Dystopische Zukunft: Das Virus der neuen Normalität

Die Hitzerekorde und das Umfragehoch der AfD weisen zusammen in eine Dystopie. Leider gibt es keinen Anlass zur Hoffnung.

Ein Jägerzaun mit einer Hecke und einer Bretterwand dahinter

Dank Realitätsverweigerung der AfD: Hier herrscht trotz Krise (noch) Ruhe hinterm Jägerzaun Foto: Shotshop/imago

Zwei Entwicklungen prägen diesen Sommer, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben, die aber einen Ausblick auf eine mögliche und leider ziemlich dystopische Zukunft erlauben. Die Rede ist auf der einen Seite von den Wettereignissen dieses Sommers, die eine sich beschleunigende Klimakrise spiegeln, und den Umfragerekorden der AfD auf der anderen. Beides ist seit Jahren absehbar, gegen beides sind wirksame Maßnahmen überfällig und beides trifft sich in einem Punkt: der Sehnsucht, zur vermeintlichen Normalität zurückzukehren.

In der Coronapandemie tauchte die Diskussion um Normalität, eine neue Normalität, „New Normal“, erstmals auf. Das Virus hatte das öffentliche Leben ein- und das gewohnte Leben vollständig auf den Kopf gestellt, Kontaktbeschränkungen, Abstand, Maske – sollte das künftig als „normal“ gelten, fragten sich viele. Wann können wir zu unserem normalen Leben zurück, wenn wir es überhaupt können? Inzwischen ist die Pandemie überstanden, die alte Normalität ist weitgehend zurückgekehrt, wir sind noch mal davongekommen.

Ganz anders sieht es aus bei der Klimakrise. Der diesjährige Sommer bricht Hitzerekorde in Serie, ein weiteres Mal, nachdem schon die vergangenen Jahre von immer neuen Superlativen und Katastrophen gekennzeichnet waren, man denke nur an die wochenlangen Waldbrände in Australien und Kalifornien.

Weitere Katastrophen sind gewiss, ihr Ausmaß dürfte größer und ihre Abstände kleiner werden. Teile des Planeten werden unbewohnbar, gewaltige Fluchtbewegungen, politische Instabilität und Gewalt folgen.

Guterres: „Klimahölle“

Wenn nichts passiert, ändert sich alles, die Erde wird zur „Klimahölle“ (Antonio Guterres), eine Rückkehr zur Normalität scheint ausgeschlossen. Wenn hingegen das Notwendige unternommen würde, wonach es gegenwärtig nicht aussieht, ändert sich gleichfalls fast alles.

Wir im wohlhabenden Teil der Welt müssen unseren expansiven Lebensstil grundlegend verändern, eine Ökonomie entwickeln, die nicht auf der fortgesetzten Übernutzung des Planeten und der exzessiven Ausbeutung seiner fossilen Rohstoffe beruht. Dazu gehört die Anerkennung, dass die Erde als eine Welt unteilbar ist, dass der Westen kein Vorrecht auf ein gutes Leben hat und die Menschen im Globalen Süden folglich nicht mit dem vorlieb nehmen müssen, was wir ihnen übrig lassen.

Die notwendige Transformation geht ans Eingemachte, es geht um mehr als nur um das gegenwärtige kapitalistische Wirtschaftssystem. Das gesamte, auf Verwertung zielende Verhältnis zur Welt und damit praktisch die gesamte Moderne steht zur Disposition.

Freiheit der Künftigen

Unsere Zivilisation muss ihren auf Wachstum gerichteten Lebensstil hinter sich lassen und stattdessen „die Freiheit der Künftigen“ erweitern, wie es kürzlich in einem Beitrag in der Zeit hieß. Ein Zurück zur gewohnten Normalität kann es mithin auch dann nicht geben, wenn es dem CO2 ausstoßenden, wohlhabenden Teil der Menschheit gelingen sollte, diese wahrhaft epochale Aufgabe zu stemmen.

„Deutschland, aber normal“ war demgegenüber der Slogan der AfD im letzten Wahlkampf. Die rechtsradikale Gruppierung mischt seit etlichen Jahren die Politik auf und hat sich in einigen Landstrichen vor allem im Osten als politische Kraft etabliert. Sie verfolgt eine restaurative Normalität, eine völkisch-deutsche Gesellschaft ohne Einwanderung, die aggressive Ablehnung fluider Rollenbilder und geschlechtlicher Vielfalt und eine patriarchal-autoritäre Ordnung, in der das Recht des Stärkeren gilt.

Das Programm der Partei ist eine einzige Verweigerung der diversen Realität der Migrationsgesellschaft und eine Beschwörung einer vermeintlich intakten Vergangenheit, in der die Welt der deutschen Kleinbürger noch in Ordnung war.

Wenig Anlass zur Hoffnung: Existenzielle Krisen sind gefundenes Fressen für Populisten

Dass auch die Klimakrise geleugnet und als Erfindung der verhassten liberalen Eliten dargestellt wird, braucht eigentlich nicht extra erwähnt zu werden. Das Vorteilhafte an der Realitätsverweigerung der AfD ist indes, sich des Veränderungsdrucks unserer Zeit zu entledigen, indem er einfach als Ideologie weltfremder Eliten hingestellt wird.

Die Zeit zurückdrehen

Für einen kurzen Moment kehrt dann Ruhe ein hinterm Jägerzaun, die düstere Aussicht der nahenden Katastrophe wird abgelöst durch das Versprechen, die Zeit zurückzudrehen und anzuhalten. Normalität eben.

Was in diesem Sommer nun sichtbar wird, ist erst der Anfang einer möglichen Entwicklung, in der inmitten zunehmender Naturkatastrophen und bei weiter steigendem Veränderungsdruck politische Akteure und Wäh­le­r:in­nen der Verlockung nicht widerstehen können, die Realität der Klimakatastrophe hinter sich zu lassen und in populistische Phantasmen zu flüchten.

Gewohnte Normalität per Akklamation quasi. In der Union deutet sich schon an, wie eine Öffnung zum Krawallkonservativismus US-amerikanischer oder britischer Prägung aussehen könnte, Sahra Wagenknecht führt derweil linkspopulistische Realitätsverweigerung mit ihrer devoten Haltung gegenüber dem Moskauer Kriegsregime, ihrer Angstrhetorik vom Niedergang Deutschlands und ihrer absurden Panik vor Transmännern in Frauensaunen vor.

Corona hat gezeigt, wie offen die Argumente der Populisten in Krisenzeiten für blühenden Unsinn waren. Die Kriminalisierung der Klimaproteste der Letzten Generation macht deutlich, wie Normalität der Vergangenheit im Zweifel von Polizei und Justiz als Status quo verteidigt wird.

Wenn Wasser knapp wird

Man mag sich angesichts dessen gar nicht vorstellen, welcher Wahnsinn losbrechen könnte, wenn wirklich das Wasser knapp wird, wenn Ereignisse wie die Flut im Ahrtal in noch schlimmerer Form wiederkehren, wenn der normale Lauf des Lebens also tatsächlich unterbrochen wird und der Ausnahmezustand einkehrt.

Leider gibt es wenig Anlass zur Hoffnung. Existenzielle Krisen sind gefundenes Fressen für Demagogen und Populisten, seit Jahren arbeiten sie schon daran, sich mit einfachen Erklärungen für komplexe Problemlagen als selbsternannte Stimme des Volkes gegen die da oben in Stellung zu bringen. Sie eint das Versprechen, die Welt nach ihrem Bilde zurechtzubiegen, die vorgefundene Wirklichkeit ficht sie nicht an, Widerspruch gilt stets als von irgendwelchen Eliten gesteuert.

Politik ist bei Populisten stets Antagonismus, die Polis wird zum Schlachtfeld. Es bleibt nur zu hoffen, dass eine vernünftige Mehrheit sich für einen demokratischen Weg entscheidet, die notwendigen Umwälzungen mitträgt und die Politik besser als derzeit in der Lage sein wird, die notwendigen Maßnahmen in ihrer Dringlichkeit zu kommunizieren.

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