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Streeck will bei Älteren sparenDie kalte Logik der Bilanzen

Kommentar von

Frederic Valin

CDU-Politiker Hendrik Streeck überlegt öffentlich, ob alte Menschen noch teure Medikamente bekommen sollen. An Menschenwürde denkt er dabei nicht.

Ab welchem Alter werden wir wertlos? Foto: Francesco de Napoli/getty images

D er Sozialdarwinismus neoliberaler Prägung hat die eigentümliche Eigenschaft, sich oft ein Gewand der Menschlichkeit überzuwerfen. Nur das Beste wollend, fordert er die Aufgabe des ersten aller humanistischen Grundsätze. Elias Canetti formulierte ihn einst so: „Jeden Tod hassen, als wäre es der eigene.“

Unter dem Druck einer sich verschlechternden Finanzlage breitet sich der Terror der Bilanzen aus. Ob diese humanistische Grundhaltung überhaupt noch vernünftig sei, ist der Einwand, der immer vorgibt, nur ein Denkanstoß sein zu wollen.

Aktuell exerziert das Hendrik Streeck durch, Virologe, CDU-Politiker und Drogenbeauftragter der Bundesregierung. In gespielter Unschuld fragte er in einer Talkshow auf Welt TV, ob es überhaupt sinnvoll sei, 100-Jährigen teure Medikamente zu geben. Der zugehörige Welt-Artikel sprang ihm mit dem passenden Framing zur Seite: Die Gesundheitsausgaben würden 2024 laut Schätzung des Statistischen Bundesamts rund 538 Milliarden Euro betragen. Das ist ein Anstieg um 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, auch 2025 würde mit steigenden Gesundheitsausgaben gerechnet. Die gesetzlichen Krankenkassen beklagten eine „ungebrochene Ausgabendynamik“.

Sparen oder Ersparen

Wahr ist, dass die letzten sechs Monate eines Menschenlebens statistisch die teuersten sind. Auch wahr ist, dass die Gesundheitsausgaben insgesamt steigen, durch bessere Löhne im Gesundheitsbereich, wachsende Kosten für Medikamente und Sachkosten. Das liegt teilweise am demografischen Wandel, aber auch an der massiven Zunahme chronischer Erkrankungen. Die sind im Übrigen auch Folge einer Pandemie, die durchlaufen zu lassen Hendrik Streeck auch dann für den richtigen Weg hielt, als er dutzendfach des Irrtums überführt wurde.

Der Widerspruch gegen Streecks Vorstoß kam prompt und heftig, selbst die Bundesregierung distanzierte sich.

Es obliegt den Patient*innen, zu entscheiden, ob sie Hilfe annehmen oder ablehnen. Ihnen diese Freiheit zu geben, heißt, ihre Würde zu bewahren.

Das muss auch Streeck aufgefallen sein, der sich zu einem Gastbeitrag im Bonner General Anzeiger genötigt sah: Es gehe nicht ums Sparen, sondern darum, Menschen etwas zu ersparen. Warum er zuvor von „teuren“ Medikamenten sprach, von „lukrativen“ Eingriffen, insgesamt ständig auf die Kosten hinwies – das weiß der Teufel. Die entscheidende Frage sei für ihn: „Verbessert es das Leben? Oder verlängert es das Leiden?“ Man könnte hier von einem instrumentellen Humanismus sprechen: Selbst bei dieser entscheidenden Frage kommt Hendrik Streeck nicht über die kalte Logik der Bilanzen hinaus.

Im Sinne von Staatskasse und Volkswohl

Es ist freilich nicht das erste Mal, dass Hendrik Streeck an der Gesundheitsversorgung sägt. Erst im September 2025 sprach er sich für eine Selbstbeteiligung von Pa­ti­en­t*in­nen bei Behandlungskosten aus. Auch damals war es eine eigenartige Mischung von Dukatenzählerei und vorgeschobenem Gemeinsinn, die seine Argumentation stützte, als er sagte: „Wir müssen uns von einer unsolidarischen Vollkaskomentalität verabschieden. Gesundheit ist keine All-inclusive-Dienstleistung des Staates.“

Was Hendrik Streeck zu begreifen nicht in der Lage zu sein scheint: Es obliegt den Patient*innen, zu entscheiden, ob sie Hilfe annehmen oder ablehnen. Ihnen diese Freiheit zu geben, heißt, ihre Würde zu bewahren. Es heißt nicht, sie unter Druck zu setzen, sich im Sinne der Staatskasse und des Volkswohls zu opfern.

Wenn die Politik eine Grenze zieht, wann wem unter welchen Umständen zu helfen ist, und diese Grenze nicht der Tod ist, wird sie beliebig. Besonders fatal ist dabei, dass Streeck nicht nur als Politiker auftritt, sondern auch als Arzt: Sollten Ärz­t*in­nen nicht die Für­spre­che­r*in­nen der Pa­ti­en­t*in­nen sein? Wäre das im öffentlichen Diskurs nicht die Rolle, die sie auszufüllen hätten? Gerade für jene Patient*innen, die, weil sie zu krank oder zu eingeschränkt sind, öffentlich nicht mehr sprechen können?

Und auch ein Politiker, der im Gesundheitssystem falsche Anreize sieht, würde die Pa­ti­en­t*in­nen­rech­te stärken. Denn falsche Anreize werden nicht von Menschen geschaffen, die leben wollen – so unvernünftig das Streeck auch scheinen mag. Sondern von der Profitorientierung im Gesundheitssystem, die die Union federführend mit zu verantworten hat.

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15 Kommentare

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  • Ganz schwieriges Thema.



    Das jedem unserer Bürger die bestmögliche medizinische Versorgung zukommen soll, ist selbstverständlich bisher.



    Denken zumindest viele.



    Tatsächlich gibt es auch schon heute unterschiedliche Klassen. Neue Behandlungsansätze oder Therapien kommen nur einem ausgewählten Personenkreis zugute - da geht's nach Kriterien der Hersteller.



    Privatpatienten und Selbstzahlern, die bei einer kritischen OP den Chefarzt ans Messer kriegen, wird auch zumindest tendenziell eine bessere Behandlung zu Teil...



    Sowieso können Selbstzahler mit ausreichend Geld heutzutage schon eine Vielzahl von Behandlungen in Anspruch nehmen, die für Otto Normal niemals in Betracht kommen - und, über kurz oder lang, aber Auswirkungen auf die Lebensdauer haben.



    Streeck beschreitet also mit seiner Forderung kein Neuland. Er denkt nur das jetzt schon abgestufte Modell der Betreuungsmöglichkeiten weiter.



    Sture Lebensaltersgrenzen erachte ich für grundfalsch. Ich kann aber auch verstehen, dass eine überalternde Gesellschaft, die immer noch älter wird, 'ungerechte' Kosten für Nachfolgegenerationen anhäuft.



    Medizinisch möglich wird zunehmend um die Frage 'wirtschaftlich sinnvoll' erweitert werden.

  • Jo mei - da legst di nieder.



    Und schlimmer geht immer



    & tritt nach:



    “ Alte Menschen würden nicht selten "tot operiert"“

    Die Würde des Menschen ist halt unfaßbar!



    share.google/xLZ6E3jimsLVGrpbv



    F. K. Waechter

    unterm—they do it a 🥱 / zB Mißfelder CDU



    “… In der Diskussion um die zukünftige Finanzierbarkeit des deutschen Gesundheitssystems fiel Mißfelder 2003 durch einen Vorschlag zur Verbesserung der finanziellen Basis des Gesundheitssystems auf: „Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen.“ Früher seien die Leute schließlich auch auf Krücken gelaufen.“‘



    de.wikipedia.org/w...ipp_Mi%C3%9Ffelder

    Na Mahlzeit



    &



    Der Apfel fällt scheint’s wieder nicht weit vom



    🍐🌳! 🎵 Mein Opa war kein Nazi - wa!



    de.wikipedia.org/wiki/Hans_Streeck



    “ Britta Bode: "Sie logen, daß sich die Balken bogen". In: Welt am Sonntag auf welt.de. 27. März 2005, abgerufen am 28. April 2021:



    “… Dieses ausgezeichnete Zeugnis stellte die IG Farben am 5. Juli 1945 - nach Kriegsende - dem früheren SS-Mann Hans Streeck aus, der an dem Aufbau des IG Werkes in Auschwitz beteiligt war und dort eine eigene Abteilung leit

  • Wenn Fragen zur Menschenwürde konkret werden, sind die Antworten nicht immer logisch.



    In obigem Artikel wird auf die Wahlfreiheit verwiesen. Gerade die letzten 6 Monate eines Menschenlebens folgen jedoch einem anderen Kompass als der Rest unseres Lebens. Sich in Würde vom Leben zu verabschieden ist nur in der palliativen Medizin ein Thema, und nicht mit jeder Erkrankung kommt man als präfinaler Patient für die "Palli" oder das Hospiz infrage.

    Unser Gesundheitssystem enthält viele Fehlanreize für teure Therapien zur Profilierung von Kliniken, und gerade diese werden gern angeboten, wenn Patienten und Angehörige mit dem Abschied vom Leben überfordert sind.

    Ich kenne viele Personen im Gesundheitsbereich (mich inclusive), die genug Leiden gesehen haben, dass sie die Haltung von Herrn Streeck für vernünftig halten, auch für das eigene Leben. Öffentlich darüber zu sprechen ist jedoch ein Tabu.



    Wichtig wäre, statt einer lebens- und leidensverlängernden Therapie eine andere, medikamenten- und gerätearme Möglichkeit eines würdigen Abschieds anzubieten. Noch immer gibt es viel zu wenig Hospizplätze bzw. Lobby für haupt- und ehrenamtliche Hospizarbeit.

    • @Nudel:

      Kann dir nur als Nichtmediziner aber aus persönlichen familiären Erfahrungen zustimmen! Einen Anspruch auf alles technisch mögliche darf es nicht geben oder wir klauen den jungen Menschen ihre Lebensgrundlage durch zu hohe Abgaben. Habe, durch den Artikel angestossen, endlich meinen DGHS Antrag ausgefüllt und abgeschickt. Solange ich noch gesund bin und nicht in der Krankenhausmühle. Wir müssen als Gesellschaft einen anderen Zugang zum Thema Tod und Ableben entwickeln. Alte Philosophen können da helfen.... Und was bisher hier noch nicht angesprochen wurde: alle Parteien jaulen jetzt rum, "wie kann der Streeck nur"..... Und dahinter steckt ganz simpel das Einschleimen bei der grössten Wählergruppe, uns alten Menschen. Wer in diesem Land was initieren will, hat es schwer. Egal wie offensichtlich das Dilemma auf dem Tisch liegt.

  • Die Frage, wo unser Gesundheitssystem ausblutet, muss aber trotzdem gestellt werden. Willkürliche Altersgrenzen sind eine Nebelkerze.

    Wir haben ein auf Profit getrimmtes Gesundheitssystem, das eben nicht das Wohlergehen des Patienten im Zentrum hat.

    Ein befreundeter Arzt, der in einer Rehaklinik arbeitete, erzählte, dass bei ihm immer wieder nicht rehafähige Menschen landeten, die aus den Kliniken, in denen ihnen Hüften, Knie oder sonstwas entlassen wurden, vor sich hin litten. Und mitunter in der Reha verstarben.

    Von anderer Seite berichtete eine angestellte Ärztin, dass sie ihre Stelle verlor, weil sie nicht genügend zur Füllung des Operationssaales beitrug.

    Eine Freundin von mir, mit Krebs im Endstadium, bekam am Tag vor ihrem Tod noch ein MRT des Kopfes. Dazu wurde sie mitten während meines letzten Besuches, zu dem sie noch kurz bei Bewusstsein war, abgeholt.

    Einer weitere Freundin wurde eine Hüftgelenks-OP angeraten, wegen einer schweren Fehlstellung der Hüfte. Zweite Meinung führte zu angepasster Physiotherapie, die auch die Schmerzen löste.

    Und schließlich: Das riesige schwarze Loch Gematik.

    Überflüssig ist viel. Nur nicht notwendigerweise bei den Alten.

    • @Helmut Fuchs:

      P.S. Und dann gibt es noch die Kosten, die das System selbst treibt: Die Hausarztvermittlung von Facharztterminen war eine gute gemeinte Idee. Sowohl Hausärzte als auch Fachärzte werden für vermittelte Termine zusätzlich vergütet.

      Nur gibt es jetzt gar keine "normalen" Termine mehr.

      Früher bekam ich in München normalerweise innerhalb von zwei bis drei Wochen einen Facharzttermin mit einer Überweisung. Jetzt gibt es Termine z.B. für eine Magenspiegelung erst in drei bis vier Monaten. Die Hausarztvermittlung ist halt lukrativer.

  • Ich erlebe häufig Zustimmung für den sogenannten Sozialdarwinismus, von Menschen die selbst schon auf die Sozialgemeinschaft angewiesen waren, sind, oder zumindest sehr wahrscheinlich sein werden. Die Welt die sich aus Forderungen wie denen des Herrn Streeck ergibt, sie wird nicht zuende gedacht.

  • Der Herr Streeck und wahrscheinlich auch der Rest der CDU adaptiert die Strategie der AfD. Provozieren und Aufregung produzieren. So bleibt man im Gespräch und es fließen die Spenden der reichen Klientel.



    Was die Ideen des Herrn Streeck angeht, wundere ich mich, dass er es nicht noch mit der tollen neuen Gerechtigkeitsidee der Christdemokratie kombiniert hat: Dem Los.



    Medizinische Versorgung wird demnächst verlost. Etwas gerechteres gibt es doch schließlich nicht.

    • @Nansen:

      Dieses Losverfahren existiert doch schon längst - je nachdem wo du geboren wirst oder lebst, erhälst du medizinische Versorgung oder nicht...🤷



      Die Grenzen im Heute sind halt Landesgrenzen.

      • @Saskia Brehn:

        Sie verwechseln Mal wieder was. Diesmal Systemversagen mit Schicksal/Zufall.

  • Danke für den Kommentar. Sehe ich genauso.

  • Herr Streeck ist Drogenbeauftragter der Bundesregierung. Bei der Äußerung darf man sich schon fragen, ob Selbstversuche zum Jobprofil dazugehören. Empathieverlust ist ja durchaus eine Nebenwirkung des Konsums.

  • Da fragt man sich, ob manche Leute ihren Stuss bis zu Ende durchdenken, ob Herr Streeck das Ganze schon einmal mit seinen Eltern besprochen hat oder ob er einfach mal so einen Gedanken öffentlich raushaut, der ihn beim morgendlichen Duschen überkam.



    Auch ich sage nur: GG Art. 1-3! Diese Artikel des Grundgesetzes sollte jeder CDU-Politiker auswendig kennen, auch wenn er kein Jurist ist.

    • @Aurego:

      Er hat auch an seine Eltern gedacht, und spricht explizit von den letzten Monaten seines Vaters.

      • @Nudel:

        Die Würde des Menschen verlangt, dass die Menschen selbst bestimmen können, was getan oder unterlassen wird, auch wenn es die eigenen Eltern sind.



        Beachten wir diesen Grundsatz nicht und verweigern wir Menschen ab einem bestimmten Alter bestimmte Behandlungen, wird das Ergebnis Sozialdarwinismus sein: Wer es sich leisten kann, lässt sich behandeln, die anderen ließe man unbehandelt sterben.