Neues Theater in Hamburg: Hochrot über Altona

Mit „Effi, Ach“ zeigt das neu eröffnete Hamburger Theater im Alten Heizkraftwerk seine erste größere Inszenierung. Man muss nur den Eingang finden.

SchauspielerInnen auf Bühne

Fast ohne Fontane: Effi Briest im Alten Heizkraftwerk Foto: MvdS

Hoch ragt das Posthochhaus aus rotem Sichtbeton in den Himmel über Altona, und irgendwo auf der Rückseite des Komplexes, noch hinter den Auffahrten für die Postautos, muss das neue Theater sein. Vor den Sportplätzen geht es links rein, einen asphaltierten Weg an einer hohen Mauer entlang, der am Ende eine Kurve macht, und linkerhand geht es dann eine in Beton gefasst Einfahrt runter, die für große Fahrzeuge gemacht ist, nicht für Menschen.

Genau hier ist es, das Theater im Alten Heizkraftwerk, und da hinten stehen schon die Premierengäste in kleinen Grüppchen. Eine ältere Dame kurbelt das Autofenster runter und fragt, wo sie parken soll. Gute Frage. Vielleicht ist hinter der Industriebrache mit den drei Schornsteinen, in der früher wohl das Heizkraftwerk war, ein Parkdeck? „Fahren Sie ruhig da hoch“, ruft eine Frau mit roten Haaren, die in der Einfahrt steht, dem nächsten Autofahrer zu. Sie ist eigentlich Schauspielerin, betätigt sich aber als Platzanweiserin.

Klar doch, es geht hier um Kunst, der Wille dazu ist deutlich spürbar

Auf dem Hof direkt vor dem Eingang sind Klappstühle aufgebaut und Stehtische, ganz hinten in der Ecke drei Dixieklos, es wirkt alles noch ein wenig improvisiert, aber klar, es geht hier um Kunst, der Wille dazu ist deutlich spürbar. Also hinein in den abgedunkelten Vorraum, wo an einer nackten Betonwand, von Scheinwerfern beleuchtet, ein blattgoldener Bilderrahmen hängt, in dessen leeren Rechteck sich ein Lichtschalter befindet.

Finger mit eigenwilligen hölzernen Ringen gestikulieren, Wünsche kommen über Lippen, bitte ein Glas Wein. Ist die Frau an der Kasse auch bei dem Stück dabei? „Nicht auf der Bühne, ich bin die Dramaturgin.“ Ach.

Zwischen Stahl und Beton

„Effi, Ach, Effi Briest“ heißt das Stück, mit dem das Theater jetzt erst richtig eröffnet, nachdem es sich im vergangenen Jahr mit einer Soloperformance über das Verschwinden von Frauen auf der Bühne schon ein bisschen aufgewärmt hatte. Es dauert eben, bis alles steht, 1.300 Quadratmeter Brachfläche müssen hergerichtet werden, eine kleine Schauspielschule hängt auch mit dran, alles nicht so einfach, hatte Intendant Torsten Diehl gesagt, der am Kartentelefon saß.

Schwere schwarze Vorhänge; dahinter öffnet sich eine riesige Halle. Betonwände, Betondecke, Stahlstreben, ganz hinten das Heim der Familie Briest. Effi wartet im Halbdunkeln auf der Schaukel, bevor alles losgeht, mit Vater und Mutter Briest und den Hochzeitsplänen, frei nach Fontane.

Effi, ach Effi, singt eine Sängerin aus dem Halbdunkel links, auf eine Leinwand werden in schwarzweiß Familienszenen projiziert. In der Mitte der Halle, direkt vor dem Publikum, redet Effi sich in Rage, sie will besser werden, aber warum und wozu? Später führen ihre Eltern hier eine Sexszene vor, Vater Briest als Lustsklave von Mutter Briest in hautengem Kostüm, Autofahren darf er auch, aber das war’s dann schon.

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Hier, in der Mitte der Halle, wird Effi, bereits verheiratet und schwanger, ihrem späteren Kindermädchen begegnen, das in einem Rollstuhl herumfährt. Zwischen ihnen könnte was laufen, aber es kommt nicht dazu. Auch ihr späterer Liebhaber, der fesche Major, tritt hier auf, tanzt um sie herum. Daraus wird schon was, aber dann auch wieder nicht, denn zu sagen haben sie sich nichts.

Beim finalen Duell, als Effis Mann, der tumbe Baron Innstetten, wieder auf den Major trifft, funkt es zwischen den beiden, etwas überraschend. „Du!“ „Ach, du!“, sie küssen sich. Aber was eine Liebesgeschichte hätte werden können, ist vorbei, bevor es angefangen hat. Wie von Fontane vorgeschrieben, erschießt der Baron den Major, der auch sein Liebhaber hätte sein können, hätte, hätte.

Theater mit Vorgeschichte

„Und, wie hat es Ihnen gefallen?“, fragt zur Pause die Frau nebenan, die den Darsteller von Vater Briest kennt. Es ist Premiere, viele der Zu­schaue­r:in­nen dürften Freunde oder Verwandte sein, der Applaus am Ende ist lang. Nach der Vorstellung kommt Intendant Torsten Diehl, der auch Regie geführt sowie Sound und Videos gemacht hat, in den Vorraum, er wird sofort umringt. „Moment, Moment, ich muss …“ dann ist er weg, Hände schütteln.

Torsten Diehl ist in Hamburgs Theaterszene kein Unbekannter, er hat am Schauspielhaus Regie geführt, bevor die jetzige Intendantin kam, war dann so etwas wie der Hausregisseur des ­Monsuntheaters in Ottensen. Zuletzt hatte er sein Theater mit Schauspielschule in der Marzipanfabrik, nicht weit von hier, bis ausgerechnet der Teil abgerissen wurde, in dem er drin war.

So wie es aussieht, können sie nun hier im Alten Heizkraftwerk bleiben, zwischen Beton und Stahl. Der Mietvertrag mit der Stadt steht. „Wir“, sagt Diehl, „sind sehr froh.“

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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