Soziologin über AfD: „Rechte Themen zu übernehmen, funktioniert nicht“
Die AfD legt in Umfragen zu. Wenn andere Parteien Wähler:innen zurück wollen, müssen sie strategisch geschickter agieren, findet Clara Dilger.

taz: Frau Dilger, beginnen wir mit einer einfachen Frage: Können andere Parteien AfD-Wähler:innen von sich überzeugen, oder ist das aussichtslos?
Clara Dilger: Kurzfristig, also mit Blick auf die nächsten paar Jahre, sehe ich es eher als unmöglich an, eine größere Anzahl AfD-Wähler:innen von anderen Parteien zu überzeugen. Langfristig ist das aber eine mögliche und notwendige Aufgabe.
taz: Sie sind an einem Projekt beteiligt, das seit 2021 wiederholt eine repräsentative Bevölkerungsstichprobe von rund 12.000 Personen befragt, darunter auch AfD-Wähler:innen. Schließen Sie aus diesen Daten, dass es nicht so schnell geht?
Dilger: In Umfragen und Studien beobachten wir, dass eines der Hauptmotive von AfD-Wähler:innen – neben der Ablehnung von Migration – ein großes Misstrauen in demokratische Institutionen und Parteien ist. Sie sind davon überzeugt, dass diese ihnen oder Deutschland nichts Gutes wollen. Aufgrund dieses Misstrauens legen AfD-Wähler:innen alle Äußerungen, Handlungen und Entscheidungen von anderen Parteien grundsätzlich schlecht aus. Sie lehnen deren Politik selbst dann ab, wenn sie tatsächlich in ihrem Sinn wäre.
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taz: Auch gängigen Nachrichtenmedien vertrauen AfD-Wähler:innen eher nicht. Auf welchem Weg kann man sie noch erreichen?
Dilger: Ja, das ist ein Problem. Parteien nutzen nicht die Kanäle, über die AfD-Wähler:innen erreichbar sind. Das wären dann Medien der neuen Rechten, die ebenfalls alles zuungunsten der anderen Parteien drehen.
taz: Sollten CDU, Linke, SPD, Grüne oder FDP trotzdem mal zu den neurechten Medien gehen und Interviews geben?
Dilger: Da besteht für sie die Gefahr, dass es anders geframt wird und am Ende nicht das ankommt, was sie sagen wollten. Eine Strategie – über die sich aber vermutlich erst in ein paar Jahren sagen lässt, ob sie erfolgreich war – ist die Kommunikation über soziale Medien, wie wir sie in letzter Zeit bei der Linken gesehen haben. Das hat gerade junge Wähler:innen direkt erreicht und sah danach aus, als wäre da noch Potenzial.
taz: Was können die anderen Parteien langfristig machen, um AfD-Wähler:innen von sich zu überzeugen?
Dilger: Sie könnten sich langfristig fragen, wo die Menschen in Kontakt mit dem Staat und den öffentlichen Institutionen kommen, denen sie so misstrauen. Wenn die Infrastruktur, das Gesundheits- oder das Bildungssystem gut funktionieren, könnte das das Vertrauen wieder wecken.
taz: In den Kommunen, zum Beispiel bei der Wahl von Oberbürgermeister:innen, gab es in den letzten Jahren parteiübergreifende Bündnisse: Alle gegen die AfD. Hilft das? Oder bestätigt es die Partei in ihrer Außenseiter-Underdog-Rolle?
Dilger: Das lässt sich nicht klar beantworten. Die AfD deutet alles, was andere Parteien machen, so um, dass sie selbst entweder das Opfer ist oder die einzige, die etwas anderes anbietet. Diese Strategie verfolgt die AfD sehr erfolgreich. Viele Wähler:innen gehen da mit.
taz: Die Regierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) betrieb in den vergangenen Monaten eine harte Politik gegen Migration, um der AfD das Thema wegzunehmen. Dennoch sind die Umfragewerte der AfD noch weiter gestiegen und liegen jetzt bundesweit bei über 25 Prozent. Ist die Strategie der CDU gescheitert?
Dilger: Ich würde sagen, sie war von vornherein zum Scheitern verurteilt.
taz: Wieso?
Dilger: Einfach rechte Themen zu übernehmen, funktioniert nicht. Das hat die Forschung immer wieder gezeigt. So gewinnt man Wähler:innen nicht von rechtspopulistischen Parteien zurück. Es normalisiert die rechten Narrative, gleichzeitig gilt die AfD aber als Original. Das stärkt eher rechtspopulistische Parteien. So zeigte sich das auch immer wieder in verschiedenen europäischen Ländern: Wenn konservative Parteien nach rechts rückten, um Wähler:innen abzugreifen, nützte das meistens den rechtspopulistischen Parteien. Hier in der CDU/CSU einen Strategiewechsel zu probieren, halte ich für empfehlenswert.
taz: Steigen die Umfragewerte der AfD immer weiter, oder gibt es da irgendwann eine Grenze?
Dilger: In Umfragen sehen wir, dass sich relativ konstant 70 Prozent der Bevölkerung sehr klar gegen die AfD aussprechen. Das begrenzt in etwa das Potenzial der AfD. Die tatsächliche Fraktionsgröße im Bundestag hängt aber stark von der Wahlbeteiligung und der Fünfprozenthürde ab. Zudem beobachten wir in den letzten Jahren, dass migrationskritische und fremdenfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung stärker geworden sind. Das heißt, es lässt sich nicht ausschließen, dass sich künftig noch mehr Menschen von anderen Parteien abwenden.
taz: In Sachsen-Anhalt entschieden sich kürzlich in einer Umfrage 39 Prozent für die rechtsextreme Partei. Wenn bei der nächsten Landtagswahl mehrere kleine Parteien nicht ins Parlament kommen, dann bräuchte die AfD nicht mal 50 Prozent der Stimmen, um alleine zu regieren. Bis zur Wahl sind es noch etwa 360 Tage. Reicht das, um AfD-Wähler:innen von demokratischen Parteien zu überzeugen?
Dilger: Es gibt einige Menschen, die aktuell der AfD zuneigen, aber trotzdem noch erreichbar sind. Wer sie überzeugen möchte, sollte sie nicht abschreiben, sondern mit ihnen im Dialog bleiben. Aber der harte Kern der AfD-Wähler:innen, die nicht mehr dialogbereit sind, lässt sich wahrscheinlich bis zur Landtagswahl nicht überzeugen. Diese Leute machen eine relevante Anzahl aus, sie würden die politische Konstellation effektiv verändern.
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