Eskalierte Abschiebung in Schwerin: Kurze Ruhe für afghanische Familie

Die Abschiebung zweier junger Afghanen setzt die Kieler Ausländerbehörde vorübergend aus. Zuvor war ein gescheiterter Versuch eskaliert.

Drei SEK-Beamte sowie ein weiterer Polizist vor einer Haustür

Kirchenasyl in Schwerin: In diesem Haus lebte die sechsköpfige Familie seit einer Woche Foto: Bernd Wüstneck / dpa

BREMEN/SCHWERIN taz | Vorübergehend ausgesetzt hat die Kieler Ausländerbehörde am Donnerstag die Abschiebung von zwei jungen Afghanen nach Spanien. Als Grund gab eine Sprecherin der Stadt Kiel die „nach gestern anzunehmenden gesundheitlichen Einschränkungen“ an. Sie bezieht sich damit auf den gescheiterten Abschiebeversuch vom Mittwoch aus dem Kirchenasyl in Schwerin.

Dieser hatte mit einem Einsatz von 40 Polizist:in­nen unter Beteiligung eines Spezialeinsatz-Kommandos geendet und damit, dass die Mutter der beiden, eine 47-jährige afghanische TV-Journalistin und Frauenrechtlerin, drohte, sich und ihre beiden jüngeren Kinder zu töten. Sie befindet sich nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie wieder bei ihrer Familie. Gegen sie wird wegen Bedrohung und Nötigung ermittelt.

Ihr ältester Sohn, ein 22-Jähriger, war ebenfalls zur Behandlung im Krankenhaus. Er hatte sich laut Polizei mit Glasscherben im Gesicht verletzt, als diese ihn mitnehmen wollte. Nach Angaben seines Anwalts nahm ihn die Polizei am Donnerstag nach der Entlassung aus der Klinik vorübergehend in Gewahrsam.

Zu der Familie gehört noch sein 18-jähriger Bruder, der ebenfalls abgeschoben werden sollte, sowie sein 49-jähriger Vater, ein 13-jähriges Mädchen und ein Zehnjähriger. Auf einem Video der Deutschen Presse-Agentur ist zu sehen, wie das jüngste Kind weinend und flehend von einem Polizisten aus dem Einfamilienhaus am Schweriner Stadtrand geschoben wird, in dem es seit einer Woche mit seiner Familie lebte.

Falschmeldungen in den Medien

Eine Helferin der Familie, eine britische Anwältin, hatte der taz von einem Telefonat mit den Kindern berichtet. Sie seien völlig verstört gewesen, die Mutter nicht mehr ansprechbar. In Medienberichten hatte es geheißen, die Familie habe sich in der Wohnung „verschanzt“, um die Abschiebung zu verhindern. Das ist falsch. Eine Polizeisprecherin sagte der taz, es habe die ganze Zeit Sichtkontakt zu der Familie bestanden.

Zunächst seien drei Polizeibeamte gegen halb sieben Uhr am Morgen mit dem Pastor der Gemeinde zur Wohnung gegangen und hätten im Inneren der Wohnung mit der Familie auf Englisch gesprochen, so die Sprecherin. Als die Mutter eine Stunde später drohte, sich und den jüngeren Kindern etwas anzutun, hätten sich die Po­li­zis­t:in­nen zurück gezogen und Verstärkung angefordert. Die für solche Verhandlungen geschulten Po­li­zis­t:in­nen hätten die Situation zunächst beruhigen können. Der „Zugriff“ um zwanzig vor elf sei erfolgt, nachdem das Geräusch von klirrendem Glas zu hören gewesen sei.

Die Nordkirche hatte der sechsköpfigen Familie Kirchenasyl angeboten, weil das Bundesamt für Migration keinen Härtefall anerkannt hatte. Es besteht auf der Abschiebung nach Spanien, weil es das europäische Land ist, in dem die Familie im April nach ihrer Flucht über den Iran zuerst angekommen war.

Allerdings hatte die Bundesregierung die Aufnahme der Familie zugesagt, weil sie aufgrund der exponierten Stellung der Mutter besonders gefährdet ist. Aus gesundheitlichen Gründen reiste die Familie nach Spanien. Das Land stellte schneller als Deutschland ein Visum aus. Zuletzt hatte sie in Kiel gelebt.

Nach wie vor ausreisepflichtig

Alle sechs sind nach wie vor ausreisepflichtig nach Spanien. Im Fall der Eltern und der beiden minderjährigen Kinder hatte der Anwalt Rechtsmittel eingelegt. Diese Verfahren sind noch nicht abgeschlossen.

Geflüchteten-Organisationen sowie Kir­chen­ver­tre­te­r:in­nen haben das Vorgehen von Ausländerbehörde und Polizei kritisiert. „Mir größter Besorgnis“ habe er die versuchte Abschiebung zur Kenntnis genommen, sagte Stefan Heße, katholischer Erzbischof im Erzbistum Hamburg, der im Juni die Schweriner Gemeinde besucht hatte. „Das große Engagement für die Anliegen schutzsuchender Menschen in der Gemeinde hat mich sehr beeindruckt.“

Bevor eine Gemeinde Kirchenasyl gewähre, prüfe sie die Umstände sehr genau, sagte Heße. „Mit dem Kirchenasyl beanspruchen wir als Kirche kein Sonderrecht; vielmehr wissen wir uns rechtstaatlichen Prinzipien verpflichtet.“ Das Ziel sei, in Kooperation mit den staatlichen Stellen zu einer Überprüfung und Neubewertung des konkreten Einzelfalles zu kommen.

„Es ist erschreckend, dass im aktuellen Fall in Schwerin die staatlichen Stellen das Kirchenasyl zu brechen versuchten und die betroffene Familie der Gefahr einer erneuten Traumatisierung ausgesetzt haben“, sagte Heße.

Kritik am Auswärtigen Amt

Dietlind Jochims, Flüchtlingsbeauftragten der Nordkirche, zu der die Schweriner Gemeinde gehört, kritisierte zudem das Auswärtige Amt dafür, dass die Familie trotz Aufnahmezusage nicht rechtzeitig eine Einreiseerlaubnis bekommen hatte. „Es ist ein Armutszeugnis für die Behörden, dass die Visa-Formalitäten viel zu schleppend angesichts der Lebensgefahr für die Familie bearbeitet worden sind.“

Damit ist die Familie kein Einzelfall. Zwischen März und Ende Juni waren die Visaverfahren im Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Af­gha­n:in­nen aufgrund von Sicherheitsbedenken ausgesetzt worden. Die Familie im Schweriner Kirchenasyl floh im April 2023 vom Iran nach Spanien.

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