Israels Militäroffensive: Pulverfass Dschenin

Israels Militär zieht mit Massenaufgebot ins Flüchtlingslager von Dschenin. Die palästinensischen Sicherheitskräfte habe jede Kontrolle verloren.

Militärlastwagen fahren auf der Straße, im Hintergrund schwarzer Rauch und junge Palästinenser unterwegs

Das israelische Militär nennt es Militäroperation: das Flüchtlingslager Dschenin im Westjordanland am 03.07.2023 Foto: Raneen Sawafta/reuters

Ausgerechnet im Flüchtlingslager von Dschenin startet die israelische Armee ihre größte Militäroperation seit 20 Jahren. Die Bilder der Panzerfahrzeuge, der Bulldozer und der Rauchwolken, die aus den bombardierten Häusern aufsteigen, wecken düstere Assoziationen. Das Flüchtlingslager war während der zweiten Intifada schon einmal Schauplatz heftigster Gefechte. Die Mission der SoldatInnen lautete einst wie jetzt: Vergeltung für und Prävention von Terroranschlägen.

Völlig unterschiedlich ist indes inzwischen die politische Gemengelage. Damals bekämpften sich der Hardliner Ariel Scharon und der legendäre PLO-Chef Jassir Arafat. Heute sind Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zwar auch nicht gerade beste Freunde.

Aber es besteht seit Beginn der politisch-geografischen Aufteilung der Palästinensergebiete in Westjordanland und Gazastreifen 2007 eine enge Zusammenarbeit von Israels Armee und den palästinensischen Sicherheitskräften gegen den gemeinsamen islamistischen Feind.

Diese Sicherheitskooperation funktioniert erstaunlich gut – nur in Dschenin nicht. Gegen Abbas, den Präsidenten ohne gültiges Mandat, formiert sich der Widerstand. Die Stadt im nördlichsten Zipfel des Westjordanlandes entgleitet ihm, seine Sicherheitstruppen haben keine Kontrolle mehr über die bewaffneten Guerillas. Dieses Vakuum soll das israelische Militär füllen. Schuld an der Misere ist der Palästinenserpräsident selbst, auch weil er Wahlen stets abzuwenden wusste und vom Abtreten nichts hören will.

Die marode Sicherheitslage ist aber auch Israel anzukreiden. Netanjahu wäre es nur recht, wenn Abbas’ Sicherheitstruppen für Ruhe sorgen im West­jordanland. Seine ultrarechten Koali­tionspartner hingegen sehen gerade in Abbas und seiner Autonomiebehörde ein Problem, das es zu zerstören gilt. Annexion und weg mit den palästinensischen Sicherheitskräften, an deren Stelle Israels Armee rückte.

Eine Rückkehr ins Jahr 1994. Gefechte wie in Dschenin gäbe es dann wieder überall im Westjordanland.

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1961 in Berlin geboren und seit 2021 Co-Leiterin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.

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