Neuer Ludwigshafen-„Tatort“: Intelligentes schlechtes Gewissen

Im Tatort aus Ludwigshafen geht es diesmal weniger um reale als um virtuelle Räume. Und es taucht die Frage auf, wem Rache eigentlich nützt.

Zwei Frauen stehen sich gegenüber.

Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) hat den Eindruck, dass Schülerin Marie (Leni Deschner) etwa vor ihr verheimlicht Foto: Christian Koch/swr

Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe von Haus aus und später dann im Leben noch gelernt, dass man bei der Polizei zu wesentlichen Dingen nur in Begleitung eines Anwaltes Stellung nimmt, beziehungsweise im jugendlichen Alter in der eines Elternteils; und das nicht zuletzt deswegen, weil die Be­am­t:in­nen ja in einer durchaus verständlichen Getriebenheit sind, das akute Geschehen, das sie bearbeiten, zu klären, und sich um Einzelschicksale dabei nur bedingt kümmern.

Selbstverständlich ist es im konkreten „Tatort“-Fall dann auch hochgradig zielführend, dass Kommissarin Lea Odenthal (Ulrike Folkerts) die halbwüchsige Marie (herausragend: Leni Deschner) mal eben mehrmals in der Freizeit abpasst und verhört – aber vorbildlich, gar polizeikritisch oder wenigstens, wie es früher einmal hieß, den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag erfüllend ist Odenthals Verhalten nicht.

Das ist insofern seltsam, als dieser Ludwigshafen-„Tatort“ namens „Avatar“ an den meisten anderen Stellen eine Sensibilität an den Tag legt, die weder in der Realität noch im TV-Krimi unbedingt üblich ist. Das bezieht sich nicht nur auf das Thema sexueller Missbrauch, das in seiner Heftigkeit die Stimmung vorgibt, sondern auch auf den Plot, bei dem man gar nicht weiß, wie man ihn erzählen soll, ohne zu viel zu verraten.

Das wenigstens sei gesagt: Es ist eine hochgespannte, raffinierte Erzählkonstruktion, in die Regisseur Miguel Alexandre und Autor Harald Göckeritz uns einladen einzusteigen, mit schockhaften Erkenntnissen und dem einen und anderen logisch oder narrativ nicht ganz sauber aufgelösten Widerspruch im Detail.

Vielschichtigkeit und Verletzlichkeit

Was nicht viel macht, eben außer der Erkenntnis, dass ich mich kaum an einen „Tatort“ erinnere, in dem es nicht diese kleinen Ausrutscher gäbe, gerade in so ambitionierten wie „Avatar“ – ein Film, in dem es grandiose Leistungen insbesondere der jungen Schau­spie­le­r:in­nen zu sehen gibt: Neben der schon genannten Leni Deschner („Das fliegende Klassenzimmer“) glänzt als ihr Ex-Freund Caspar Hoffmann. Und Luis Vorbach zeigt, was in einer Nebenrolle alles an Vielschichtigkeit und Verletzlichkeit steckt, was da an Körperlichkeit herausgeholt werden kann.

„Avatar“, Sonntag, 20.15 Uhr, ARD

Im Mittelpunkt steht aber als Hauptzeugin und Hauptverdächtige Bernadette Heerwagen, die sonst auf der anderen Seite, als Kommissarin in der Reihe „München Mord“ glänzt. Mit Mut zum Fertig- und Verbrauchtsein verkörpert sie, was ein schlechtes Gewissen und die Entschlossenheit, einen katastrophalen Fehler nicht stehen zu lassen, alles aus einem Menschen machen können.

Worum es (in) „Avatar“ geht, lässt sich vielleicht am unverfänglichsten mit den Worten von Regisseur Alexandre zusammenfassen: „Wir leben in einer digitalisierten Welt, in der sich Menschen in einem virtuellen Raum verlieren und menschliche Bindungen sich aufzulösen drohen. Manipulation im Internet und künstliche Intelligenz befinden sich auf dem Vormarsch und lassen die Grenze zwischen Lüge und Wahrheit verschwimmen. Von dieser Gefahr handelt unser Tatort. Eine Gefahr, die katastrophale Auswirkungen haben kann und vor der man warnen muss. Unser Anliegen war es, emotional und packend zu erzählen; eine Bildsprache zu finden, die expressiv ist und die Innenwelt der Figuren spürbar werden lässt.“ Das gelingt; und das ist ja nicht wenig – und bemerkenswert aktuell.

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