Krise der Demokratie: Verlust an Tiefenschärfe

Beim Ruf gegen rechts findet man sich selbst meist ziemlich gut. Nur: Was soll „Haltung zeigen“ für die Demokratie eigentlich heißen?

Eine Schauspielerin trägt auf der Berlinale eine große silberne Kette um den Hals: Fuck AFD

Gesehen auf dem Eröffnungsabend der Berlinale: „Farbe bekennen“ ist die neue Mode Foto: Jens Kalaene/dpa

Alle wollen jetzt glänzen für die Demokratie, „zusammenstehen“, „ein klares Zeichen setzen“. In Zeitungen werben Anzeigen für „Zusammenland“, gesprenkelt mit Logos von stramm undemokratisch organisierten Firmen von Siemens über Telekom bis Microsoft, Sandoz und Weleda. Auch der autobiografisch angebräunte Freie Wähler Hubert Aiwanger sieht in seiner Partei „das starke Bollwerk der Demokratie“.

Und die SPD hat mit Demokratieretten endlich wieder ein Thema, während Generalsekretär Kevin Kühnert bei Maybrit Illner erfolgreich vermeidet, auch nur einen Fitzel Verantwortung für die umfragig aufgeblähte AfD beim Regierungshandeln der Ampel zu orten. „Farbe bekennen“ ist die neue Mode, von Kameras umwirbelt.

Die Schönen und Berühmten auf der Berlinale machen eine – ehrlich gesagt: eher peinliche – Telefontaschenlampen-Menschenkette um sich selbst und skandieren „Es lebe die Demokratie!“ Filmschaffende stammeln politisch Korrektes in öffentlich-rechtliche Mikrofone und es gibt – Merchandising ist schneller als jeder Gedanke – die passenden Buttons „Berlinale gegen Rechtsextremismus“ (rotlila).

Aber zu wem reden all die tapfer Zusammenstehenden? Wen wollen sie überzeugen? Politiker, die sich als Belehrer missverstehen, loben den „Aufstand der Anständigen“ fürs „mutige Engagement“. Das Wohlige daran wirkt wie Kurzurlaub von den Ambivalenzen und Dilemmata im Umgang mit der AfD. Der Preis ist ein schmerzlicher Verlust von Tiefenschärfe. Wie bei „Gemeinsam gegen Corona“ oder „Stand with Ukraine“ wirkt das demonstrative Unterhaken zuerst rührend, dann befremdlich, und bald ziemlich nervig, weil wohlfeil, unterkomplex und einfallslos.

Der Verdacht drängt sich auf, dass es darum geht, der eigenen Standfestigkeit zu applaudieren, sich an der eigenen Besorgtheit zu beschwipsen, während man beständig wiederholt, wie wichtig „Haltung zeigen“, ist, „gegen rechts“. Und keiner sagt dazu, was genau damit gemeint sein könnte. Oder was man womöglich übersieht im Kampf für die Demokratie.

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