Klage gegen Tierrechtler*innen: Das System der Einschüchterung
Aktivist*innen veröffentlichen Bilder der Tötungen von Schweinen, der Betreiber klagte. Expert*innen zufolge steckt dahinter eine Strategie.

Die Klage erfülle nahezu alle Kriterien eines gezielten rechtlichen Einschüchterungsversuchs, so die Analyse. Sie sei exemplarisch für den Missbrauch des Rechtssystems, „um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und die demokratische Meinungsbildung zu untergraben“.
„Slapp“ steht für Strategic Lawsuits Against Public Participation. Es werden also Klagen meist von finanzkräftigen Unternehmen oder Einzelpersonen angestrengt, um die Arbeit von zivilgesellschaftlichen oder journalistischen Akteur*innen zu behindern und sie einzuschüchtern.
Geklagt hatte in diesem Fall die niedersächsische Schlachthof Brand Qualitätsfleisch GmbH und einen entstandenen Schaden von 98.000 Euro geltend gemacht. In dem Gerichtsverfahren wurden beide Aktivist*innen zu Schadensersatz verurteilt, über dessen Höhe noch verhandelt wird.
Bilder unter Verschluss
Auch darf die Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch (Ariwa), der die Bilder zugespielt worden waren, diese nicht weiter veröffentlichen.„Dass Aufnahmen, die Tierleid ungeschönt zeigen, zwar als echt anerkannt, aber trotzdem verboten werden sollen, stellt unsere Zivilgesellschaft vor eine zentrale Frage: Wollen wir Aufklärung – oder wollen wir wegschauen?“, kommentierte die Organisation damals.
Nun stellt auch die No-SLAPP-Anlaufstelle in dem Fall eine deutliche Schieflage beim Umgang mit investigativem Aktivismus fest. Die finanziellen Forderungen, die zudem an die beiden Aktivist*innen privat gerichtet wurden statt an die Tierrechtsorganisation, seien existenzbedrohend. Hingegen bleibe das dokumentierte Tierleid folgenlos.
Dabei habe die Öffentlichkeit ein Interesse daran, von den üblichen Praktiken in dem Schlachthof zu erfahren, der mit „Respekt für Mensch, Tier und Umwelt“ wirbt. Das hätten das große Medieninteresse sowie die Veröffentlichung der Aufnahmen durch die ARD verdeutlicht, so die No-Slapp-Einschätzung.
Obwohl das urteilende Gericht in Oldenburg das öffentliche Interesse anerkannte, stoppte es die Verbreitung der Bilder – diese Widersprüchlichkeit sei typisch für Prozesse, die einschüchtern sollen. Anna Schubert, eine der beiden verurteilten Akivist*innen, sagt dazu: „Dass das Gericht im Urteil nicht einmal die offensichtliche Einschüchterungsabsicht thematisiert und den Streitwert nicht abgesenkt hat, spricht Bände – und lässt Betroffene schutzlos zurück.“
Politische Reaktionen
Die Coalition Against Slapps in Europe, ein Zusammenschluss europäischer NGOs, beobachtet seit 2022 solche Art Rechtsmissbrauch in Europa. In ihrem Bericht aus dem vergangenen Jahr beziffert sie die Anzahl der Einschüchterungsklagen auf 229. Damit steigt die Zahl dokumentierter Fälle weiter an, unter denen zunehmend auch mehr Strafprozesse sind.
Im April 2024 verabschiedete das Europäische Parlament eine Richtlinie, die vor unbegründeten Klagen oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren schützen soll. Weist ein Gericht eine Klage als Einschüchterungsversuch zurück, muss der Kläger die Kosten samt Rechtsvertretung des Angeklagten tragen. Auf dem Tisch des deutschen Justizministeriums liegt derzeit ein Entwurf für die Umsetzung, der sich laut kritischen Stimmen jedoch auf ein Minimum an Schutz beschränke.
„Das Problem ist, dass Einschüchterungsklagen in Deutschland oft kleingeredet werden, weil die Kosten im Vergleich zu den USA und Großbritannien viel geringer sind“, sagt Roger Mann, Anwalt für Presse- und Medienrecht und Gastprofessor in Göttingen. Aus seiner Sicht ist das viel größere Problem, das in dem Gesetzesentwurf unberücksichtigt bleibe, dem eigentlichen Gerichtsprozess noch vorgelagert:
Unterlassungsabmahnungen und hohe Zahlungsforderungen könnten bei kleinen NGOs schnell die gesamte Organisation lahmlegen. Der Experte fordert deshalb, den Schutz vor Einschüchterung mit Rechtsmitteln auf Abmahnungen auszudehnen. „Um sich gegen unbegründete Abmahnungen zu wehren, brauchen NGOs Anwälte, die auf Augenhöhe mit den Abmahnenden agieren.“ Äquivalent zur geplanten Kostenerstattung in gerichtlichen Verfahren brauche es diese auch bei außergerichtlichen Einschüchterungsversuchen.
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