Baerbock auf Nahost-Reise: Gespräche und Provokationen

Bei ihrer Reise besucht Außenministerin Baerbock das Westjordanland. Dort lernt sie kennen, was es bedeutet, ein Land mit Siedlern teilen zu müssen.

Baerbock in einem Pressetross

Außenministerin Annalena Baerbock spricht im Westjordanland mit durch Siedlergewalt vertriebenen Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen Foto: Michael Kappeler/dpa

RAMALLAH/AL-MAZRA’AH AL-QIBLIYAH taz | Es ist eine Provokation, die Annalena Baerbock (Grüne) bei ihrer Nahostreise einfach aushalten muss. An diesem Montag ist sie nach al-Mazra’ah al-Qibliyah gekommen, einem kleinen Dorf, etwa 30 Minuten von Ramallah entfernt, mitten im Westjordanland. Das flirrende Sirren einer Drohne, die bis auf wenige Meter an die Außenministerin herankommt, stört ihre Gespräche mit den Dorfbewohnern. Die Drohne kommt von den israelischen Siedlern auf den gegenüberliegenden Hügeln des Dorfes. Unverkennbar und nicht zu übersehen sind die weißen Containerhäuser, die die Siedler in den vergangenen Monaten errichtet haben.

Es geht um die Besetzung von Land, das den Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen gehört und das die israelischen radikalen Siedler sich nehmen wollen. Seit dem brutalen Überfall der Terrormiliz Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Krieg in Gaza hat auch die Gewalt der Siedler im Westjordanland zugenommen. Es scheint, als wollten sie im Windschatten des Krieges die Besatzung vorantreiben. Und das mit roher Gewalt.

Seit dem 7. Oktober wurden mindestens 115 Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen in der Westbank getötet

Die Dorfbewohner berichten Baerbock aus ihrem Alltag. Die Siedler kamen mitten in der Nacht, sie schrien, schlugen sie und sagten, dass sie nicht mehr in ihre Häuser zurückkönnen. Jetzt leben sie wenige hundert Meter entfernt von ihren eigenen Wohnhäusern entfernt. Seit dem 7. Oktober wurden laut Israeli Information Center for Human Rights in the Occuppied Territories mindestens 115 Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen in der Westbank getötet. Doch die Gewalt ist nicht neu. In Wahrheit schreitet die Besetzung des Westjordanlands seit Jahren voran.

„Das was hier passiert, ist illegal“, sagt Baerbock zum Schluss des Gesprächs mit den Bewohnern. Aus Angst vor radikalen Siedlern könnten die Menschen hier nicht mehr wohnen und ihre Kinder nicht mehr zur Schule schicken. „Niemand schützt sie vor dieser Gewalt“, sagt die grüne Außenministerin. „Mit jedem der diesen Ort verlässt, wird die Angst derer, die bleiben, größer.“

Terror gegen Menschen und Tiere

Die Drohnen fliegen fast täglich über das Dorf, schildert eine Mitarbeiterin des Israeli Information Center for Human Rights in the Occuppied Territories. Sie hat die Dorfbewohner mit der Ministerin aus Deutschland zusammengebracht. Mit solchen Drohnenaktionen wollen die Siedler die Palästinenser nicht nur tagtäglich einschüchtern und bedrohen, sondern auch ganz praktisch die Viehwirtschaft beeinträchtigen.

„Die Schafe stört das Geräusch“, sagt die Mitarbeiterin der israelischen Nichtregierungsorganisation. Geht es den Tieren nicht gut, bringen sie keinen Ertrag und damit auch kein Einkommen für die Familien. Die Siedler lassen die Menschen zudem nicht zu ihren Hainen und Feldern. Im Westjordanland werden zu einem großen Anteil Oliven und Zitronen angebaut.

Von Ramallah Richtung al-Mazra’ah al-Qibliyah geht es an etlichen Ruinen vorbei. Palästinensische Familien hatten mit dem Bau von Häusern begonnen, bei manchen stehen schon die Außenwände, bei anderen sind halbe Treppenhäuser zu sehen. Durch die neu aufgeflammte Gewalt im Westjordanland und die vielen Unsicherheiten, ob die Menschen überhaupt in den Häusern bleiben können, gab es an etlichen Stellen einen Baustopp. Zwar verstößt die Besetzung gegen israelisches und internationales Recht, aber die Regierung Netanjahu und etliche ihrer radikalen Minister tun nichts, um sie zu verhindern.

Wie sicher kann eine Sicherheit im Westjordanland sein?

Damit die Gemeinden nicht der Willkür der Behörden ausgesetzt sind und auch rechtliche Unterstützung bekommen, finanzierte Deutschland 2023 den betroffenen Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen Projekte mit rund 1,5 Millionen Euro. Die Menschen vor Ort sind auf internationale Geldgeber angewiesen. Unmittelbar nach dem 7. Oktober wurden sämtliche Gelder, die an palästinensische Organisationen flossen, ausgesetzt und überprüft. Inzwischen wurden die Zahlungen wieder aufgenommen.

Auf ihrer Tour durch den Nahen Osten muss Baerbock in die palästinensischen Gebiete. Ihr Credo für eine Zweistaatenlösung, wenn der Krieg im Gazastreifen zu Ende ist, ist ohne solche Gespräche nicht machbar. „Es ist die Verantwortung der israelischen Regierung, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen“, sagt sie. Und: Die Stabilität im Gazastreifen und im Westjordanland seien die Voraussetzung für die Sicherheit Israels. In al-Mazra’ah al-Qibliyah zeigt sich im Kleinen die Zerreißprobe, die solche Forderungen für Israel bedeuten.

Baerbock reist am Montagabend weiter nach Ägypten. Seit Beginn des Krieges ist der ägyptisch-israelische Grenzübergang Rafah zum zentralen Ort für die Lieferung von Hilfsgütern geworden. Zwar wurde vor Kurzem auch der israelische Grenzübergang Kerem Shalom für Hilfen geöffnet, aber nach wie vor gelangen nicht ausreichend Trinkwasser, Lebensmittel, Decken und Zelte in den Gazastreifen, um das Leid der Menschen zu lindern. Deutschland hat die humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen auf rund 200 Millionen Euro verdreifacht. Sie soll noch weiter aufgestockt werden.

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