Tuntenhaus in Berlin von Verkauf bedroht: Sanieren statt plattmachen

Das Tuntenhaus in der Kastanienallee kann ohne Darlehen nicht gerettet werden. In einem Monat läuft die Frist für die Ausübung des Vorkaufsrechts aus.

Menschen in bunten Kostümen vor dem Tuntenhaus in der Kastanienallee 86: Mit einem Rave-Protest machten die Be­woh­ne­r*in­nen am Sonntag auf sich und die drohende Räumung aufmerksam

Mit einem Rave-Protest machten die Be­woh­ne­r*in­nen am Sonntag auf sich und die drohende Räumung aufmerksam Foto: Florian Boillot

BERLIN taz | Es ist nicht mehr viel Zeit. In einem Monat läuft die Frist für die Ausübung des Vorkaufsrechts aus. Wenn bis zum 15. Mai kein Drittkäufer für die Kastanienallee 86 in Prenzlauer Berg gefunden ist, steht die queere Hausgemeinschaft des Tuntenhauses vor einer ungewissen Zukunft. Mit einem Rave-Protest machten die Be­woh­ne­r*in­nen am Sonntag erneut auf ihre Lage aufmerksam.

Eine Luxusmodernisierung, die sie verdrängen würde, ist dabei nicht das einzige Schreckensszenario, über das derzeit gesprochen wird. „Der Worst Case ist, dass der schlechte Zustand des Gebäudes die Bewohnbarkeit infrage stellt und ein potenzieller Käufer, wenn es mit dem Vorkaufsrecht nicht gelingt, einen Abrissantrag stellt“, sagt Pit Weber, Vorstand der Genossenschaft Selbstbau, zur taz.

Die Genossenschaft sei die letzte Hoffnung für die Kastanienallee 86. „Alle landeseigenen Wohnungsunternehmen und alle anderen Genossenschaften sind bereits abgesprungen. Nur wir kommen noch infrage“, sagt Weber. Doch ob die Selbstbau einspringen kann, hängt letztlich vom Willen des Senats ab. Gründe dafür sind der schlechte Zustand des Hauses und eine Lücke, die in der Landschaft der Fördermittel klafft.

Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 2021 kann das Vorkaufsrecht nur noch ausgeübt werden, wenn Häuser in einem besonders schlechten baulichen Zustand sind. Ein Mal ist das im vergangenen Jahr in Neukölln bei einem Haus in der Weichselstraße 52 gelungen. Auch bei der Kastanienallee 86 müsste sich der gemeinwohlorientierte Dritte, der bei einem Vorkauf anstelle des eigentlichen Käufers in den Kaufvertrag eingesetzt wird, gegenüber dem Bezirk vertraglich verpflichten, die baulichen Mängel zu beheben.

Kredite sind teuer

Doch die Selbstbau kann das nicht aus eigener Kraft. Junge Genossenschaften verfügen über kein großes Sparvermögen, und Kredite sind teuer. Für den Erwerb von Bestandsgebäuden gibt es allerdings Förderprogramme. Ein zinsloses Darlehen kann dabei von der Investitionsbank Berlin gewährt werden, um den Ankauf eines Hauses zu finanzieren.

Was es allerdings nicht gibt, ist solch ein Darlehen für Instandhaltung und nachgeholte Grundmodernisierung eines angekauften Hauses, also für die Sicherung der Standsicherheit, den Einbau von Bädern oder den Ersatz von Ofenheizungen. Sprich: Arbeiten, mit denen das Haus auf einen aktuell üblichen Wohnstandard gebracht wird und teilweise Maßnahmen, zu denen sich die Genossenschaft gegenüber dem Bezirk verpflichten müsste.

Zwar gibt es wiederum Fördermittel für besonders energetische Maßnahmen. Um solche energetischen Sanierungen durchzuführen, müsse aber erst einmal eine „entsprechende Basis“ geschaffen werden, sagt Weber.

Im Förderprogramm für den genossenschaftlichen Bestandserwerb können 3.500 Euro je Quadratmeter gewährt werden. Wenn ein Haus allerdings nur 1.000 Euro je Quadratmeter kostet, aber einen Sanierungsaufwand von bis zu 2.500 Euro je Quadratmeter hat, dann werde das nicht gefördert, erklärt Weber. „Es ist das generelle Problem, dass die Häuser günstig sind, weil sie kaputt sind.“ Das trifft auch für die Kastanienallee 86 zu. Die Instandsetzungsdauer und Sanierungskosten sollen deutlich höher ausfallen als die 1,5 Millionen Euro, für die das Haus verkauft worden ist.

Schnelle Lösung muss her

Der Bezirk Pankow und der Senat müssten schnell zu einer Lösung kommen. Ansonsten, so Webers Befürchtung, werde so geprüft, bis die Frist für das Vorkaufsrecht verstrichen ist. „Wir müssen verhindern, dass die Sache ausgesessen wird, und dann wollten zwar alle unterstützen, aber leider, leider war es zu spät.“

Man sei derzeit noch im Austausch mit dem Bezirk, um verschiedene Lösungsmöglichkeiten zu prüfen, sagt der Sprecher von Bausenator Christian Gaebler (SPD). Eine „Umwidmung von Fördermitteln“ des Bestandserwerbs für die Sanierung sei allerdings nicht möglich. „Weiterhin steht es dem Eigentümer frei, alle angebotenen Fördermöglichkeiten des Landes Berlin beziehungsweise des Bundes zur Instandsetzung/Modernisierung des Gebäudes zu beantragen“, so Gaeblers Sprecher, Martin Pallgen, zur taz.

Pit Weber sagt hingegen, es gebe keine weiteren Förderprogramme, die für die notwendigen Maßnahmen infrage kämen. „Wenn der Senat wirklich will, dass Genossenschaften gestärkt werden, dann muss diese Finanzierungslücke geschlossen werden“, so der Vorstand der Genossenschaft Selbstbau.

Für ihn wiederholt sich aktuell ein leidiger Vorgang: Anfang 2023 übernahm die Selbstbau nur wenige Meter vom Tuntenhaus entfernt den Hauskomplex in der Kastanienallee 12. Der Fall hatte berlinweit Bekanntheit erlangt, weil hier auch der Zugang auf dem Spiel stand zu dem hinter dem Haus gelegenen Hirschhof, der ein Treffpunkt der DDR-Bürgerrechtsbewegung war. Zwar war das Gebäude kein Vorkaufsfall, weil die Erben an eine Genossenschaft verkaufen wollten. Doch auch dieses Haus hing lange in der Luft.

Niedriger Kaufpreis und ein hoher nicht förderfähiger Sanierungsaufwand: Auch damals hatte die Genossenschaft der Senatsverwaltung gesagt, dass sie das Haus nur übernehmen können, wenn die Gesamtfinanzierung steht. „Die Senatsverwaltung hat uns damals vertröstet, dass der Ankauf nur der erste Schritt ist und wir alles weitere danach besprechen. Bis heute gibt es keine Lösung für die Kosten einer Grundmodernisierung“, kritisiert Weber.

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