Brandanschlag in Solingen: Viele Fragen, keine Antwort

War es Rassismus? Solingen steht nach der Brandkatastrophe mit vier Toten unter Schock. Die Stadt erinnert sich an Ereignisse von 1993.

Menschen vor einem Haus, an dessen Fenstern Brandspuren zu erkennen sind

Trauerkundgebung für die Opfer des tödlichen Brandes am 28. März in Solingen Foto: Christoph Reichwein/dpa

SOLINGEN taz | Solingen ist schockiert und verstört. Verschiedene Ini­tiativen riefen am Donnerstagabend zu einer Trauerkundgebung auf. Rund 200 Menschen kamen an den Ort des Brandanschlags vom 25. März, bei dem im Stadtteil Höhscheid eine vierköpfige Familie starb.

Die, wie es heißt, türkischstämmige muslimische Familie war erst vor Kurzem aus Bulgarien nach Deutschland gekommen. Die Eltern waren 28 und 29 Jahre, ihre Kinder drei Jahre und fünf Monate alt. Weitere Menschen wurden teils schwer verletzt. Vor anderthalb Jahren war in dem Altbau mit hölzernem Treppenhaus schon einmal ein Brand gelegt worden, der gelöscht werden konnte. Ein Täter konnte damals nicht ermittelt werden.

Die Staatsanwaltschaft hat nun erneut Brandstiftung als Ursache festgestellt, im Treppenhaus fanden sich Spuren ­eines Brandbeschleunigers. Seitdem fragen sich die Menschen in der Stadt: War es eine rassistische Tat?

In Solingen ist die Erinnerung an den vor 31 Jahren verübten Anschlag auf die Familie Genç, bei dem fünf Menschen starben, noch sehr präsent. Entsprechend intensiv werden die Ermittlungen beobachtet und kommentiert. Die Menschen in der Stadt sind wach bei diesem Thema, besonders jene mit Migrationsgeschichte. Im Januar fanden sich in der 160.000 Ein­woh­ne­r:in­nen zählenden Stadt als Reaktion auf rechtsextreme Tendenzen im Land über 6.000 Menschen zu einer Demo zusammen.

Anhaltspunkte für ein „fremdenfeindliches Motiv“ lägen nicht vor

Die Staatsanwaltschaft teilte bald nach dem Brand mit, einen Tatverdacht gegen eine konkrete Person gebe es nicht, Anhaltspunkte für ein „fremdenfeindliches Motiv“ lägen zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor.

Der Begriff „fremdenfeindlich“ wird seitdem kritisiert. „Für migrantische Menschen aus Solingen, die durch den NSU, Halle und Hanau Kontinuitäten rechter Gewalt ­kennen, sind die Bilder vom Haus in der Grünewalder Straße extrem retraumatisierend“, sagt Sofia Elefthe­riadi-Zacharaki, ­Mitgründerin des Vereins ­BIPoC Voices. „Zudem ist es ein Schlag ins Gesicht, wenn nun wieder ‚fremdenfeindliche‘ Motive ausgeschlossen werden. Die Wortwahl ist entscheidend: Es muss rassistischen Motiven nachgegangen werden.“ Seitens der Stadt hieß es, alle Informationen zum Brandunglück kämen ausschließlich von der Staats­anwaltschaft.

„Verantwortung haben wir vor allem für unsere Kommunikation“, sagt Daniela Tobias, die sich im Solinger Bündnis „Bunt statt Braun“ engagiert. „Die offiziellen Stellen und die Medien müssen sensibel und aufmerksam kommunizieren, dass ergebnisoffen ermittelt wird, dass nichts ausgeschlossen wird, was nicht auszuschließen ist, dass sie die berechtigte Angst von Menschen mit Migrations­zuschreibung angesichts schlimmer Versäumnisse in früheren Ermittlungen wahrnehmen und adressieren.“ Das habe die Staatsanwaltschaft, ­abgesehen von dem irre­führenden Begriff „Fremdenfeindlichkeit'“, ­einigermaßen sachlich getan, sagt Tobias und ergänzt: „Das heißt gerade nicht, dass wir spekulieren sollten. Man kann trotzdem über die Angst reden.“

Eine Tat im „zwischenmenschlichen Bereich“

Thilo Schnor (Grüne), der 1. Bürgermeister der Stadt, kommentiert: „Es ist ein Schock, auch weil Assoziationen mit dem Brandanschlag von 1993 in Solingen sofort hochkommen. Die Stadt hat seitdem viel an Trauerarbeit und an Aufarbeitung geleistet, hat sich stark in der Integrationspolitik engagiert.“ Einige Feuerwehrleute waren schon beim Einsatz am 29. Mai 1993 dabei und haben den 25. März als sehr belastend erlebt.

Eine organisierte rechtsextreme Szene ist in der Stadt nicht bekannt, sagt ein Antifa-Aktivist. Nur vereinzelt tauchen Nazi-Aufkleber auf Laternenmasten auf. Anders als etwa in Dortmund gab es in Solingen in den letzten Jahren keine im ­Alltag sichtbaren Neonazi-Aktivitäten oder gar Übergriffe auf migrantische oder sich als links zu erkennen gebende Menschen.

Am Donnerstagabend äußerte der Sprecher der Staats­anwaltschaft dem WDR gegenüber die Einschätzung, es handle sich um eine Tat im „zwischenmenschlichen Bereich“. Am Freitag teilte die Staatsanwaltschaft mit, ein vorläufig festgenommener Mann sei nach längerer ­Vernehmung ­wieder entlassen worden, nachdem sein Alibi überprüft worden sei. Nun werde „ergebnisoffen in alle Richtungen“ weiter ermittelt. „Jedem Hinweis wird ­nachgegangen“, sagte der Sprecher.

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