Rechtsruck und Gegenstrategien: Schluss mit dem Abschottungsbingo

Die AfD ist nun auch im Westen stark. Das liegt auch den Fehlern der demokratischen Parteien: Sie eifern den Rechtsextremen nach.

Wahlplakat auf der Straße.

Wahlplakat der AfD auf einer Straße in Frankfurt am Main Foto: Michael Probst/ap

Hätte man vor anderthalb Jahren gefragt, was eigentlich die AfD macht, wäre die Antwort gewesen: Sie dümpelt vor sich hin als radikale Ostpartei mit rechtsextremer Kernwählerschaft. Die Partei galt vielen als ausmobilisiert. Sie hatte sich selbst in mehreren Häutungen aus dem politischen Diskurs herausradikalisiert. Aufgrund ihrer Inkompetenz und ihres Desinteresses an funktionierender Politik ist die AfD kein ernst zu nehmender, geschweige denn bündnisfähiger Akteur.

Aber seit Beginn des Ukrainekriegs hat sich etwas verschoben: Vergangenen Sonntag hat die AfD in Bayern fast 15 Prozent geholt; in Hessen ist sie mit über 18 Prozent zweitstärkste Kraft geworden. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Wir haben mul­tiple Krisen, in denen die Regierung eine Politik des Spar­zwangs durchzieht und wichtige In­ves­ti­tio­nen in ohnehin kaputtgesparte soziale In­fra­struk­tur ausbleiben. Wohlstandsverluste sind spürbar, Aufstiegsversprechen klingen leer – hinzu kommen latente autoritäre und rassistische Einstellungen.

In der Krise sehnen sich viele nach heiler Welt. Die AfD sagt: Es liegt nicht an dir, es liegt an „den Ausländern“, den Grünen, den „Globalisten“. Sie bietet ein unterkomplexes Identitätsangebot in einer Art 50er-Jahre-/Weiße-Männer-Bullerbü, also Identitätspolitik hauptsächlich für weiße Männer, die Angst vor der Realität haben. Mit dem Verdrängen der Klimakrise und der geschürten Furcht vor ökologischer Transformation und vor Einwanderung kann die AfD neue Wählerschichten erschließen: Junge Leute wählten erstmals vermehrt AfD; ebenso hat die Partei einen verbesserten Stand in der Arbeiterschaft, obwohl AfD-Politik für eine Umverteilung von unten nach oben sorgen würde.

Falsche Strategie

Die Wahlen haben gezeigt, dass die demokratischen Parteien die falsche Strategie im Umgang mit der AfD haben. Denn die einzige Antwort ist bisher: rechte Politik. Wenn die Ampelparteien und die Union aber weiter täglich Kästchen im Bull­shit­bingo der unwirksamen Abschottungsforderungen abhaken, muss sich niemand wundern, dass die AfD weiter die Angstwelle surfen kann.

Die medial befeuerte Migrationsdebatte wird weitgehend faktenfrei auf dem Rücken der Flüchtlinge geführt. Das ist nicht nur menschenverachtend, sondern auch kurzsichtig. Anstatt mit Scheinlösungen zur Abschottung ihre Handlungsfähigkeit zu simulieren, sollte sich die Politik ehrlich machen.

Es braucht angesichts der Überalterung und des Arbeitskräftemangels eine breitere Anerkennung von Qualifikationen, den erleichterten Zugang zu Deutschkursen und die Förderung von Ausbildungen. Die Bundesregierung sollte sagen: Das mag alles nicht leicht sein, aber wir haben es einmal geschafft – und wir schaffen es noch mal.

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Inland und taz Berlin. Themenschwerpunkte: soziale Bewegungen, AfD, extreme Rechte

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