Tag X in Leipzig: Polizei räumt Handlungsbedarf ein

Das Urteil gegen Lina E. hat Leipzig in den Ausnahmezustand versetzt. Nach Kritik am Polizeieinsatz bemüht sich der Polizeipräsident um Transparenz.

Poloizisten in Unifroem und mit Schutzhelmen, einer rückt sein Visier zurecht

Leipzig, 03.06.2023: Polizisten im Einsatz am Tag X Foto: Sebastian Willnow/dpa

LEIPZIG/BERLIN dpa/taz | Der Leipziger Polizeipräsident René Demmler stuft den massiven Einsatz am linksradikalen „Tag X“ im Rückblick als rechtmäßig ein, sieht aber auch Handlungsbedarf. Es sei ein großes Problem gewesen, dass die Polizei die Zahl der Menschen erheblich unterschätzt habe, die am 3. Juni viele Stunden lang in einem Kessel festgesetzt worden waren, sagte Demmler. Auch die Kommunikation mit den Eingeschlossenen habe nicht funktioniert. Die Polizei hat das Geschehen rund um den „Tag X“ minutiös aufgearbeitet, Demmler stellte die Ergebnisse am Donnerstag im Innenausschuss des sächsischen Landtags vor.

„Wir sind nach wie vor der Meinung, dass das alles rechtmäßig ist“, sagte Demmler. An dem Einsatz mit mehr als 3.000 Beamtinnen und Beamten war im Nachhinein viel kritisiert worden. Vor allem der Kessel, in dem 1.043 Menschen teilweise bis zum Morgengrauen festgehalten worden waren, stand dabei im Fokus. Es wurden Vorwürfe erhoben, dass die Betroffenen schlecht versorgt wurden und dass sich auch 87 Jugendliche und zwei 13-jährige Kinder in dem Areal befanden. Die Polizei stellte von jedem Einzelnen die Identität fest. Es habe der Anfangsverdacht des schweren Landfriedensbruchs bestanden.

„Ein Riesenproblem hatten wir beim Bestimmen der Personenanzahl in der Umschließung“, sagte der Polizeipräsident. Dass sich dort mehr als 1.000 statt wie angenommen 300 bis 400 Menschen aufhielten, sei lange nicht klar gewesen. „Wir haben es bis zuletzt nicht gewusst, bis der Letzte raus war“, sagte Demmler. Der Kessel befand sich in einem kleinen Park, unter Bäumen und zwischen Gebüschen. Hätte man die tatsächliche Größenordnung erkannt, dann hätte man sich für eine verkürzte Identitätsfeststellung entschieden. Die Frage, wie man besser zählen und schätzen könne, sei aber schwierig zu beantworten.

Auch die Kommunikation mit den Menschen im Kessel habe nicht geklappt. Das räume er „unumwunden“ ein, sagte Demmler. „Eine klare und nachvollziehbare Kommunikation der Polizei ist in dem Bereich nicht gelungen.“ Hier gebe es Handlungsbedarf. Der Polizeichef wies allerdings auch darauf hin, dass die Eingeschlossenen nicht kooperativ waren. „Es wollte niemand mit uns reden.“

Demo-Sanitäter übernahmen Versorgung

Zur Kritik an der Versorgung sagte Demmler, dass sowohl ein Anhänger mit 1.000 Liter Trinkwasser als auch ein Toilettenwagen bereitstanden – allerdings außerhalb des Kessels. Auch Decken und Nahrung seien vorhanden gewesen. Letztlich hätten jedoch Demosanitäter die Versorgung der Menschen übernommen. Dafür bedanke er sich, sagte Demmler. Die Polizeiführung habe entschieden, die Sanitäter agieren zu lassen, allerdings auch das nicht klar kommuniziert.

Die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (Linke) zeigte sich im Anschluss an die Ausschusssitzung positiv überrascht, dass die Polizei bei einigen Aspekten Fehler einräumte. Es blieben aber noch immer Fragen offen, deren Beantwortung nun auf schriftlichem Wege erfolgen soll, sagte Köditz. „Es ist wichtig, solche Einsätze parlamentarisch aufzuarbeiten. Wenn Unbeteiligte in so großer Anzahl durch polizeiliche Maßnahmen gegen eine viel kleinere Gruppe betroffen sind, muss man schon die Frage stellen dürfen, ob die Einsatzstrategie die richtige war“, erklärte Albrecht Pallas (SPD). Es seien massive Grundrechtsverletzungen geschehen: „Mein Eindruck bleibt, dass zu sehr eskaliert wurde.“

Grünen-Politiker Valentin Lippmann sah sich nachher in seiner Auffassung bestätigt, dass die Einkesselung der Demonstranten unverhältnismäßig war. „Es ist weiterhin davon auszugehen, dass sich eine große Zahl von Menschen im Kessel befand, die zu keiner Zeit tatverdächtig waren.“ Man erwarte eine weitere Aufarbeitung des Einsatzes, Erkenntnisse müssten in die künftige Arbeit einfließen.

Anders fiel das Urteil der CDU aus. Sie sprach von einer „starken Leistung der Polizei“. „Versammlungsbehörde und Polizei haben bestmöglich dafür gesorgt, dass Leipzig am ‚Tag X‘ sicher blieb (…). Die ergriffenen Maßnahmen waren notwendig“, betonte CDU- Innenexperte Ronny Wähner. Die Umschließung habe sich konkret gegen eine Gruppe gerichtet, aus der heraus Gewalttaten begangen wurden. Unbeteiligte seien zuvor mehrfach aufgefordert, sich zu entfernen. „Dass die Polizei dann die Personalien potenzieller Straftäter aufnimmt, erwarten wir von ihr.“

Molotow-Cocktail auf Polizei geworfen

Der Polizeieinsatz zum „Tag X“ hatte am 31. Mai mit dem Urteil gegen die Linksextremistin Lina E. begonnen. An dem Mittwoch sowie am Freitag und am Samstag kam es jeweils zu Ausschreitungen in Leipzig. Polizisten wurden mit Steinen, Böllern und Flaschen beworfen, am Samstag vor Beginn der Einkesselung war auch ein Molotow-Cocktail aus den Reihen der Demonstranten geworfen worden. Die Staatsanwaltschaft sieht darin ein versuchtes Tötungsdelikt, sie ermittelt wegen versuchten Mordes gegen eine noch unbekannte Person, wie ein Sprecher sagte.

Der „Tag X“ sollte eine Reaktion der linken Szene auf das Lina-E.-Urteil sein. Die eigentliche Demo war von der Stadt Leipzig verboten worden, zwei Verwaltungsgerichte und das Bundesverfassungsgericht hatten das Verbot bestätigt.

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