Bootskatastrophe auf Fluchtroute: Vorwürfe gegen die Küstenwache

Mit dem Boot flohen 700 Menschen über das Mittelmeer – 104 haben überlebt. Sie berichten, es sei gekentert, als die Küstenwache es gezogen habe.

Zwei Männer umarmen sich durch ein Gitter

Einer der Überlebenden des Bootsunglückes im Hafen von Kalamata, Griechenland Foto: Stelios Misinas/reuters

BERLIN taz | Nach dem schweren Bootsunglück mit vermutlich Hunderten Toten im Mittelmeer gab es am Freitag praktisch keine Hoffnung mehr, noch Überlebende zu finden. Nach Medienberichten soll die Suche im Lauf des Tages eingestellt werden.

Das mit schätzungsweise bis zu 700 Menschen besetzte Fischerboot war in der Nacht zum Mittwoch rund 50 Seemeilen südwestlich der Halbinsel Peloponnes in internationalen Gewässern gesunken. 78 Todesopfer wurden bisher geborgen. Die Behörden vermuten, dass das Boot sehr schnell sank. Deshalb sei es den Menschen unter Deck nicht gelungen, sich ins Freie zu retten.

Am Donnerstagabend waren von den 104 Überlebenden neun Verdächtige in der Hafenstadt Kalamata festgenommen worden. Die Ägypter gelten nach Polizeiangaben als Organisatoren der Fahrt.

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Am Freitag wurden die Überlebenden in ein Auffanglager nördlich von Athen gebracht. Neun mutmaßliche Schleuser blieben in Kalamata in Polizeigewahrsam. Dabei handelt sich nach Angaben der Küstenwache um Ägypter. Ihnen werden fahrlässige Tötung, Menschenhandel und die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.

Mutmaßliche Schleuser festgenommen

Kriton Arsenis, ein ehemaliger EU-Abgeordneter der Pasok, sagte am Freitag nach Gesprächen mit Überlebenden, diese hätten ihm berichtet, das Boot sei gesunken, als die griechische Küstenwache es Richtung italienischer Gewässer gezogen hatte. In den sozialen Medien kursiert ein Video, das zeigen soll, wie Überlebende auch dem ehemaligen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras dies bei dessen Besuch der Überlebenden am Donnerstag schildern.

Es wäre nicht der erste Fall. Immer wieder berichten Mi­gran­t:in­nen gegenüber Jour­na­lis­t:in­nen oder Hel­fe­r:in­nen von teils lebensgefährlichen Aktionen der Küstenwache. Im Juli 2022 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erstmals Griechenland wegen eines solchen Falls. Im Januar 2014 war ein Boot mit 27 Flüchtlingen vor der griechischen Insel Farmakonisi gekentert, 11 Menschen starben.

Die Überlebenden hatten angegeben, dass ein Schiff der griechischen Küstenwache mit sehr hoher Geschwindigkeit unterwegs gewesen sei, um die Flüchtlinge zurück in türkische Gewässer zu drängen. Dadurch sei das Boot mit den Geflüchteten an Bord gekentert. Die griechischen Behörden hätten nicht alles Erforderliche getan, um die Flüchtlinge zu schützen und sie einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt, so der EGMR. Außerdem seien die Umstände des Unglücks nicht ausreichend aufgeklärt worden. Griechenland musste 330.000 Euro Schadenersatz zahlen.

Küstenwache ignorierte angeblich Notruf

Unterdessen berichtete das Portal Solomon unter Berufung auf die Initiative Alarm-Phone, dass zuvor ein Notruf des am Mittwoch gesunkenen Bootes von der Küstenwache ignoriert worden war. Die hatte das nach eigenen Angaben bereits seit Dienstagmorgen erfasst – die Insassen hätten Hilfsangebote abgelehnt.

Die Initiative Alarm-Phone hatte um 17:53 Uhr am Dienstag die griechische Rettungsleitstelle per E-Mail wegen des Bootes kontaktiert. In der Mail waren die Koordinaten des überladenen Schiffes angegeben, ebenso die Information, dass sich 750 Menschen an Bord befinden, sowie eine Telefonnummer, unter der die Passagiere kontaktiert werden konnten. „Sie bitten dringend um Hilfe“, heißt es in der E-Mail, die auch an Frontex und das Hauptquartier ging. Die Küstenwache sei aber untätig geblieben.

Am Donnerstag reiste der Frontex-Direktor Hans Leijtens wegen des Unfalls zu einem Treffen mit der griechischen Küstenwache. Er wolle „besser verstehen, was geschehen sei“, schrieb Leijtens.

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