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Vorschlag zum NahostkonfliktFür ein freies Palästina

Viele Staaten haben bereits einen palästinensischen Staat anerkannt. Auch Israel sollte auf einen friedlichen Nachbarstaat hinarbeiten.

Um Frieden im Nahen Osten haben sich schon vielen Politiker in der Vergangenheit bemüht Foto: Corinna Kern/laif

B is Ende September 2025 haben über 150 Länder angekündigt, einen Staat Palästina anzuerkennen, oder haben bei den Vereinten Nationen bereits dafür gestimmt. Sofern ich nichts übersehen habe, scheint jedoch keines dieser Länder definiert zu haben, wie dieser Staat Palästina verfasst sein soll.

Der Autor

Walter Rothschild wurde 1954 in Bradford, England, geboren. Seit 1984 war er als Rabbiner in England, Österreich, Polen, Deutschland und Aruba tätig.

Soll er eine Monarchie werden wie Jordanien, Saudi-Arabien, Bahrain oder Marokko? Ein dynastisches Emirat wie Katar und Kuwait oder ein Sultanat oder Scheichtum wie mehrere andere Staaten am Persischen Golf? Eine islamische Republik wie der Irak, Pakistan, Mauretanien oder Afghanistan? Ich habe nicht gehört, dass die Anerkennung Palästinas mit Forderungen nach einer demokratischen Verfassung verbunden worden wäre: „Wir werden einen palästinensischen Staat anerkennen, solange er sich zu schnellen Wahlen, Menschenrechten für alle, Religionsfreiheit etc. verpflichtet.“

Nahost-Debatten

Der Israel-Palästina-Konflikt wird vor allem in linken Kreisen kontrovers diskutiert. Auch in der taz existieren dazu teils grundverschiedene Positionen. In diesem Schwerpunkt finden Sie alle Kommentare und Debattenbeiträge zum Thema „Nahost“.

Das ist eine entscheidende Frage. In Syrien versucht ein ehemaliger Dschihadist, dessen Truppen vor Kurzem eine Jahrzehnte währende brutale Diktatur gestürzt haben, anscheinend, ein pragmatisches und pluralistischeres Regime einzuführen, was bisher aber mit Massakern an Alawiten und Drusen verbunden war. Er sieht sich dem Druck der Türkei ausgesetzt, die im Westen des Landes die Kurden unterdrückt, offenbar mit dem Ziel, das Osmanische Reich wiederherzustellen. In Syrien herrscht, gelinde gesagt, Chaos.

Bürgerkrieg zwischen zwei Bevölkerungsgruppen

Am 6. Mai 1948 verkündete David Ben-Gurion, der die provisorische Regierung der jüdischen Palästinenser, den sogenannten Jishuv, anführte, in Tel Aviv eine Unabhängigkeitserklärung. Fortan wurden die jüdischen Palästinenser als Israelis bezeichnet. Es lohnt sich, an diese oft vergessene Tatsache zu erinnern. Die Kriege von 1947 bis 48 waren keine kolonialistischen Invasionen, sondern ein Bürgerkrieg zwischen zwei Bevölkerungsgruppen innerhalb eines Landes, wobei die eine Gruppe – widerwillig – einem Kompromiss und einer Teilung des Territoriums zugestimmt und die andere Gruppe dies abgelehnt hatte.

Das als „Palästina“ bekannte Mandatsgebiet sollte durch einen Beschluss der Vereinten Nationen vom 29. November 1947 in drei Teile geteilt werden: einen vor allem für Juden, einen vor allem für arabische Muslime und Christen – und eine neutrale Zone in Jerusalem und Bethlehem unter Aufsicht der Vereinten Nationen für die ganze Welt, um dort allen die Möglichkeit zu geben, religiöse Stätten aufzusuchen.

Transjordanische, syrische, ägyptische und sogar irakische Streitkräfte marschierten daher 1948 ein und wurden größtenteils zurückgeschlagen. Die Waffenstillstandsvereinbarungen von 1949 formalisierten eine Waffenstillstandslinie, die erst 1967 zu einer „Grenze“ wurde, als Israel unter der Drohung einer Invasion diese Linie überschritt. Es übernahm die Kontrolle über Landesteile, die in den vorangegangenen 20 Jahren zu Teilen Jordaniens, Syriens und Ägyptens geworden waren, aber größtenteils von Palästinensern bewohnt wurden, die nicht in diese Länder integriert worden waren.

Doch nun begann die Mythenbildung, und diejenigen, die Israel zwei Jahrzehnte lang mit Guerillaüberfällen angegriffen hatten, wurden nun zu „unschuldigen Opfern der kolonialistischen zionistischen Unterdrückung“ stilisiert. Zahlreiche Versuche, eine Form des Kompromisses zu schaffen, Autonomie ohne vollständige Unabhängigkeit zu gewähren, die militärische Kontrolle über strategische Punkte zu behalten, Vereinbarungen für die Wasser- und Stromversorgung und den Zugang zu Straßen zu treffen und so weiter, haben zu der derzeitigen unruhigen Lage geführt.

Palästinenser wurden Opfer der internationalen Politik

Für den Großteil einer Bevölkerung spielt es keine besondere Rolle, wer im Palast des Königs oder des Präsidenten sitzt und wer im Nachbardorf lebt, solange die Wasserhähne funktionieren, der Müll abgeholt wird und die Kinder sicher zur Schule gehen können. Aber leider funktioniert die internationale Politik nicht so.

Die Palästinenser wurden zu Opfern der internationalen Politik, wie sie von den Führern Libanons, Syriens, Jordaniens, Ägyptens, Irans, Libyens, Iraks und der Golfstaaten betrieben wurde. Sie haben in der Tat gelitten. Das steht außer Frage.

Die Frage ist: Wie kann die Situation verbessert werden? Würde ein unabhängiger Staat Palästina automatisch alles besser machen? Wer wird ihn regieren, welche demokratischen Kontrollmechanismen gäbe es? Wer wäre verantwortlich (wir wissen aus der Geschichte, dass die UNO sich aus der Angelegenheit heraushalten würde), wenn eine fundamentalistische Gruppe die gewählte Regierung wie in Jemen verdrängen würde oder eine Miliz wie in Libanon, Sudan oder Eritrea die Hälfte des Landes oder, wie in Syrien, das ganze Land übernehmen oder wie in Iran die Monarchie stürzen würde, während im Hintergrund die Türkei, Iran, China und Russland ihre langfristigen strategischen Ziele verfolgen?

Friedliche Beziehungen zu Nachbarländern

Ich habe einen bescheidenen Vorschlag, der vermutlich fast alle glücklich machen würde. Israel sollte so schnell wie möglich eine „provisorische Regierung des freien Palästina“ ausrufen. Mit dieser Erklärung (ähnlich derjenigen von Ben-Gurion im Jahr 1948) könnte ein Appell an die Nachbarländer, friedliche Beziehungen zu pflegen, einhergehen sowie das Versprechen, Wahlen abzuhalten, das Versprechen, die Rechte der Gläubigen aller Religionen, die Menschenrechte der Einwohner aller Geschlechter und sexueller Orientierung zu respektieren und ein Mehrparteiensystem, eine unabhängige Justiz und eine freie Presse zu gewährleisten.

Die neue Regierung der Republik Freies Palästina wird verkünden, dass sie alle für den Wiederaufbau der Städte im Gazastreifen zugesagten Mittel dankbar annehmen und in die Landwirtschaft, die Meerwasserentsalzung sowie die Solar- und Windenergieerzeugung investieren wird. In den Bergen westlich des Jordans wird sie ein Regelwerk erlassen, das es Juden ebenso wie Christen und Muslimen erlaubt, Dörfer zu gründen.

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Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Allen wird der Zugang zu den verschiedenen heiligen Stätten gestattet. Die Regierung wird ein Bildungssystem einrichten, in dem den Kindern nicht beigebracht wird, ihre Nachbarn zu hassen, im Gegensatz zum derzeitigen (von der EU finanzierten) System, das sie das Gegenteil lehrt. Der Schekel wird die Standardwährung sein.

Es gilt, strategisch zu denken

Die Vereinten Nationen werden nun mit zwei konkurrierenden palästinensischen Regierungen konfrontiert sein, wie in Somalia, in Jemen oder im Fall von China und Taiwan. Alle, die in Europa und Amerika auf die Straße gehen und „Freies Palästina“ fordern, werden zu ihrer Überraschung feststellen, dass es nun tatsächlich ein freies Palästina gibt. Eines, das Queers und Christen akzeptiert. Das sich um das Klima sorgt.

Israel wird das Land nicht annektieren, sondern sich ein stabiles und freundliches Nachbarland gesichert haben, was das Wichtigste ist. Es wird Grenzen geben und eine gemeinsame Kontrolle darüber, wer und was diese Grenzen überschreitet, gemeinsame Handelsabkommen, gemeinsame Militärabkommen.

Ich bin kein Prophet. Aber ich vermute, dass die Führer vieler arabisch-muslimischer Länder über diese Lösung ziemlich erleichtert wären. Die Zahl der Palästinenser, die in ihre Länder fliehen oder auswandern wollen, würde sinken, wenn sich die politische Lage stabilisiert und die wirtschaftliche Lage verbessert. Natürlich würde es einige geben, die das neue Freie Palästina als „Marionettenregierung“ der Israelis verurteilen würden. Die Türkei, die immer noch das Massaker an den Armeniern leugnet und nun versucht, Teile Syriens unter ihre Kontrolle zu bringen, könnte verärgert sein. Was Katar davon halten würde, kann niemand sagen.

Es gilt, strategisch zu denken. Weder Trump noch Putin werden ewig regieren. Saudi-Arabien will Zugang zu einem Mittelmeerhafen, genauso wie Jordanien. Ägypten will weniger Störungen des Schiffsverkehrs im Roten Meer, die den Suezkanal beeinträchtigen. Ohne die „Palästinenserfrage“ und ohne Angst vor einer Ausbreitung des iranischen oder russischen Einflusses in der Region könnte sich die Lage beruhigen.

Alles, was dazu nötig ist, ist, eine Kommission einzurichten, sich der Unterstützung demokratischer lokaler Führer und Politiker zu versichern, um dann, vermutlich nach vielen Diskussionen hinter den Kulissen, ein freies Palästina auszurufen. Jetzt. Ein Palästina aber, das frei vom Hass und von den Fehlern der Vergangenheit ist.

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9 Kommentare

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  • Wahrscheinlich wäre Dias wirklich eine Lösung, die auch den nationalreligiösen Politikern in Israel viel Wind aus den Segeln nehmen würde. Aber solange so viele selbsternannte Unterstützer nicht vom Status Quo nach vorne, sondern lieber von der eigenen aktuellen Erkenntnis aus nach hinten schauen, hat so ein pragmatischer Ansatz wohl keine Chance. Die deutschen Ostverträge mit ihren guten Folgen waren auch erst möglich, nachdem man nicht mehr darauf bestand, irgendwann alles aus historischen Gründen „heim ins Reich“ zu holen.

  • Eine Zweistaatenlösung wird niemals Frieden bringen, denn dann wird wieder eine extremistische Partei wie die Hamas gewählt werden und es geht alles wieder von vorne los. Sobald ein eigenständiger palästinensischer Staat entsteht, wird der IRAN alles dafür tun, ihn wieder zu einem Terrorstaat umzubauen.

    Frieden kann es nur geben, wenn es einen gemeinsamen palästinensisch-israelischen Staat gibt, in dem die Menschen gleichberechtigt leben können.

  • "Sofern ich nichts übersehen habe, scheint jedoch keines dieser Länder definiert zu haben, wie dieser Staat Palästina verfasst sein soll."



    Ich habe nicht mehr weiter gelesen. Genug Herrenmenschendenken und Kolonialherrengehabe für heute.

    Fühlt man sich als Brite im Jahr 2025 noch zuständig, sich um die Verfasstheit des zukünftigen Staat Palästina zu kümmern, weil Araber unzivilisiert und dazu nicht fähig sind?



    Das war schon die Sicht des Britischen Empire vor 100 Jahren als Palästina sein Mandatsgebiet war. Nur Europäer konnten schließ­lich grosse Kulturvölker sein. Herzl sah das mit den Kulturvölkern auch so, Jabotinsky das mit der Unzivilisiertheit. Das Schicksal der arabischen Bewohner Palästinas war besiegelt.



    Diese grossen Kulturvölker wussten, dass ein jüdischer Staat im arabisch-muslimischen Palästina die Verdrängung und Vertreibung der Einheimischen Palästinas zur Folge haben würde. Aber es interessierte sie nicht. Das hat sich die letzten 100 Jahre auch nicht geändert.

  • Eine Illusion, nicht mehr und nicht weniger

  • Die Darstellung der Geschichte lässt aus, dass die Gründung eines jüdischen Nationalstaats auf einem multiethnisch und multireligiös bewohnten Gebiet nicht möglich war ohne Vertreibung der Mehrheit der Nichtjüdische Bevölkerung und Aufrechterhaltung der Vertreibung bis heute.

    Die Vertreibung hat auch nicht mit der Gründung des Staates Israel im Mai 1948 begonnen.

    Im Übrigen ist es Sache der Palästinenser und Ausdruck ihrer Souveränität, über ihre Verfasstheit selbst zu entscheiden. Der Autor scheint mit seiner Aufzählung andeuten zu wollen, dass Muslime nicht zur Demokratie fähig sind und daher wie Kinder unter Aufsicht gestellt werden müssen.

    Unter Aufsicht gestellt werden sollte meines Erachtens ein Staatsgebilde, das keine Staatsgrenzen anerkennt, das humanitäre Völkerrecht missachtet und seine Staatlichkeit auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe gründet.

    Das vorgeschlagene Konzept erinnert zudem an die von Südafrika geschaffenen Bantustans, die dem herrschenden Staat die volle Kontrolle bei gleichzeitigem Anschein von Eigenständigkeit bieten.

    • @XxmadrugalxX:

      Ihr Verständnis ist spannend, weil der Text eigentlich deutlich das Gegenteil aussagt:

      ",,, Versprechen, Wahlen abzuhalten, das Versprechen, die Rechte der Gläubigen aller Religionen, die Menschenrechte der Einwohner aller Geschlechter und sexueller Orientierung zu respektieren und ein Mehrparteiensystem, eine unabhängige Justiz und eine freie Presse zu gewährleisten."

      Das ist eine Demokratie.

      Unterstriechen wird das noch durch die Parallele zur Erklärung von Ben-Gurion.

      "Es wird Grenzen geben und eine gemeinsame Kontrolle darüber, wer und was diese Grenzen überschreitet, gemeinsame Handelsabkommen, gemeinsame Militärabkommen."

      Das ist ein Staat auf Augenhöhe zu Israel.

      Auf Augenhöhe, weil er die liberalen, demokratischen Werte teilt.

      Ihre Lesart ist fast spannender als der Artikel selbst.

      Übrigens ist in vielen Ländern der Welt die Staatlichkeit auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe gegründet.

      Wollen Sie die alle unter Aufsicht stellen?

      Können wir uns ja gleich mit anmelden.

      • @rero:

        "Versprechen, Wahlen abzuhalten, das Versprechen, die Rechte der Gläubigen aller Religionen, die Menschenrechte der Einwohner aller Geschlechter und sexueller Orientierung zu respektieren und ein Mehrparteiensystem, eine unabhängige Justiz und eine freie Presse zu gewährleisten."

        Warum nicht einen gemeinsamen Staat nach diesen Maßstäben für alle Bewohner Palästinas und Israels schaffen. Mit gleichen Rechten für alle, ungeachtet der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppe?

    • @XxmadrugalxX:

      In der Tat gibt es eine Vielzahl von gut funktionierenden Demokratien in der arabisch-muslimischen Welt, so dass Vorurteile hier völlig unangebracht sind.

  • Grundsätzlich ist das natürlich eine gute Idee, allerdings klammert sie leider auch den Großteil der kritischen Punkte aus (Rückkehrrecht, Status Jerusalems). Dennoch würde ich mir wünschen, es würden mehr und mutigere Schritte in Richtung einer Zweistaatenlösung gegangen.