viele, es ist zu voll, wir sind überlastet.

Ein an Menschenrechten orientierter Konsens war so nicht mehr herstellbar. Doch auch die Parteien, für die Wachstum und Arbeitsplätze höchste Priorität haben, vermochten die Migrationspolitik nicht daran auszurichten. Denn natürlich wäre es vorstellbar, diese so zu gestalten, dass moderne, aber überalterte kapitalistische Volkswirtschaften mit Arbeitskräften versorgt werden. Auch mit jenen Menschen, die ohnehin kommen.

Doch die Populisten dominierten den Diskursraum so sehr, dass sich fast niemand dafür starkmachte. Das Entrechtungsprogramm für die ankommenden Geflüchteten, das nun ansteht, wurde dabei bis zum Schluss mit falschen Behauptungen zu legitimieren versucht.

Angebliche Rettung des Schengen-Raums

Immer wieder sprachen Nancy Faeser (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) von der nur auf diesem Weg möglichen Rettung eines Europas ohne Kontrollen an den Binnengrenzen. Ohne die Internierung der Ankommenden würden die Nationalstaaten die Grenzkontrollen wieder einführen.

Doch schon am Samstag drängte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU), Sprecher der Unions-Bundesländer, der „illegale Migrationsdruck“ halte an, Faeser dürfe sich „situativen Grenzkontrollen nicht verschließen“. Tatsächlich kontrollieren viele Schengenstaaten die Grenzübergänge seit 2015 fast durchgehend „ausnahmsweise“ – derzeit sind es Deutschland, Frankreich, Litauen, Dänemark, Schweden, Österreich, Norwegen. Und sie werden es weiter tun. So ist es mit fast allem, womit der Asylkompromiss gerechtfertigt wurde.

Keine Zäune mehr? Griechenland, Finnland und Ungarn bauen derzeit neue zu den schon bestehenden 2.000 Kilometern hinzu. Und Robert Habeck sagt, er könne da „mitgehen“.

Das „Ruanda-Modell“ ist nun ausgeschlossen, wie Baerbock behauptet? Keineswegs. Selbst der Ampel-Migrationsbeauftragte Joachim Stamp (FDP) sagt offen, er strebe Asylverfahren in Nordafrika an.

Und für „viele Geflüchtete wird sich der Status quo verbessern“, wie Baerbock schrieb?

Ein Leben in grauen Stahlcontainern

Das Leben für die meisten Ankommenden wird sich künftig an Orten abspielen, die aussehen wie ein Hochsicherheitsgefängnis: graue Stahlcontainer in grauen, aufgeheizten Steinwüsten, rund um die Uhr kontrolliert von privaten Sicherheitsdiensten. Ihr Leben wird davon bestimmt sein, nicht zu wissen, was mit ihnen geschieht, weil ein völlig unausgereiftes EU-Gesetz auf nationale Regelungen trifft und von einer überlasteten Bürokratie umgesetzt werden soll.

Die Geflüchteten werden nun verteilt, statt festzuhängen, wie Baerbock sagt?

Kaum. Staaten, die freiwillig aufnehmen wollten, konnten das auch bisher tun. Doch es wollte niemand. So wird es im Wesentlichen bleiben – denn die Umverteilung bleibt freiwillig.

Baerbock sagt, an Deutschland habe die europäische Einigung nicht scheitern dürfen. Dabei ist es erst drei Monate her, dass FDP-Verkehrsminister Volker Wissing keine Skrupel hatte, in der EU ein Veto gegen eine Entscheidung einzulegen, die ihm nicht passte. Er blockierte fast im Alleingang das Verbot der Neuzulassung von Verbrennerautos ab 2035. Nun aber mochte niemand die Kraft dazu aufbringen. Auch die Grünen nicht.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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