Die Wahrheit: Knöpft die Schlange! Trötet Putin!

Gedichte gegen Gewalt: Wie mein Lyrisches Ich im neuen Jahr einmal die Weltherrschaft übernehmen wollte und brutal auf dem Roten Platz implodierte.

Ein Cartoon ist zu sehen. Ein Mann mit Brille sitzt auf einem Stuhl vor einem Tisch und denkt nach. Auf seinem Schoß sitzt eine Katze. Um ihn herum, in der Luft, Köpfe mit schreienden Mündern und riesigen Zähnen

Illustration: Ari Plikat

Park nicht auf der Panamericana / nimm den Nimbus ins Nirwana“, reimte mein Lyrisches Ich, als einige Kriegs- oder Klimademonstranten die Straße vor uns blockierten. Ich verstand kein Wort, aber daran hatte ich mich inzwischen gewöhnt. Mein Lyrisches Ich sprach gern in Rätseln, in gereimten.

Ich lebte im Überfluss und hatte alles bis zum Überdruss, als ich bemerkte, dass ich unbedingt mit etwas Neuem ins neue Jahr starten wollte. Eigentlich fehlte mir nichts, aber da war eine Idee, die ich tief im Innersten suchen und finden musste. Also begab ich mich nach Einbruch der Neujahrsnacht ins Berliner Bahnhofsviertel, wo ich eine dieser zwischen Tattoo-Studios und Eros-Centern gelegenen halbseidenen Verlegerklitschen betrat, in denen die abwegigsten Wünsche erfüllt werden.

Hinter einem schmutzigen Glastresen stand ein angegrauter Verleger. Er sah mich nur kurz an und wusste sofort, was ich begehrte. Leise stöhnend ging er in die wehen Knie, um mir etwas aus der untersten Schublade zu präsentieren, das nicht billig war, aber einen enormen Reiz besaß: ein Lyrisches Ich, das auch gleich losreimte, als ob es kein Morgen mehr gäbe: „Du Tourist, du scheißt wohl Champagner / du Florist, du …“

Der Verleger unterbrach mein Lyrisches Ich, bevor es den Reim vollenden konnte, und es hätte mir eine Warnung sein sollen, denn was reimt sich auf Champagner? Kananga! Und war Dr. Kananga nicht ein Gegenspieler von James Bond? Ich dankte dem grauen Mann, der mir anvertraute, dass ein Lyrisches Ich nicht ohne wäre, am besten sollte ich es zunächst ausprobieren. Wenn es nicht zu mir passte, könnte ich es noch heute ohne Geldverlust zurückbringen.

Tuch der Patentante

Ich beherzigte seinen Rat, und so schlenderte ich betont lässig ums Eck auf den nächsten Club zu, vor dem ein auch im Gesicht volltätowierter Türsteher Nachtwache schob. Noch bevor er mich zurückweisen konnte, fragte ich ihn, was er denn da auf der Stirn habe, bläulich, fast schwarz. Dann klaubte ich ein Taschentuch hervor, spuckte hinein und begann, wie früher meine Patentante bei mir als Kind, dem verblüfften Koloss das angefeuchtete Tuch durchs Gesicht zu reiben. Dazu sang mein Lyrisches Ich: „Die mürben Leichen / Sie kreischen bye-bye / Denn sie entweichen / Dem Zombie Mumbai.“

Mit offenem Maul wie die Grube eines Grabs stand der Türsteher da. Zwar erwachte er bald aus seiner Starre, dennoch gelang es ihm nicht, seinem Kerngeschäft nachzugehen und mir Schläge zu versetzen. Der Schock über mein Lyrisches Ich saß tief. Nichts schien so gut gegen Gewalt zu wirken wie brutal kryptische Verse.

Ich hatte schon früher von diesem geheimnisvollen Lyrischen Ich gehört, einst hatte es einem alten Feuerschlucker gedient, der es als Werkzeug einsetzte, um seine verlorene Jugend wiederzuerlangen. Doch konnte er nicht damit umgehen, er verbrannte sich die Finger und die Zunge und sein knorziges Ding. Von zornigen Feuer­löscherinnen wurde dem Verstoßenen das Lyrische Ich entzogen, und auf schier unergründlichen Wegen gelangte es schließlich ins kaschemmige Rotlichtviertel der Hauptstadt.

Damals dachte ich noch, das Lyrische Ich sei ein kraftvolles Instrument, das einem Macht verlieh über Raum und Zeit, Mensch und Natur, weil der Autor, also ich, hinter dem Lyrischen Ich, der erzählenden Person, verschwinden durfte. Es wäre eine Art Tarnkappe, die sich besonders gut eignete für das ewige Geschlechterspiel.

Ich war zum Beispiel einer Hundetrainerin nicht nähergekommen, auf die ich nicht nur wegen ihres wiegenden Schrittes schon länger ein Auge geworfen hatte. Dauernd war sie umgeben von sieben oder acht Kläffern, täglich führte sie die Meute in einem nahen Waldgebiet spazieren, weshalb ich jetzt versuchte, die Aufmerksamkeit meines Lyrischen Ichs auf die Tiere zu lenken, um derweil mit der Dame durchzubrennen.

Keine Chance! Mein Lyrisches Ich verdarb alles. „Ach, süße Sau / Des Herzens Traum / Wer ist die Frau? / Die kriegst du kaum.“ Meine Erklärung, dass ich selbst mit der Sau gemeint sei, konnte nicht verhindern, dass ich mit mehreren Bissen im unteren Ex­tre­mi­täten­be­reich noch glimpflich davonkam.

Stempel der Poesie

Längst hatte mein Lyrisches Ich mehr Schaden angerichtet als Nutzen gebracht. Also verlangte ich von ihm: Weniger einfühlsame Rätsel, mehr konkrete Poesie! An diesem Punkt verselbstständigte es sich, es wollte fortan keine idyllische Lyrik mehr kreieren, sondern der Gegenwart seinen poetischen Stempel aufdrücken und den Planeten mit bollerndem Politrock vor dem Untergang bewahren.

Aber das war nicht allein der Grund, weshalb ich mich weigerte, es weiter zu begleiten. Denn als es solo ins Ungefähre hinausschritt, um die Gewaltherrschaft der übelsten Autokraten und Diktatoren, Knall- und Sprengköpfe mit engagierten Versen zu beenden, ahnte ich, dass es offenbar plante, selbst die Weltherrschaft zu übernehmen.

Es stahl meine Kreditkarte, gelangte auf Umwegen und mit der Fluglinie Aeroflot in die Zentrale des Bösen, nachdem es mir eine erstaunlich ungereimte Abschiedsnotiz hinterlassen hatte: „Such dir immer große Feinde!“ Doch bereits auf der ersten Station, dem Roten Platz in Moskau, endete die Weltrettungstour mit einem Desaster.

Zu aberwitzig war die Idee, dem eit-len Zaren im Kreml vergifteten Zucker ins Pupsloch zu blasen und ihn so zum Platzen zu bringen, um an seine Stelle zu treten. Das konnte nur scheitern. Die konkreten Parolen meines Lyrischen Ichs rüttelten die ganz und gar nicht revolutionären Massen keineswegs auf, sondern gingen unter im Gelächter der Schergen, als es mit einem gewaltigen Knall implodierte: „Knöpft die Schlange! Trötet Putin!“ Das sollen die letzten Worte meines Lyrischen Ichs gewesen sein, behaupten anwesende Ohrenzeugen.

Nichts ändert sich im neuen Jahr, und nicht alles Neue ist gut. Die Freunde der Poesie aber seien gewarnt, vorsichtig umzugehen mit einem Lyrischen Ich, falls es ihnen begegnet. Auch wegen jener Verse, die mir in meiner Stammkneipe lebenslanges Hausverbot einbrachten: „Ich dachte für einen Moment / Es ist mein Ich im Unterhemd / Das sich entblößt hier im Lokal / Mir ist wohl alles grunzegal.“

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kari

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