Rauch und Dampf steigen über vielen Schortsteinen auf

Thyssen-Stahlhütte in Duisburg, 1987 Foto: Sven Simon/imago

Studie zu Gerechtigkeit beim Klimaschutz:Das Konto ist längst überzogen

Das CO2-Budget für das 1,5-Grad-Ziel bei der Erderhitzung schrumpft. Eine Studie zeigt: Reiche Länder haben ihren Anteil vor Jahrzehnten aufgebraucht.

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2.12.2023, 09:38  Uhr

Das Bibelgleichnis vom verlorenen Sohn erzählt von einem Mann, der sich früh sein Erbe auszahlen lässt und es verprasst. Er kehrt verarmt zum Vater zurück, der ihn freudig wieder aufnimmt. Der andere Sohn, der zu Hause geblieben war, beschwert sich über das Verhalten des Vaters.

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In der Bibel soll das Gleichnis von der Barmherzigkeit Gottes erzählen. Aber ist das gerecht? Dürfen Menschen, die ihren Anteil schon verprasst haben, noch weiter vom Anteil der anderen leben?

Diese Frage dürfte in den kommenden Wochen bei der Klimakonferenz COP28 wieder aufkommen. Reiche Länder wie die USA oder Deutschland haben lange vor anderen angefangen, fossile Energieträger zu verbrennen. Sie haben sich mit der so gewonnenen Energie industrialisiert und sich einen wirtschaftlichen Vorsprung gesichert. Und sie haben die Welt an den Rand des Klimakollapses gebracht.

Wie gerecht ist es nun, dass diese Länder noch mehrere Jahrzehnte Treibhausgase emittieren wollen, während viele Menschen auf der Welt kaum Zugang zu Energie haben? Und was, wenn diese Menschen in Ländern leben, die historisch wenig zur Klimakrise beigetragen haben?

Die fossile Energie der Welt kann man wie ein riesiges Erbe verstehen. Kohle und Erdöl haben sich vor Millionen von Jahren aus Abbauprodukten von toten Pflanzen und Tieren entwickelt. Werden sie nun verbrannt, gelangen Kohlenstoffe, die lange Zeit weggeschlossen waren, in die Atmosphäre und heizen die Welt auf.

Und sie bescheren der Menschheit einen einmaligen Reichtum an Energie. Würde man dieses Erbe gerecht verteilen, stünde allen gleich viel zu.

Manche Länder emittieren schon viel länger als andere

In der Klimapolitik haben sich in den vergangenen Jahren sogenannte CO2-Budgets etabliert. Diese geben an, wie viel Kohlenstoffdioxid noch ausgestoßen werden kann, um die Erderhitzung so minimal wie möglich zu halten. In der Regel werden die Budgets ab dem Jahr 2015 berechnet, dem Jahr, in dem das Pariser Klimaabkommen beschlossen wurde. Das Abkommen definiert eine Grenze von 1,5 Grad beziehungsweise „deutlich unter 2 Grad“ im Vergleich zum vorindustriellen Niveau.

Doch was passiert, wenn man berücksichtigt, dass manche Länder schon viel länger emittieren als andere?

Die Wissenschaftler Andrew Fanning und Jason Hickel rechnen in einer aktuellen Studie mit Budgets, die im Jahr 1960 ansetzen. Sie kalkulieren, wie viel CO2 seitdem emittiert werden durfte, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, und verteilen dieses zu gleichen Teilen auf alle Menschen.

Die CO2-Emissionen von Ländern werden selbst heute nicht gemessen, sondern anhand von Wirtschaftsdaten geschätzt. Für die Vergangenheit sind solche Berechnungen komplexer, weil Wirtschaftsdaten lückenhafter sind. Außerdem haben sich während dieser Zeit Grenzen verschoben, manche Länder sind verschwunden oder neu entstanden.

Hinzu kommt die Frage, ob Emissionen dem Ort zugerechnet werden sollen, wo sie tatsächlich entstehen (Territorial-Emissionen), oder dort, wo die Güter später verwendet werden (Konsum-Emissionen). Letzterer Zugang wird allgemein als gerechtere Zuordnung von Verantwortung angesehen, entsprechende Datensätze gibt es aber nur seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Datensätze, die Emissionen seit 1850 zählen, geben Territorialemissionen an.

Für die Studie berechnen Fanning und Hickel zur Kontrolle auch, wie sich ihre Ergebnisse verändern, wenn sie statt Anfangsjahr 1850 oder 1992 annehmen. In beiden Fällen überziehen die Länder des Globalen Nordens ihren fairen Anteil für sowohl das 1,5- als auch das 2-Grad-Ziel aus dem Pariser Abkommen.

Anhand der Emissionen seit 1960 und der jährlichen Bevölkerungszahlen für 168 Länder berechnen sie, wann diese ihre Budgets für die 1,5- und 2-Grad-Ziele aus dem Pariser Abkommen aufgebraucht haben. Die 39 Länder aus dem Globalen Norden haben demnach ihren fairen Anteil für das 1,5-Grad-Ziel im Durchschnitt 1986 aufgebraucht. Die 129 Länder des Globalen Südens werden ihren Anteil durchschnittlich erst 2048 aufgebraucht haben – selbst wenn sie jetzt keinen weiteren Klimaschutz betreiben.

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Deutschland überschritt schon Anfang der 1980er Jahre das faire Budget für 1,5 Grad Klimaerhitzung. Das heißt: Jede Autofahrt, jeder Flug, jede genutzte Öl- oder Gasheizung seit damals sind der deutsche Beitrag an einer Welt, die heißer wird als 1,5 Grad. Wenn die Bundesregierung sich nun Zeit bis 2045 nehmen will, damit Deutschland klimaneutral wird, ist sie also mehr als ein halbes Jahrhundert zu spät dran.

China hat erst 58 Prozent seines Budgets aufgebraucht

Oft wird in der Diskussion um Klimaschutz auf große Entwicklungsländer wie Indien oder China verwiesen. Die Emissionen pro Person in China nähern sich derzeit jenen Europas an, und Indien verbrennt weiterhin viel Kohle, um Strom zu produzieren. Würden sich alle Menschen in den beiden Milliardenländern ein Auto kaufen wollen, wäre Klimaschutz unmöglich. Doch der Blick auf die historischen Emissionen zeigt ein anderers Bild. China hat bisher nur 58 Prozent des dem Land zustehenden CO2-Budgets aufgebraucht, Indien gar erst 15 Prozent.

Fanning und Hickel stellen aber auch eine weitere Frage: Bei welcher Menge an Emissionen wäre die Klimakrise nicht ausgelöst worden? Ihre Antwort: Bei einem Anteil von 350 Millionstel CO2 in der Atmosphäre. Mit diesem Wert, der 1988 erreicht wurde, hätte sich die Erde nur um etwa 0,5 Grad aufgeheizt. Zu diesem Zeitpunkt hat die Menschheit die größtmögliche Menge an fossiler Energie freigesetzt, ohne dass das Klima grundsätzlich gefährdet worden wäre.

Die 39 Länder des Globalen Nordens haben diese Schwelle im gemeinsamen Durchschnitt bereits 1969 erreicht, die 129 Länder im Globalen Süden waren erst 2012 so weit. Wenn man wie die Autoren der Studie alle Emissionen, die das 0,5-Grad-Budget überschreiten, als „Überschuss-Emissionen“ begreift, die zur Destabilisierung des Klimas beigetragen haben, zeigt sich: 91 Prozent dieser Überschuss-Emissionen sind auf den Globalen Norden zurückzuführen. Für die Klimakrise ist der Globale Norden verantwortlich.

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Und so unterscheidet sich die Realität deutlich von der biblischen Erzählung vom verlorenen Sohn. Dieser kommt verarmt, reumütig und bescheiden zu seinem Vater zurück, aber die Länder im Globalen Norden sind weder verarmt, noch sind sie bereit, ihre übergroße Verantwortung für die Klimakrise anzuerkennen und entsprechend zu handeln. Und sie gefährden damit andere, denn die Länder, die heute am meisten durch die Klimakrise gefährdet sind, haben in der Regel am wenigsten zu ihr beigetragen.

2000 Jahre lang zurückzahlen?

Wie kann also ein Ausgleich aussehen? Sollten die Länder des Globalen Nordens einen Teil ihres Reichtums abgeben?

In ihrer Studie arbeiten Andrew Fanning und Jason Hickel mit einem Szenario, in dem bis 2050 die 1,5-Grad-Grenze eingehalten wird. Sie berechnen, wie viel Ausgleich die Länder mit den Überschussemissionen an die anderen Länder zahlen müssten. Anhand von steigenden CO2-Preisen aus den Szenarien des IPCC beziffern sie die Ausgleichszahlungen auf 192 Billionen Dollar – also 192.000 Milliarden Dollar.

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Eine gigantische Zahl. So beträgt das deutsche Bruttoinlandsprodukt, also der Wert aller in einem Jahr hergestellten Güter und Dienstleistungen, 4 Billionen Dollar.

Derzeit wollen die reichen Länder der Welt 100 Milliarden Dollar jährlich an den Globalen Süden für Klimaschutz- und Anpassungsprojekte zahlen – diese Zahlungen müssten fast zwei Jahrtausende weiterlaufen, um diese Summe zu erreichen.

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