Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs: „Kein abgeschlossenes Projekt“

Die Unabhängige Kommission stellt ihren Tätigkeitsbericht vor. Sie mahnt mehr Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in Schulen an.

Mädchen sitzen in einer Reihe

Mädchen beim Training Foto: Ravil/imago

„Judo ist ein Partnersport (…) Da wir (Mädchen) meistens zu dritt waren, musste eine mit (dem Trainer) trainieren (…) Wenn dieser Mann uns beim Training am Boden festgehalten hat, konnten wir nichts mehr machen. Erst hat er außen an der Hose angefasst, dann in der Hose (…) Jede wusste genau, was mit dem Mädchen passiert, das jetzt gerade mit ihm da auf dem Boden rumliegt, weil wir das alle selbst durchhatten.“

Das berichtet Sophie der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Sie ist eine von 1.872 Betroffenen, die bis Ende 2023 angehört wurden. 738 Berichte wurden der Kommission zudem geschickt. Zusammen mit weiteren Berichten zu Missbrauch in Sport und Schule, Familie und Kirche, in pädosexuellen Netzwerken sowie im Rahmen organisierter und ritueller Gewalt ist Sophies Bericht Teil des Tätigkeitsberichts der zweiten Laufzeit der Kommission von 2019 bis 2023, der am Dienstag vorgestellt wurde.

Zugänglich ist Sophies Geschichte auch auf www.geschichten-die-zaehlen.de. Neben diesem Portal haben die sieben ehrenamtlichen WissenschaftlerInnen der Kommission in den vergangenen vier Jahren Empfehlungen für die Aufarbeitung in Institutionen erarbeitet, Veranstaltungen organisiert sowie Studien und Forschungsprojekte in Auftrag gegeben. „Aufarbeitung macht das Unrecht der Vergangenheit zum Thema der Gegenwart“, sagt die Sozialwissenschaftlerin Barbara Kavemann, die Mitglied der Kommission ist. Zentral sei, dass Betroffene dabei einbezogen würden.

Seit 2016 untersucht die Kommission bundesweit Ausmaß, Art und Folgen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sowohl in der Bundesrepublik als auch der DDR. Man begreife sich als eine Art „produktiver Störfaktor“, um das Thema präsent zu halten, so Rechtswissenschaftler Stephan Rixen.

Was es zur Aufarbeitung braucht

50 Seiten allein umfassen die Empfehlungen für Aufarbeitung im Bereich Sport. Was passiert, wenn eine Betroffene wie Sophie sich an eine Vertrauensperson in ihrem Judoverein wendet? Wie übernimmt die Institution Verantwortung, wie kann der Prozess der Aufarbeitung aussehen? Welche Ressourcen, welche Form von Transparenz braucht es, um die Vergangenheit zu bewältigen – und welche Maßnahmen helfen in der Zukunft?

Anders als im Sport, wo es mittlerweile eine Anlaufstelle für Betroffene gibt, fehlten bei Schulen bisher „vergleichbare Entwicklungen“, kritisiert Kavemann. Man bleibe „hartnäckig“, um die Kultusministerkonferenz der Länder dazu zu bringen, Verantwortung zu übernehmen. Die gesellschaftliche Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs sei „kein abgeschlossenes Projekt.“

Die WissenschaftlerInnen fordern eine gesetzliche Grundlage, die sowohl Status als auch Kompetenzen der unabhängigen Beauftragten zu Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs regelt. Die Arbeit der Kommission müsse auch über 2025 hinaus dauerhaft gesichert werden, sagt Rixen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.