Die Verständnisfrage: LGBTQIA+ betrifft alle

Warum fordern queere Menschen, dass wir uns mit ihren Themen beschäftigen, fragt ein Schüler. Weil sie alle betreffen, antwortet ein Sozialarbeiter.

Jemand trägt eine Regenbobenfahne auf dem Kopf

Luckenwalde, 19.07.2019: Junger Mensch mit Regenbogenfahne Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

In der Verständnisfrage geht es jede Woche um eine Gruppe, für deren Verhalten der Fragesteller_in das Verständnis fehlt. Wir suchen eine Person, die antwortet.

Luka, 16, Zehntklässler aus Hamburg, fragt:

Liebe LGBTQI-Community, warum fordert Ihr, dass wir uns in der Schule, wo wir Mathe lernen sollen, mit euren Themen beschäftigen?

***

D Wiltshire Soares, 40, psychosozialer Berater aus Berlin, antwortet:

Die LGBTQIA+ Community, das sind meiner Meinung nach nicht „ihr“, denn wir sind Teil der Schule: Wir sind Schüler:innen, Eltern, Lehrer:innen, Hausmeister:innen, Kantinenpersonal, Sozialarbeiter:innen. Unsere Community ist nichts Externes.

Ich sehe es nicht so, dass wir in Deutschland so leben können, wie wir wollen. Ja, wir werden nicht politisch verfolgt und müssen in den allermeisten Situationen nicht um unser Leben fürchten. Aber auch in 2023 ist es keine Selbstverständlichkeit schwul, trans oder bi zu sein. Diskriminierung existiert auf einer Skala. Nur weil wir uns hier nicht mehr am obersten Ende dieser Skala befinden, ist die Arbeit nicht vorbei.

Auf dem Schulhof werden oft homophobe Beleidigungen benutzt. Sich zu outen geht immer noch mit Mobbing und Stigmatisierung einher, und zwar egal in welchem Alter man sich outet. Erschreckend ist, dass das Suizidrisiko unter LGBTQIA+ Jugendlichen viel höher ist als unter cis-hetero Jugendlichen.

Ich arbeite in der Schule als psychosozialer Berater und habe dort eine AG geleitet, den Respektclub für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. An einem Nachmittag, es waren nur Jungs anwesend, habe ich eine Frage gestellt: Wie wäre es, wenn sich jemand in eurer Klasse outet? Würde diese Person gehänselt oder akzeptiert werden?

Sie erzählten, dass sich eine Mitschülerin als bi ge­outet hätte. Das wäre ihnen egal, sagten die Jungs. Und wie wäre es, wenn sich einer von euch als schwul outen würde, fragte ich. Das wäre etwas anderes, sie fänden es komisch, sagten sie. Durch meine Nachfragen merkten die Jungs dann, dass sie diskriminierend dachten und wurden leise. Es hat sie zum Nachdenken angeregt.

In der achten oder neunten Klasse, wenn Sexualität und Identität schon eine Rolle spielen, besuchen die Schü­le­r:in­nen einmal einen Workshop zu LGBTQIA+ Themen, der von einem externen Verein gegeben wird. Im Vergleich zu den drei Stunden Mathe pro Woche ist das kaum etwas. Aber es ist immerhin ein Raum, in dem Bewusstsein geschaffen wird und Diskriminierung entgegengewirkt werden soll.

Die Schü­le­r:in­nen lernen so auch Schwule oder Menschen mit Transidentität kennen – manchmal zum ersten Mal. Das hilft auch gegen Vorurteile und schafft Bewusstsein. Ich finde das auch wichtig, weil das Schulsystem nicht nur auf zukünftige Arbeitskräfte ausgerichtet sein sollte, die fit in Mathe, Geografie und Deutsch sind, sondern darüber hinaus die Schü­le­r:in­nen als Individuen betrachtet.

Um Menschen zu garantieren, dass sie sich entfalten können, so wie sie sind, ohne von Mitmenschen verfolgt zu werden, müssen wir im Schulsystem Bewusstsein schaffen. Überall auf der Welt nutzen extreme Rechte das Thema Gender aus, um mit Vorurteilen Angst und Hass zu produzieren. So versuchen sie, Stimmen zu bekommen. Das zeigt, was auf dem Spiel steht. Ich finde, es ist deshalb die Verantwortung eines Schulsystems in einer Demokratie, sich für Menschen einzusetzen, die sich als LGBTQIA+ identifizieren.

Protokoll: Sophie Fichtner

Häh? Haben Sie manchmal auch diese Momente, wo Sie sich fragen: Warum, um alles in der Welt, sind andere Leute so? Wir helfen bei der Antwort. Wenn Sie eine Gruppe Menschen besser verstehen wollen, dann schicken Sie Ihre Frage an verstaendnis@taz.de.

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