Nationalsoziale Wiedervereinigung: Die Verschwörung der Viererbande

Eine Legende aus dem neuen Mittelalter erzählt von der wunderbaren Versöhnung zweier alter Recken. Den Nahkampf überlassen sie Jüngeren.

Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine lachen zusammen

Gerhard und Oskar, da geht doch noch was Foto: Dieter Bauer/imago

Nun, wackere Herren, edle Damen, kommt ein wenig näher, setzt euch ans Feuer, dass ich euch die Geschichte erzählen kann, vom alten König Gerd, seinem einstigen Vasallen und erbittertem Gegner, Fürst Oskar von der Saar und von ihren Gemahlinnen, den Prinzessinnen So-yeon und Sahra, die kämpferisch, herzensvoll und mit rhetorischem Geschick für ihre Sache eintraten: Das Volk noch einmal zurückführen ins Reich von Fleiß, Industrie und Disziplin, in der neuen Weltordnung, in der die fatalen Schwächen des Westens gegen den neuen Kaiser von China und den neuen Zaren von Russland ins Auge fielen. Kein Jahrmarkt, auf dem sie nicht auftraten, kein Portal, an das sie nicht ihre Sinnsprüche hefteten. Das Volk verstand sie allerdings noch nicht recht zu deuten. Es hatte allerdings auch gerade mit einer Reihe von Unruhen und Widrigkeiten zu kämpfen.

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Die Erinnerung an die Regentschaft des strengen Königs Gerd VII. begann damals, es war so um die zwanziger Jahre des nachmodernen Jahrhunderts, schon ein wenig zu verblassen. Man erinnerte sich seiner allerdings immer einmal wieder, nicht zuletzt deswegen, weil er sich um keinen Preis von seinem Privileg der Räumlichkeiten im Schloss trennen wollte. König Gerd „der Hartze“, wie das Volk ihn damals nannte, hatte seinerzeit die Bewohner seines kleinen Landes in der Mitte des Kontinents wieder auf den rechten Pfad des protestantischen Kapitalismus zurückführen wollen. Er verlangte Fleiß und Disziplin und die Abkehr von allem „Gedöns“.

König Gerd der Siebte hatte seinem Volk eine strenge Agenda verordnet, das ihn deshalb auch nur noch teilweise liebte. Er duldete keine Faulheit, und nach seiner erzwungenen Abdankung (die er im Übrigen nie ganz verwunden hatte) wollte er sein Volk mit einem guten Beispiel beschämen. Er ging an den Hof des neuen Zaren, und er setzt sich seitdem nimmermüde für den Verkauf der magischen Substanz ein, ohne die Fleiß und Disziplin nicht taugen. Daher wurde er auch GAZPROM-Gerd genannt, und der Zar liebte Gerd und Gerd liebte den Zaren.

Nicht alle Vasallen und Minister waren mit der Politik des protestantischen Herrschers einverstanden. Der einstige Gefährte Fürst Oskar von der Saar verließ König Gerd im Zorn. Er teilte nicht die Hingabe an den austeritären Merkantilismus und war überhaupt auch ein wenig sinnenfroher gestimmt als sein König. Aus der abgetrennten Provinz, die sich mit dem Königreich wieder vereinigt hatte, kam Prinzessin Sahra, die erst Fürst Oskars Weggenossin und dann auch seine Gemahlin wurde. Sie hatten sich an die Spitze einer neuen Bewegung gesetzt, die sie „Die Linke“ nannten, doch bald wurden die beiden auch mit dieser Bewegung unzufrieden. Sei es weil sie einfach den Weg zur Macht nicht fand, sei es, weil sie nicht wirklich das repräsentieren, was Fürst Oskar und Prinzessin Sahra im Kopf hatten. Aber was war es, ihr edlen Herren und wackeren Damen, das Oskar und Sahra im Kopf hatten? Die Wahrheit ist: So genau wussten sie es eigentlich selber nicht.

Des alten König Gerds neue Gemahlin, So-yeon Kim aus dem fernen (übrigens ebenfalls gespaltenen) Land Korea, war ebenfalls hoch aktiv. Sie hatte nicht nur das Testament des alten Königs ins Koreanische übersetzt, sie war vielmehr berühmt für ihren öffentlichen Einsatz für die mächtige weltweite Bruderschaft des „Global Business“, deren koreanische Repräsentantin sie war, und sie teilte mit dem alten König, aber (vielleicht ohne es zu wissen) auch mit Fürst Oskar und Prinzessin Sahra die Vorstellung von einem Volk, das arbeiten und „vernünftig sein“ sollte, und sie teilte mit ihnen die Bewunderung für das neue Zarentum. Dies freilich wurde ihr insofern zum Verhängnis, als sie und der alte König Gerd im Mai 2023 zum „Tag des Sieges“ gemeinsam mit allerlei finsteren Gestalten von der rechten Verschwörung in der Botschaft des Zaren feierten. Die Bruderschaft des Global Business verjagte Prinzessin So-yeon.

Überall Gespenster

So waren sie also: Vier Verjagte, vier Herrscher ohne Kronen und ohne Land, vier Menschen, denen man die Macht, die ihnen von Gottes und der Geschichte Gnaden zustand, nicht mehr zu geben bereit war. Und sie begaben sich, zuerst jeder für sich und schließlich gemeinsam, auf die Suche nach neuen Verbündeten in ihren angestammten Ländern.

Bei einer solchen Suche ist es nun nicht erstaunlich, dass ihre Reden seltsam wirr, ihre Ankündigungen vage und ihre Auftritte ein wenig seltsam wurden. Doch war es gerade das, was man auf den Jahrmärkten und um die Portale herum so schätzte. Schließlich waren die alten Glaubenssätze längst dahin, die innere Einheit der Länder nur noch eine Behauptung, und kaum eine Idee verrückt oder bösartig genug, als dass sie nicht ihre Anhänger gefunden hätten.

Das Volk war in Aufruhr, man fürchtete überall Gespenster, man sehnte sich nach der Möglichkeit, Hexen zu verbrennen oder Pogrome zu veranstalten gegen die, die bekanntlich an allem schuld sind. Die neuen Herrscher waren uneins, sollte man zurückkehren zu König Gerds protestantischer Disziplin, sollte man ein wenig nach natürlicher und gesellschaftlicher Gerechtigkeit streben? Einig war man sich nur in dem Bestreben, dem Angriffskrieg des neuen Zaren zu widerstehen. Aber das Volk war sich darüber keineswegs einig. Viele fühlten sich von der männlichen Stärke des Zaren angezogen, der kein „Gedöns“ in seinem Reich duldete, und andere verlangten einfach nur, dass man ihnen von dem Stoff, der alles am Laufen hält, wieder ausreichend liefere, König Gerds GAZPROM und andere wiederum wollten selber wieder in ein Reich, in dem Sauberkeit und Anständigkeit (und ab und zu eine kleine Hexenverbrennung) das Leben ordnete.

Die vier Ausgestoßenen – die Männer unter ihnen kamen langsam in die Jahre, wo es dem Griff nach der Macht an einer gewissen Frische mangeln könnte – erkannten in der inneren Unruhe und den Widerläufigkeiten in der Volksseele ihre Chance. Eine neue Bewegung sollte entstehen, gerade so unruhig und widerläufig wie die Stimmung dieser Zeit. Und da auch erkannten die alten Kampfgefährten und späteren Gegner – oder waren es ihre Gemahlinnen? –, dass sie nicht nur in ihren Zielen, sondern auch ihrem Wesen nach zusammengehörten: der alte König Gerd, der zum GAZPROM-Händler geworden war, Fürst Oskar, der gerade die Lust am Ränkespiel verloren zu haben schien, Prinzessin So-yeon, die ein neues global business, und Prinzessin Sahra, die eine neue Bewegung suchte, ihr zu huldigen. (Denn Jahrmärkte und Portale werden auf Dauer auch ein wenig fad.)

Sozialzaristische Nationalvolksbewegung

Nun also trafen sich die vier, die sich vordem freundliche Grußbotschaften und Versöhnungsworte gesandt hatten, unter dem Vorwand einer privaten Feier. Doch was in Wahrheit geschah, das war die Gründung der sozialzaristischen Nationalvolksbewegung. Aus dem Geist von Wirrnis und Gewalt sollte sie entstehen und dem „Gedöns“ ein Ende bereiten.

Wann sollen wir vier uns wieder treffen?, fragte Fürst Oskar, und seine Frau Sahra wusste sogleich die Antwort: Im Herbst. Wenn unsere Bewegung einen neuen Namen bekommt und wir uns das Volk zurückholen, das sich so schmählich teilte in urbane Nichtstuer, die nichts als ihren Lebensstil und das Bekümmern um einzig richtige Wortgedönse pflegen, und in die ­umherziehenden Montagsrebellen auf der Suche nach jemandem, der ihnen sagt, welche Hexen es zu verbrennen gebe. Wir werden, sagten Sahra, Gerd, So-yeon und Oskar diesem Land eine neue Richtung geben. Vorwärts in die Vergangenheit.

Und wie die Geschichte der Viererbande nun weiterging, tapfre Damen, wohledle Herren, des Kunde müsst ihr mit nur noch wenig Geduld harren. Denn der deutsche Herbst ist bereits angebrochen.

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