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Gewalt als MemeWar das Attentat auf Charlie Kirk ein „Brainrot Mord“?

Leon Holly
Essay von Leon Holly

Der mutmaßliche Charlie-Kirk-Mörder Tyler Robinson hatte wohl gar keine tiefen ideologischen Überzeugungen. Haben wir es mit einem neuen Phänomen zu tun?

„Notices bulges OwO what’s this?“, stand auf einer der Patronen Foto: Blend Images/imago

N ach dem Attentat auf Charlie Kirk bleibt die ideologische Ausrichtung des Attentäters ein Rätsel. Für die Trump-Regierung und ihre Anhänger war die Sache schnell klar: Tyler Robinson war ein Linker, der aus Hass auf Rechte und Konservative gehandelt hat.

Als Beweis führen sie die Sprüche an, die der mutmaßliche Schütze auf die am Tatort gefundenen Patronen geritzt hat. „Hey Faschist, fang!“, stand auf einer, zusammen mit einer Kombination aus Pfeilen, auf einer anderen der Schlachtruf der italienischen Partisanen: „Bella ciao!“

Doch wie Journalisten und Techblogger mittlerweile breit analysiert haben, deuten die Botschaften nicht so sehr auf ein gefestigtes linkes Weltbild hin, sondern darauf, dass Robinson knietief in Online-Subkulturen steckte. Die genannten Sprüche sind Andeutungen auf das Videospiel „Helldivers“. Ein anderer Spruch – „Notices bulges OwO what’s this?“ (bemerkt Wölbungen, OwO [ein Smiley] was ist das?) – spielt auf die Furry-Szene an, in der sich Erwachsene als anthropomorphe Tiere verkleiden.

Dagegen sehen einige Linke in Robinson einen „Groyper“. Der Begriff bezeichnet die Anhänger des Holocaustleugners Nick Fuentes, der Kirk 2019 von rechts attackiert hatte, ihr Erkennungszeichen ist eine Spielart des Pepe-the-Frog-Memes.

Vertreter dieser Theorie führen Fotos an, die Robinson als Pepe verkleidet zeigen, sowie Posts aus Foren der Website 4chan, in denen selbsterklärte Groyper spekulieren, der Schütze könnte „einer von ihnen“ gewesen sein. Doch auch diese Verbindungen wirken konstruiert.

Attentat eines Unpolitischen?

Was aber, wenn Robinson weder ein radikaler Linker noch ein radikaler Rechter war? Was, wenn er stattdessen überhaupt keine nennenswerte politische Ideologie hatte? Neue Indizien deuten genau darauf hin.

In einem Blogpost hat die Autorin Berit Glanz Taten wie diese als „Brainrot-Morde“ bezeichnet. Damit spielt sie auf einen Memetrend an, der auf sinnentleerten, „hirntoten“ Humor setzt. Einiges spricht dafür, dass der Kirk-Schütze Teil dieses neueren Phänomens ist: Junge Menschen – nicht besonders politisch, dafür aber sehr aktiv in Online-Subkulturen – begehen Attentate, mit denen sie ihre Memereferenzen und Insider-Jokes in brutaler Weise in die echte Welt tragen.

Im Fall von Tyler Robinson sagte jüngst ein langjähriger Freund aus, dass der mutmaßliche Kirk-Attentäter kein politischer Mensch war. Befragt von dem Investigativjournalisten Ken Klippenstein berichtete er, wie überrascht er von dessen Tat war: „Das ist das Entscheidende: Er hat einfach nie wirklich über Politik gesprochen, und genau das macht es so frustrierend.“

Und auch der Kommunikationskanal auf der Plattform Discord, auf dem Robinson sich mit seinen Freunden traf und über den er im Anschluss den Mord gestanden haben soll, war wohl schlicht ein Ort, an dem sich Freunde zum Gaming verabredeten und Katzenbilder teilten. Und keine „Zelle der Radikalisierung“, wie FBI-Chef Kash Patel andeutete.

Einige Beobachter verweisen darauf, dass Robinson eine Beziehung zu einer trans Frau hatte und laut der veröffentlichten Textnachrichten mit ihr offenbar sagte, er habe genug von Kirks Hass gehabt. In der Tat ist das nach jetzigem Wissensstand der wahrscheinlichste Trigger für die Entscheidung zum Attentat. Aber auch dieser Umstand würde weder etwas an der sonstigen politischen Unauffälligkeit Robinsons ändern, noch wäre es eine zufriedenstellende Erklärung für die Radikalität der Tat und die Art und Weise wie sie begangen wurde.

Ein banales Manifest

Auch der Fall Luigi Mangione zeigt einige Zeichen eines „Brainrot-Mordes“. Vergangenen Dezember hatte der 27-Jährige den United-Healthcare-CEO Brian Thompson in Manhattan mit drei Schüssen von hinten getötet. Klippenstein war der Erste, der Mangiones „Manifest“ veröffentlichte. Und dessen Inhalt war einigermaßen überraschend, denn angesichts der Brutalität der Tat las sich der Text geradezu banal.

Mangione echauffiert sich darin über das US-Gesundheitssystem, über dessen Manager, die er „Parasiten“ nennt. Doch die Argumente klingen eher wie Sprüche, die man in jeder beliebigen amerikanischen Kneipe von Chicago bis Texas hört, und nicht wie das Programm eines Überzeugungstäters.

Die Memes lieferte Mangione mit: Auf seine Patronen hatte er die Wörter „delay“, „deny“, „depose“ geschrieben, eine Anspielung auf die fragwürdigen Abwehrtaktiken der US-Versicherungskonzerne. Und erst im August kam es in der Stadt Minneapolis zu einem Amoklauf, bei dem der Schütze eine Reihe von Memereferenzen und Botschaften mit ganz verschiedenen politischen Inhalten auf seine Kugeln geschrieben hatte.

Diese Beliebigkeit ist selbst ein Zeichen von Depolitisierung. Die Nachrichten sollen keine Botschaft vermitteln, sondern trollen und verwirren.

Auch rechte Attentäter memen

Memes und Attentate, diese Kombination ist natürlich nicht neu. Doch bislang kannte man das eher von rechten Schützen. So streamte Brenton Tarrant, der 2019 im neuseeländischen Christchurch 51 Muslime in einer Moschee erschoss, seine Tat live im Internet. Tarrants letzte Worte vor dem Massaker waren: „Subscribe to Pewdiepie“, eine Anspielung auf den damals größten YouTuber. PewDiePie hat nichts mit Tarrants Nazi-Ideologie zu tun – der Mörder erwähnte ihn einfach, um zu trollen.

Unbestritten ist aber, dass Tarrant wirklich daran glaubte, dass er mit seiner Tat einen „Rassenkrieg“ provozieren könne. Die Brainrot-Morde von heute dagegen sind ideologieentleert. Was übrig bleibt, sind die Memes und die Schüsse.

Diese Taten haben etwas Unheimliches, weil sie von den bisherigen Erklärungen für politische Attentate abweichen. Die klassisch ideologiegetriebenen Attentäter, Islamisten, Rechtsextreme, Anarchisten, sind irgendwie erklärbar.

Die Taten heben den Online-Zynismus auf die höchste Stufe, indem sie aus Witzen tödlichen Ernst machen

Aber weshalb schreitet jemand zur Tat, der eigentlich keine oder nur oberflächliche Überzeugungen hat? Psychische Erkrankungen als Faktor können natürlich nicht ausgeschlossen werden. Aber in den Fällen Mangione und Robinson deutet bislang nichts auf eine mentale Unzurechnungsfähigkeit hin.

Die Taten sind einerseits ein Ausbruch aus der selbstreferenziellen Memewelt – der Tod eines Menschen als Essenz des Existenziell-Realen. Gleichzeitig aber heben sie den Zynismus der Onlinekultur auf die höchste Stufe, wenn sie aus den Witzen tödlichen Ernst machen.

Brainrot-Morde sind keine isolierten Einzeltaten. Vielmehr muss man sie als Ausdruck einer gesellschaftlichen Stimmung verstehen. Die Täter garnieren ihre Gewalttat mit Memes und Witzen, und das Internet wiederum macht aus den Attentaten Witze und Memes. So feierten viele im Netz die Schüsse auf Thompson und Kirk, wobei die Ideologie der Schützen im besten Fall zweitrangig ist und die politischen Konsequenzen (Gegengewalt, Repression, etc.) ausgeblendet werden. Popkultur, Politik und Gewalt verschwimmen so in einem Sog. Was zählt, ist, dass es viral geht.

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Leon Holly
Jahrgang 1996, studierte Politik und Nordamerikastudien in Berlin und Paris. Von 2023 bis 2024 Volontär der taz Panter Stiftung. Schreibt über internationale Politik, Kultur, und was ihn sonst so interessiert.
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44 Kommentare

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  • Ist es nicht vollkommen egal, ob der Attentäter links oder rechts oder nur ballaballa ist?



    Für die Magas steht es eh fest, weil sie es so drehen, wie sie es brauchen.



    Erinnert euch einfach dran, dass für die sogar Hitler und die Nazis links sind.



    Kirks Tod wird in Utah und sonstwo entsprechend instrumentalisiert werden. Möglicherweise bekommt er auch Denkmäler gesetzt unter denen steht, dass er starb, weil er Amerika von der Sklaverei befreien wollte.



    Kirk kannte hier bis vor ein paar Tagen niemand und in ein paar Wochen ist er hier vergessen, während wir hilflos zusehen, was die Magas so aus der Welt machen.

  • Internetzombies, komplett abgestumpft und abgekoppelt von der Realität begehen Anschläge. Kaum tröstlicher als ein durchgeknallter Ideologe.

  • Der Vollständigkeit halber hätte man hier vielleicht noch darauf hinweisen können, dass derzeit (auch) die Gruppe "Armed Queer SLC" im Fokus der Ermittlungen steht und es zahlreiche Posts von queeren Instagram Accounts gab, die am Tag vorher mehr oder weniger zu Kirks Ermordung aufgerufen oder diese versprochen haben. Ich will damit weder Ressentiments schüren noch die Trans-Bewegung dafür verantwortlich machen, aber wenn man schon so umfassend erörtert, finde ich es irgendwie erstaunlich, dass dieser Aspekt komplett außen vor gelassen wird.

  • Schon möglich, daß sich der Täter allein radikalisiert hat: das Alter (22 Jahre) und die vom MAGA-Elternhaus sicher nicht mit offenen Armen empfangene romantische Beziehung passen zu einem radikalen, sich von der Familie emanzipierenden Denkprozess, der aus dem Ruder gelaufen ist : aus einer wie er schrieb "Gelegenheit" wurde ein Schritt zur Tat.

    Es ist m.E. falsch, die politische Dimension der Tat, einer



    terroristischen Tat, zu negieren. Es war ein Einzeltäter, ohne Netzwerk, aber mit reichlich Schußwaffenerfahrung und einem beeidruckenden Konflikt zum politischen Umfeld.

    Das Gewehr haben ihm wohl seine Eltern geschenkt. Leider kann man nun Charly Kirk nicht mehr dazu befragen, ob es nicht besser gewesen wäre, sein Mörder hätte keine Mauser im Schrank gehabt: Kirk sagte einmal, einige Tote durch Waffengebrauch jedes Jahr seien ein akzeptabler Preis für "die Freiheit", Waffen zu besitzen.

    Der Täter hat sein eigenes Leben verpfuscht. Aber die jetzt folgende Hexenjagd und dieser Reichstagsbrandgeruch sind die eigentlichen Probleme für die sich zur Diktatur wandelnden USA.

  • Das ist ja genau das, was führende Politiker momentan vorleben und damit überall forcieren: Herumgetrolle. Als hätten sie die Strategien analysiert, um sie dann auch erfolgreich im Real Life anzuwenden:



    Bspw:



    - äußerst provokant sein, Spott



    - Verwirrung stiften, gezielte Zweideutigkeit (Hitlergruß oder auch kein Hitlergruß)



    - verkappte Drohungen



    - anderen genau das vorzuwerfen, was sie selbst sind



    - alles ins Lächerliche und Absurde ziehen



    - Aufmerksamkeit generieren



    - Schnelligkeit generieren (man braucht sich nur mal anzuschauen, wie wahnsinnig schnell die schillernde Politik einer bestimmten Person im Moment ist. Da kommen selbst die Medien kaum mehr hinterher).

    Der Täter lebt anscheinend in diametral verschiedenen Welten, die durch genau diese Politik zur Zerreißprobe wurden. Hinzu kommt sein Alter, vielleicht Verliebtsein oder gar Liebe (wie @Saskia Brehn vermutet) und damit verbundener Beschützerinstinkt. Der root cause scheint mir das zu sein, was er dieser Vertrauensperson anscheinend auch ganz ehrlich mitgeteilt hat, dass er "keine Lust mehr auf diesen Hass" hat.

  • Seit wann muss man denn ein ideologisch getriebener Extremist sein um Faschismus aufhalten zu wollen? Die Wahl der Mittel sind natürlich eine andere Frage und hat wohl mehr mit einer persönlichen Neigung zu Gewalt zu tun. Und ich denke die USA sind hierfür schon ein problematischer Ort, wenn man sich die vielen Schusswaffentoten anschaut.

    • @Klobrille:

      Haben Sie gerade politische Morde an vermeintlichen Faschisten als nicht-extremes Mittel bezeichnet? Für solche Kommentare klingelt bei Rechten Morgens der Verfassungsschutz.

      • @Moralapostbote:

        Nein, das habe ich nicht geschrieben. Sie ignorieren das Wort "ideologisch". Damit ist gemeint, dass es sich z.B. statt einem Linksextremen beim Täter auch um einen unideologischen Demokraten handeln könnte, der zu extremen Mitteln greift.

    • @Klobrille:

      Es hört sich so an als solle der Kommentar andeuten, Charlie Kirk sei ein Faschist gewesen. Das war er nicht. Er war wohl eher ein bibelfester Konservativer. Um das zu verstehen, muss man sich allerdings die Mühe machen, einige Videos von ihm zu schauen.

      • @Piet Petersen:

        Immerhin ein bibelfester Konservativer, der z.B. für den damaligen Präsidenten Biden die Todesstrafe für angemessen hielt. Nur um die Mühe mit dem Inhalten noch etwas weiter zu bringen.

  • taz: *Was aber, wenn Robinson weder ein radikaler Linker noch ein radikaler Rechter war?*

    Tyler Robinson soll ja aus einem sehr konservativen Elternhaus kommen und wie es heißt, soll sein eigener Vater ihn erkannt und dann angezeigt haben. Die Sache ist also etwas komplizierter und hat mit rechts/links wohl nur am Rande zu tun.

    taz: *Einige Beobachter verweisen darauf, dass Robinson eine Beziehung zu einer trans Frau hatte und laut der veröffentlichten Textnachrichten mit ihr offenbar sagte, er habe genug von Kirks Hass gehabt.*

    Wohl nicht nur von Kirks Hass, denn wie gesagt, es gibt ja auch noch den eigenen Vater, der ihn angezeigt hat. Man muss kein studierter Psychologe sein, um '1 plus 1' zusammenzuzählen. Man erkennt sehr gut, wohin die "christlichen" Rechtskonservativen in den USA solche junge Menschen – die psychisch instabil sind – schon bringen. In einem Land wo es Schusswaffen an jeder Ecke zu kaufen gibt und wo sich die bibeltreuen Evangelikalen immer mehr mit den Rechten zusammenschließen, sollte man vielleicht noch einmal darüber nachdenken, wer hier 'wirklich' den Abzug des Gewehres durchgezogen hat.

    Trump wird das aber wieder als linken Terrorismus hinstellen.

    • @Ricky-13:

      Nach langen nachdenken komme ich zu dem Schluss "Tyler Robinson" hat den Abzug des Gewehres "wirklich" durchgezogen

      • @Arthur Helwich:

        Danke sehr!

  • Ja, er ist ein Attentäter. Aber ist er ein politisch motivierter Terrorist? Oder ist es eine neu Form von Psychose?



    Neben uns wächst auf jeden Fall eine Generation von Jugendlichen heran, die bis zu acht Stunden am PC sitzt. Stunden, in denen keine wirkliche Begegnung stattfindet.



    Wer weiß schon, was das in der Psycho eines Menschen verändert. Es gibt einfach noch keine oder zu wenige Untersuchungen.



    Während der ersten Monate der Corona-Krise habe ich fast drei Monate allein zuhause vor dem Bildschirm verbracht und als ich dann wieder ins wahre Leben zurückkehrte, war mir die Welt ein Stück fremd geworden. Die Menschen haben mich gestört. Ich fühlte mich eingeengt, irgendwie waren die mir im Wege.

    • @Il_Leopardo:

      EUROPOL teil Ihre Einschätzung. Die Gruppe der Terrorverdächtigen wird übergreifend als jung und männlich beschrieben.

      "Die Zahl der Minderjährigen und jungen Menschen, die in der gesamten EU an terroristischen und gewalttätigen extremistischen Aktivitäten beteiligt waren, ist 2024 weiter gestiegen. Psychische Gesundheitsprobleme, gesellschaftliche Vereinsamung und digitale Abhängigkeit waren wichtige Faktoren für die Radikalisierung dieser jungen Menschen."

      www.europol.europa...ssung%20-%20DE.pdf

      • @drum:

        Vielen Dank für den Hinweis und den Link

    • @Il_Leopardo:

      P.S.



      Und ich war in der Corona-Zeit schon ein gereifter Mann. Was passiert aber mit einem Jugendlichen, der nur in der Entwicklung ist, wenn er nur noch eine Bilderflut betrachtet, Memes und Spiele. Leider gucken diese Jugendlichen keine Politmagazine, in denen verschiedene Meinungen aufeinanderprallen. In der Schule läuft da übrigens auch wenig an Auseinandersetzung.

  • Der Artikel enthält ohne Zweifel interessante Informationen. Allerdings liest sich die Gegenüberstellung von, ich nenne es mal, "kulturell verwirrter Mordmotivation" und "politisch korrekter Mordmotivation" etwas seltsam.

    Zunächst mal zum mitklingenden Kulturpessimismus: Charles Manson war im Geiste des Artikels der vermutlich erste "Brainrot-Mörder". Wenn das also kuturellen Niedergang anzeigt, hat er wohl schon viel früher angefangen.

    Am Anfang steht ferner die Tatsache, dass die meisten Menschen keine Morde begehen, obwohl viele Menschen mit etwas unzufrieden sind, und dafür bestimmte Personen verantwortlich machen. Es scheint also eine gewisse Hemmung gegenüber Mordbegehung zu geben.

    Um diese Hemmung zu überwinden, braucht es offenbar "geeignete" aktive Vorstellungsinhalte. Welche Rolle spielt es, ob sich diese Selbstüberzeugung aus irgendwelchen Memes, aus Rassenwahn, Marxismus oder einem affirmativen Verhältnis zu Transsexualität speist?

    Die Root Cause ist jedenfalls die Überhöhung der eigenen Ideen zuungunsten menschlichen Lebens. Politische Motivation kann ich dabei nicht als Entschuldigung begreifen, sondern ist nur eine weitere "kulturelle Verwirrtheit"

  • Wie wäre es denn , wenn man die weiteren Ermittlungen und zumindest den Prozessbeginn erst einmal abwarten würde?



    NYT gestern:



    "Beau Mason, Utah’s public safety commissioner, said investigators were still working to unravel Mr. Robinson’s personal relationships and excavate his extensive online life to fully understand what might have driven him. “Who did he speak to, who did he talk to?” Mr. Mason said in an interview. “It’s the same thing for digital: What interactions did he have online, what websites did he visit, what may have influenced him in any way? You don’t know what’s out there until you search for it.”

  • Das Entscheidende ist aber, interessieren sich Trump und MAGA überhaupt für die Hintergründe oder ist es nur ein willkommener Anlass um gegen die Opposition vorzugehen.

  • James Earl Ray, der Attentäter von Martin Luther King, hatte auch keine ausgeprägten ideologischen Überzeugungen. Sein Motiv war schlicht, dass er keine Schwarzen mochte. Ohne es untersucht zu haben, würde ich schätzen, dass Hass schon immer bei den meisten politischen Morden die Hauptmotivation war und nicht irgendein komplexes politisches Kalkül oder ein politisches System.

  • Jede Seite versucht nun natürlich das Maximale für sich aus diesem Attentat rauszuholen.



    Trump und die amerikanische Rechte möchten im Fahrwasser des Mordes sich der Antifa entledigen und bestenfalls noch ein zwei linke "Comedians" samt ihrer Shows vom Bildschirm tilgen, während Linke weltweit verzweifelt versuchen, den Attentäter möglichst nach rechts zu schieben.



    Man erinnere sich an die ersten Tage nach dem Attentat, da wurde von links nonstop darauf hingewiesen, dass der Attentäter aus einer republikanischen Familie stammt, die eine Vorliebe für Waffen hat.



    Danach wurde tagelang die Gaming-Welt-Theorie laut nach draußen getragen.



    Und nun eben die Brainrot Theorie.



    Die Message dabei ist klar, der Attentäter soll alles, bloß nicht links gewesen sein.



    Das kein Mensch eindimensional ist wird hierbei von rechts wie links bewusst ignoriert.



    Meiner Ansicht nach spricht die signierte Munition (Bella Ciao, Hey Faschist fang) in Kombination mit der Tatsache, dass der Attentäter mit einer Transperson zusammenlebte, Bände.



    Das Linke natürlich um jeden Preis den medialen Supergau verhindern wollen, dass der Attentäter links war und aus Liebe zu einer Transperson gehandelt hat, auch klar.

    • @Saskia Brehn:

      Dass die signierte Munition für dich "Bände spricht" hat genau etwas damit zu tun, dass du willst, dass es so ist. Ich dachte das auch, bis es die Erläuterungen dazu aus der Gaming-Kultur gan. Auf der Patrone mit "Hey Faschist! Fang!" ist noch die Tastenkombination "↑ → ↓↓↓" drauf, die in diesem Spiel, zu dem auch das Zitat gehört, wohl den stärksten Bombenangriff auslöst.



      Und ich würde wetten, dass der Attentäter nicht eine Strophe aus "Bella Ciao" singen könnte, weil auch das nur ein Gaming-Zitat ist.



      Also: Nur weil es dir bei oberflächlicher Betrachtung einleuchtend erscheint, ist es das noch lange nicht.

    • @Saskia Brehn:

      Genau hier liegt das Problem: Für jede:n spricht irgendetwas an dem Fall Bände. Wir lassen uns getrost von Vermutungen leiten und stürzen die Welt in eine fatale Polarisierung: Trump nutzt die Situation für seine autokratische Agenda und allzu viele halten das für gerechtfertigt.

      Dabei ist es völlig gleichgültig, ob es sich bei dem Attentäter um einen fehlgeleiteten Linken, Rechten oder sonstwen handelt. Sie alle sind angetrieben von einer Polarisierung und Martialisierung, die nicht sie selbst herbeigeführt haben, sondern Waffennarren, Computergenres, machtgierige Politiker und Leute wie Kirk, die auf der polarisierenden Welle reiten.

      Ohnehin wissen die jungen Gamer in der Regel wenig von links und rechts, selbst wenn sie sich so einordnen. Dafür wachsen sie in einer Welt auf, in der Lösungsstrategien ohne Gewalt und Macht kaum mehr vorkommen - weder real noch virtuell. Das Problem sind nicht die Attentäter. Sie sind nur das Ergebnis einer Polarisierung, die ganz andere absichtsvoll betreiben. Egal, wo wir Attentäter sehen, niemals darf man davon auf alle anderen schließen, die wir einfach genau so einordnen, schon gar nicht wenn wir die ganze Welt nur in links und rechts teilen

  • Die Leute, die in Schulen um sich schießen, tun das auch nicht aus politischer Überzeugung.



    Gewalt ist tief verankerter Teil der Realität in den USA. Einzeltaten ideologisch einordnen zu wollen, wenn der Täter das nicht explizit selber macht, ist gefühlsmäßig nachvollziehbar, aber effektiv doch nur wieder eine Übung in abstreitbarer Schuldzuweisung.

  • Sorry, aber leider ist das Alles andere als unpolitisch. Furries sind nicht nur als Tiere verkleidet, das hat immer auch etwas zutiefst sexuelles an sich. Gerade Groyper die eine Unterart der Incels sind werden vermutlich nicht mit ihren Reallife-Freunden über ihre gesellschaftlich nicht gerade salonfähigen Neigungen und die politischen Meinungen die damit einhergehen sprechen.



    Aber gut. Schiebt es einfach wieder auf "Memes" oder "Killerspiele" (wie früher). Nur ist das zu kurz gedacht und zeigt eher von uninformiertheit als irgendwas anderes...

  • Vielleicht ist die ganze Gesellschaft doch einfach auf den Weg in den individuellen Irrsinn.

  • Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Daher hat hier alles mit nichts zu tun, und am Ende soll ein Computerspiel schuld sein. Oder ein meme. Oder der discordchannel, oder twitch, oder oder oder.

    Wenn es nicht so traurig wäre, käme ich aus dem Lachen nicht mehr raus.

  • Fantasieentleerte Fantasie - ein Mord als Pointe. Was geht ab?

  • Das ist mir zu kurz gedacht. Sind Morde unpolitisch, wenn die Täter:innen keine Aktivist:innen waren?



    Dann wäre ein Anschlag auf Migrant:innen unpolitisch, wenn dahinter keine rechte Ideologie steht, sondern „nur“ eine von rechter Hetze aufgestachelte Wut eigentlich unpolitischer Menschen?



    Dann wäre es es auch unpolitisch, wenn ein:e Muslim:a ein antisemitisches Attentat begeht, ohne selbst radikal zu sein?



    Jetzt soll ich glauben, dass jemand einen Mord für ein Meme begeht? Bloß damit man sich nicht damit auseinandersetzen muss, dass auch ein unpolitischer, aber gewaltbereiter Mensch zur Waffe greift, wenn er erlebt, wie seine Transfreundin unter einer Diskriminierung leidet, für die Kirk stand?



    Dann ist es halt ein politischer Mord über Bande, wenn jemand unpolitisches von einer Ideologie zur Tat ermutigt wird. Wir regen uns zu Recht auf, wenn Rechte nach Gewalttaten die Zusammenhänge bestreiten; das sollten wir auch nicht tun. Es würde dem Frieden der Gesellschaft dienen, wenn die AfD endlich am lautesten fremdenfeindliche Anschläge verurteilen würde, Muslimverbände islamistische Attentate und wir eben einen solchen Mord weder rechtfertigen noch wegdiskutieren.

    • @Bunte Vielfalt:

      Das ist mal ein wirklich vernünftiger Kommentar, sieht man leider viel zu selten. Ergänzend: auch auf posthume Buzzword-Verunglimpfung und öffentlich Häme kann gerne von allen Seiten verzichtet werden.

  • Die meisten Terroristen sind von Machtausübung, Rache und Gewalt fasziniert und eher nicht intellektuell motiviert, das ist nichts Neues. RAF-Baader war nicht an linken Theorien interessiert, islamistische Attentäter kennen kaum den Islam, NSU-Böhnhardt war ein unterbelichteter manipulierbarer Waffennarr, usw.



    Erst die öffentliche Entmenschlichung des politischen Gegners markiert ihn für diese Irren als vermeintlich gerechtes Ziel. Die Frage ist also nicht, ob Tyler Robinson Marx gelesen hat, sondern von wem in welcher Szene und Medien die Ermordung von Charlie Kirk gerechtfertigt wurde und wird.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Danke für den Link. Der Artikel scheint mir ein Beispiel für den Versuch zu sein, den Attentäter aus einer mutmaßlich "linken Ecke" herauszuschieben.



      Die Gravuren "Hey Fascist, catch" und "Bella ciao" werden lediglich als popkulturelle Referenzen verstanden ohne direkte Bedetung. Das ist allerdings wenig glaubwürdig. Trump und seine MAGA-Leute werden auch in den USA häufig als "Faschisten" bezeichnet. Nun kann man fragen, warum der Attentäter ausgerechnet diese beiden Referenzen aus der Gaming-/Pop-Welt wählte, um seine Patronen zu kennzeichnen. Gibt es keine Referenzen, die politisch unverfänglicher sind? Zufällig wählt er Referenzen, die sehr auf eine selbstproklamierte "antifaschistische" Deutung hinweisen, während Trump, Kirk und Konsorten im Land als "Faschisten" bezeichnet werden. Dass er die Bezüge gewählt hat, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, ist klar. Dass das aber keine "linke" Bedeutung haben soll, ist wenig glaubwürdig.

  • Auch nicht viel weltfremder als der Kosmismus im Silicon Valley. Die zynischen Gamer sind immerhin noch nicht so abgefuckt, in ihren Gewaltphantasien auf Amokläufe zu gehen oder xbeliebige zu erschiessen, sondern suchen sich anscheinend 'wenigstens' die Arschlöcher des 'echten' Lebens zum Töten aus. Nach all den Zeitenwenden sollte einen wohl nichts mehr wundern.

  • Man kann den Täter bis jetzt nicht einer politischen Ideologie zuordnen, dafür wurden auch keinerlei Beweise vorgelegt.

    Was man aber mit Sicherheit sagen kann, die US-Regierung instrumentalisiert den Mord und für sie stand der Hintergrund schon fest, bevor überhaupt ein Täter ermittelt wurde. Jetzt gibt es schon Gesetzesvorlagen, nach denen politische Gegner mundtot gemacht werden sollen. Allem Anschein nach hat man nur auf diese Gelegenheit gewartet.



    Umso skeptischer muss man Untersuchungsberichte des FBI betrachten, die unter der Aufsicht von Kash Patel zustande kommen.

  • Ich höre oft Jugendlichen in der U-Bahn zu, die sich über Computerspiele ereifern, als wäre es das reale Leben - manchmal mit einer Vehemenz, dass ich mich um deren geistige Gesundheit sorge.



    Der Attentäter war wohl ein sehr stiller, zurückgezogener junger Mann, der durch seine Tat urplötzlich aus der Stille in die Öffentlichkeit getreten ist.



    Wie wird er nun mit der Wirklichkeit zurechtkommen - mit Polizei, Richtern und am Ende sogar mit der Todesstrafe. Wird er spätestens dann aufwachen und zu zittern anfangen?



    Ich hoffe für ihn, dass Gutachter eine verminderte Schuldfähigkeit feststellen und er Gelegenheit erhält, fehlende Reife nachzuholen und er zur Einsicht gelangt, dass Memes und Spiele etwas anderes sind als das wirkliche Leben.

    • @Il_Leopardo:

      Bei seiner Bekanntheit bräuchte er einen Chirurgen und eine neue Identität, sollte er aus dem Gefängnis kommen

  • "Für die Trump-Regierung und ihre Anhänger war die Sache schnell klar: Tyler Robinson war ein Linker, der aus Hass auf Rechte und Konservative gehandelt hat."

    Das ist, was die Ereignisse in den USA bestimmt. Jede noch so kluge psychologische Analyse wird etwas daran ändern, denn die Wahrheit interessiert die US Regierung nicht. Für sie ist der Mord der willkommene Anlass, um zum Angriff auf die Opposition zu blasen.

    Kommt einem bekannt vor...

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Sehe ich genauso, dieser Mord könnte genau der Anlass sein, ganz offen gegen die Opposition vorzugehen und den Staat zu übernehmen.



      Während die Opposition und alle klugen Menschen analysieren, nutzt MAGA einfach die Gunst der Stunde und handelt.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Ja, kann einem bekannt vorkommen.

      Auch hier sollten manche Anschlägen und Taten als rechts geframed werden, wo die Polizei das begründet anders sieht.

      Die taz hat dazu mehrere Artikel, in denen sie NGOs zu Wort kommen lässt.

      Die Nerven liegen blank.

      Würde jemand einen linken Politiker erschießen und auf die Kugel "Hey, Antifa, fang." raufschreiben, würde jeder Zweifel an einer rechten Motivation des Täters als Verharmlosung rechter Taten bezeichnet werden.

      Was nicht heißen soll, dass Herr Holly nicht recht haben kann. Scheint mir sogar plausibel, was er schreibt.

  • Es ist schlimm, Erklärungen helfen da wenig.



    Fast alles ist doch heutzutage einfacher, offenbar auch leider das Töten. Gewalt ist wieder gesellschaftlich akzeptiert, die Hemmschwelle sinkt, der andere hat ja angefangen.



    Es ist nur ein Spiel, das gewonnen werden muss.

    • @Kay Brockmann:

      Wann war den Gewalt gesellschaftlich weniger weit verbreitet in den USA?



      Gewaltverbrechen, zumindest von Zivilisten sind ja eher seit langem eher am Abnehmen. Der Aufruf zum Mord ist von der Meinungsfreiheit gedeckt, den KKK gibt es ja auch schon eine Weile. Stark zugenommen hat eher staatliche Repression in Form von Militarisierung, Gewalt und Überwachung.



      Gehetzt wird nun direkt von Politikern.



      .



      Das Attentat zu erklären ist schon wichtig, alleine unter dem Gesichtspunkt, wie man diese in Zukunft ev. besser verhindern kann. Und genau da sind diese neue Art der unpolitischen Attentäter verdammt gruselig. Diese liefern ja keine /kaum Anhaltspunkte für eine frühzeitige Erkennung. Da hilft auch kein Palantir. Aber vll irre ich mich da ja auch nur und eine KI Analyse kann selbst aus Katzenbildermemes einen Anschlagsplan herleiten.