Die Wahrheit: Wer zieht der Olsch die Socken aus

Wer will Alice Weidel bloß ihr Schnitzel wegnehmen? Ihrem Gebrüll nach muss es jemand ganz Schlimmes sein, der ihr fades Fleischlein mopsen möchte.

Seit ein paar Tagen regnet der Herbst voll in den vermeintlich ewigen Spätsommer hinein. Norddeutschland gibt wieder Norddeutschland statt Indian Summer mit Mittelmeerbrise und Klimakollaps. Dazu sinkt die Stimmung stündlich, besonders nach dem Wahlsonntag.

Wenn ich demnächst durch Hessen laufe – spätestens zur Buchmesse ist es soweit – und mir zehn Menschen entgegenkommen, treffe ich also jeweils acht Hessen und zwei Rechtsextreme. Oder vielleicht auch acht okaye Typen und Typinnen und zwei Gewählthabende, denen die Folgen ihres Handelns piepegal sind und die in einem fort rufen: „Die da oben, die da oben! Noch nie gearbeitet, überbezahlte Clowns, brizzelbrazzel, blabla!“ Als ob irgendein Mechanismus im Hirn ausrastet und man es einfach nicht wieder zurück in die Denkspur schafft.

Ich würde mir gern einbilden, dass wir Norddeutschen diesem menschenverachtenden Mistverein stabil standhalten, aber sicher kann man sich da leider auch nicht sein. Höchstens in Schleswig-Holstein, jener Insel der Seligen, die mit ihrer Landesregierung einfach nur zufrieden sind. Ohne Neid, Hass und Missgunst. Allerdings ist das ja auch gar kein Bundesland, sondern ein Puff, wie der Herr Ministerpräsident Daniel „Leyla“ Günther auf öffentlichen Partys schon mal durch den Saal grölt. Schön, wenn die Puff-Insassen sich nicht beschweren.

Alice Weidel kräht derweil lieber in die Kamera, dass sie sich ihr Schnitzel nicht wegnehmen lasse. Mein Gott. Genauso gut könnte sie brüllen, dass die Grünen ihr die Socken nicht ausziehen dürfen. Denn schließlich will weit und breit niemand der AfD-Olsch ihr klimaschädliches, fades Fleischlein mopsen. Eigentlich möchte ich lieber gar nichts von ihrem Teller nehmen. Aber das Schnitzel ist es offenbar, womit sich in unserem Land Wählerstimmen gewinnen lassen. Wie deprimierend.

Da bin ich froh, dass wenigstens Jesus mich liebt. So ist es auf dem VW-Bus zu lesen, der in meinem Dorf die Straße blockiert, weil seine Fahrerin zu faul ist, auf den Parkplatz unseres Klein-Supermarkts zu fahren. „Jesus liebt dich vielleicht, aber er parkt nicht für dich! Schon mal drüber nachgedacht?“, rufe ich ihr zu – aber nur in meinen kühnen Träumen. Ich bin nicht konfrontationstauglich, weder auf dem Parkplatz noch in der Politik.

Vielleicht ist es auch so, dass die Jesusgeliebte meint, sich um Details nicht mehr kümmern zu müssen, weil sie weiß, dass sie sowieso ein guter Mensch ist, wegen Gott und so. Ein beliebter Effekt – erst das Biogemüse in den Einkaufskorb packen und danach die Kassiererin beleidigen.

Fast genauso funktioniert die AfD. Allerdings beleidigt sie alle Demokraten, verzichtet dabei gleich auf die organisch angebauten Möhren, beißt in niedliche, wimmernde Ferkel und war noch nie ein guter Mensch. Wahrscheinlich fährt sie noch nicht einmal einen VW-Bus. Und falls Jesus ihr das Schnitzel wegnehmen will, muss er sich verdammt warm anziehen.

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Susanne Fischer schreibt Romane und Kinderbücher und arbeitet als Geschäftsführender Vorstand der Arno Schmidt Stiftung und des Deutschen Literaturfonds e.V., letzteres ehrenamtlich. (FOTO: THOMAS MÜLLER)

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kari

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