Gewalt als Meme: War das Attentat auf Charlie Kirk ein „Brainrot Mord“?
Der mutmaßliche Charlie-Kirk-Mörder Tyler Robinson hatte wohl gar keine tiefen ideologischen Überzeugungen. Haben wir es mit einem neuen Phänomen zu tun?
N ach dem Attentat auf Charlie Kirk bleibt die ideologische Ausrichtung des Attentäters ein Rätsel. Für die Trump-Regierung und ihre Anhänger war die Sache schnell klar: Tyler Robinson war ein Linker, der aus Hass auf Rechte und Konservative gehandelt hat.
Als Beweis führen sie die Sprüche an, die der mutmaßliche Schütze auf die am Tatort gefundenen Patronen geritzt hat. „Hey Faschist, fang!“, stand auf einer, zusammen mit einer Kombination aus Pfeilen, auf einer anderen der Schlachtruf der italienischen Partisanen: „Bella ciao!“
Doch wie Journalisten und Techblogger mittlerweile breit analysiert haben, deuten die Botschaften nicht so sehr auf ein gefestigtes linkes Weltbild hin, sondern darauf, dass Robinson knietief in Online-Subkulturen steckte. Die genannten Sprüche sind Andeutungen auf das Videospiel „Helldivers“. Ein anderer Spruch – „Notices bulges OwO what’s this?“ (bemerkt Wölbungen, OwO [ein Smiley] was ist das?) – spielt auf die Furry-Szene an, in der sich Erwachsene als anthropomorphe Tiere verkleiden.
Dagegen sehen einige Linke in Robinson einen „Groyper“. Der Begriff bezeichnet die Anhänger des Holocaustleugners Nick Fuentes, der Kirk 2019 von rechts attackiert hatte, ihr Erkennungszeichen ist eine Spielart des Pepe-the-Frog-Memes.
Vertreter dieser Theorie führen Fotos an, die Robinson als Pepe verkleidet zeigen, sowie Posts aus Foren der Website 4chan, in denen selbsterklärte Groyper spekulieren, der Schütze könnte „einer von ihnen“ gewesen sein. Doch auch diese Verbindungen wirken konstruiert.
Attentat eines Unpolitischen?
Was aber, wenn Robinson weder ein radikaler Linker noch ein radikaler Rechter war? Was, wenn er stattdessen überhaupt keine nennenswerte politische Ideologie hatte? Neue Indizien deuten genau darauf hin.
In einem Blogpost hat die Autorin Berit Glanz Taten wie diese als „Brainrot-Morde“ bezeichnet. Damit spielt sie auf einen Memetrend an, der auf sinnentleerten, „hirntoten“ Humor setzt. Einiges spricht dafür, dass der Kirk-Schütze Teil dieses neueren Phänomens ist: Junge Menschen – nicht besonders politisch, dafür aber sehr aktiv in Online-Subkulturen – begehen Attentate, mit denen sie ihre Memereferenzen und Insider-Jokes in brutaler Weise in die echte Welt tragen.
Im Fall von Tyler Robinson sagte jüngst ein langjähriger Freund aus, dass der mutmaßliche Kirk-Attentäter kein politischer Mensch war. Befragt von dem Investigativjournalisten Ken Klippenstein berichtete er, wie überrascht er von dessen Tat war: „Das ist das Entscheidende: Er hat einfach nie wirklich über Politik gesprochen, und genau das macht es so frustrierend.“
Und auch der Kommunikationskanal auf der Plattform Discord, auf dem Robinson sich mit seinen Freunden traf und über den er im Anschluss den Mord gestanden haben soll, war wohl schlicht ein Ort, an dem sich Freunde zum Gaming verabredeten und Katzenbilder teilten. Und keine „Zelle der Radikalisierung“, wie FBI-Chef Kash Patel andeutete.
Einige Beobachter verweisen darauf, dass Robinson eine Beziehung zu einer trans Frau hatte und laut der veröffentlichten Textnachrichten mit ihr offenbar sagte, er habe genug von Kirks Hass gehabt. In der Tat ist das nach jetzigem Wissensstand der wahrscheinlichste Trigger für die Entscheidung zum Attentat. Aber auch dieser Umstand würde weder etwas an der sonstigen politischen Unauffälligkeit Robinsons ändern, noch wäre es eine zufriedenstellende Erklärung für die Radikalität der Tat und die Art und Weise wie sie begangen wurde.
Ein banales Manifest
Auch der Fall Luigi Mangione zeigt einige Zeichen eines „Brainrot-Mordes“. Vergangenen Dezember hatte der 27-Jährige den United-Healthcare-CEO Brian Thompson in Manhattan mit drei Schüssen von hinten getötet. Klippenstein war der Erste, der Mangiones „Manifest“ veröffentlichte. Und dessen Inhalt war einigermaßen überraschend, denn angesichts der Brutalität der Tat las sich der Text geradezu banal.
Mangione echauffiert sich darin über das US-Gesundheitssystem, über dessen Manager, die er „Parasiten“ nennt. Doch die Argumente klingen eher wie Sprüche, die man in jeder beliebigen amerikanischen Kneipe von Chicago bis Texas hört, und nicht wie das Programm eines Überzeugungstäters.
Die Memes lieferte Mangione mit: Auf seine Patronen hatte er die Wörter „delay“, „deny“, „depose“ geschrieben, eine Anspielung auf die fragwürdigen Abwehrtaktiken der US-Versicherungskonzerne. Und erst im August kam es in der Stadt Minneapolis zu einem Amoklauf, bei dem der Schütze eine Reihe von Memereferenzen und Botschaften mit ganz verschiedenen politischen Inhalten auf seine Kugeln geschrieben hatte.
Diese Beliebigkeit ist selbst ein Zeichen von Depolitisierung. Die Nachrichten sollen keine Botschaft vermitteln, sondern trollen und verwirren.
Auch rechte Attentäter memen
Memes und Attentate, diese Kombination ist natürlich nicht neu. Doch bislang kannte man das eher von rechten Schützen. So streamte Brenton Tarrant, der 2019 im neuseeländischen Christchurch 51 Muslime in einer Moschee erschoss, seine Tat live im Internet. Tarrants letzte Worte vor dem Massaker waren: „Subscribe to Pewdiepie“, eine Anspielung auf den damals größten YouTuber. PewDiePie hat nichts mit Tarrants Nazi-Ideologie zu tun – der Mörder erwähnte ihn einfach, um zu trollen.
Unbestritten ist aber, dass Tarrant wirklich daran glaubte, dass er mit seiner Tat einen „Rassenkrieg“ provozieren könne. Die Brainrot-Morde von heute dagegen sind ideologieentleert. Was übrig bleibt, sind die Memes und die Schüsse.
Diese Taten haben etwas Unheimliches, weil sie von den bisherigen Erklärungen für politische Attentate abweichen. Die klassisch ideologiegetriebenen Attentäter, Islamisten, Rechtsextreme, Anarchisten, sind irgendwie erklärbar.
Aber weshalb schreitet jemand zur Tat, der eigentlich keine oder nur oberflächliche Überzeugungen hat? Psychische Erkrankungen als Faktor können natürlich nicht ausgeschlossen werden. Aber in den Fällen Mangione und Robinson deutet bislang nichts auf eine mentale Unzurechnungsfähigkeit hin.
Die Taten sind einerseits ein Ausbruch aus der selbstreferenziellen Memewelt – der Tod eines Menschen als Essenz des Existenziell-Realen. Gleichzeitig aber heben sie den Zynismus der Onlinekultur auf die höchste Stufe, wenn sie aus den Witzen tödlichen Ernst machen.
Brainrot-Morde sind keine isolierten Einzeltaten. Vielmehr muss man sie als Ausdruck einer gesellschaftlichen Stimmung verstehen. Die Täter garnieren ihre Gewalttat mit Memes und Witzen, und das Internet wiederum macht aus den Attentaten Witze und Memes. So feierten viele im Netz die Schüsse auf Thompson und Kirk, wobei die Ideologie der Schützen im besten Fall zweitrangig ist und die politischen Konsequenzen (Gegengewalt, Repression, etc.) ausgeblendet werden. Popkultur, Politik und Gewalt verschwimmen so in einem Sog. Was zählt, ist, dass es viral geht.
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