Filme über den Irakkrieg: Das Trauma in der Halbzeit

„Die irre Heldentour des Billy Lynn“ von Ang Lee zeigt die irritierende Begegnung von US-Kriegsveteranen mit der Wirklichkeit.

Auf einer Riesenleinwand ist ein Soldat zu sehen, darunter tanzen Cheerleader

Cheerleader und Soldaten. Sieht so der amerikanische Traum aus? Foto: Fox

Ein kurzer Moment im Oktober 2004, in dem der US-Soldat Billy Lynn seinem verwundeten Sergeant im Irakkrieg zu Hilfe eilt, katapultiert ihn und seine Einheit in die Vorhölle medial verwursteten Heldentums. Unter dem fiktiven, aber gut vermarktbaren Namen „Bravo Squad“ lässt das US-Militär die Einheit durch die USA tingeln – anderthalb Jahre, nachdem George „Dubya“ Bush zum allseitigen Amüsement im Strampelanzug auf einem Flugzeugträger verkündet hatte: „Mission accomplished“. Am letzten Tag der Tour wird die Einheit zu einem Heimspiel der Dallas Cowboys an Thanksgiving gekarrt, um in der Pause einen kurzen Auftritt zu absolvieren.

Der neueste Film des Mitte der 1990er Jahre nach Hollywood übergesiedelten taiwanesischen Regisseurs Ang Lee, „Billy Lynn’s Long Halftime Walk“ (der etwas dümmliche deutsche Titel „Die irre Heldentour des Billy Lynn“ erinnert eher an eine 1980er-Komödie von Zucker, Abrahams & Zucker), kreist um die schwierigen und irritierenden Begegnungen zwischen den jungen Soldaten und der zivilen Welt der USA, die allem ausgestellten Support-our-troops-Patrio­tismus zum Trotz den Krieg längst abgeschrieben hat.

Die einzige Ausnahme ist Billy Lynns Schwester Kathryn. Kaum einer der Soldaten ist so recht aus Überzeugung in die Army gegangen, für Billy Lynn war sie der einfachste Ausweg, nachdem er den Wagen des Exfreunds seiner Schwester auseinandergenommen hatte, als dieser die Schwester nach einem schweren Autounfall einfach sitzengelassen hat. Kathryn bittet nun Billy, den Heimatbesuch zu nutzen, um aus der Army auszuscheiden. Mit gutem Grund: Für Billy beginnt schon mit der Einfahrt ins Stadion eine Reihe von traumatischen Erinnerungen, immer wieder schieben sich Bilder aus dem Einsatz im Irakkrieg über die Wirklichkeit.

Die Komplexität des Zivilen

Inmitten all des Trubels im Stadion, zwischen all den Erinnerungen, die die Konfrontation mit einer Wirklichkeit ohne Bedrohung in Billy wachrufen, der SMS-Kommunikation mit seiner Schwester und einer der Cheerleaderinnen, mit der er am Rande einer Pressekonferenz Sex hatte, sucht er nach Antworten auf die Komplexität des Zivilen, mit der er sich auf einmal konfrontiert sieht.

Das Erstaulichste an „Billy Lynn’s Long Halftime Walk“ ist, dass es Ang Lee und seinem Bildgestalter John Toll gelingt, dem Film Konzentration und Intimität zu geben, obwohl er über weite Strecken im Inneren des Stadions spielt und die Protagonisten nicht selten von Menschenmassen umgeben sind. Dies gelingt, indem der Film immer wieder nah an die Protagonisten heranrückt und das innere Drama in Billy Lynn nicht selten in Großaufnahmen einfängt.

Geschickt transponiert der Film dieses individuelle Psychogramm ins Allgemeine: durch die Figuren des Dramas, vor allem durch Billy Lynn und die Cheerleaderin Faison, in deren Begegnung das all-American couple aus Quarterback und Cheerleaderin anklingt; durch die Geschichten von Billys Kollegen, in denen der zerstörte amerikanische Traum mit der Armee als einzigem Ausweg endet; durch Details wie das popkulturelle Symbol des Irakkriegs (wenn auch des ersten aus den 1990er Jahren) schlechthin – die Hummerlimousine, in der die Soldaten zum Stadion gefahren werden – und schließlich, indem Billys Einheit einer der berühmtesten Einheiten des amerikanischen Militärs angehört: jener 1st Infantry Division, der Big Red One, der Samuel Fuller nach dem Zweiten Weltkrieg ein filmisches Denkmal setzte.

Irak als austauschbarer Schauplatz

Blickt man zurück auf die Filmgeschichte des Irakkriegs, kommt man nicht um die Feststellung herum, dass Ang Lee mit „Billy Lynn’s Long Halftime Walk“ einer der interessantesten und nuanciertesten amerikanischen Filme zum Irakkrieg gelungen ist. Zugleich fällt jedoch auf, dass der Film rein gar nichts zum Irakkrieg aussagt, sondern diesen als relativ austauschbar, als einen möglichen Schauplatz möglichen militärischen Heldentums inszeniert.

In einer Zeit, in der mit dem sogenannten „Islamischen Staat“ das Desaster des von den USA geführten Einmarschs in den Irak deutlicher denn je ist, verblüfft das ein wenig. Doch die meisten amerikanischen Filme zum Irakkrieg handeln nur am Rande von dem Land, in dem der Krieg stattfindet.

Ang Lee und seinem Bildgestalter John Toll gelingt es, dem Film Konzentration und Intimität zu geben – obwohl er über im Inneren des Stadions spielt und die Protagonisten nicht selten von Menschenmassen umgeben sind

Um nur zwei der bekanntesten Beispiele zu nennen: Sowohl Brian De Palmas „Redacted“ von 2007, der von einem der in den USA bekanntesten Verbrechen handelt, das US-Soldaten während des Irakkriegs begingen, als auch die HBO-Miniserie „Generation Kill“ über die Einheit der US-Marines, die als erste in den Irak vorrückte, interessieren sich weit mehr für die Konflikte innerhalb des US-Militärs. Weder der erlogene Kriegsgrund, noch das nicht vorhandene Wissen über den Irak, noch das absolutistische Gebahren des US-Statthalters im Irak, Paul Bremer, spielen in diesen Filmen eine Rolle. Eine der wenigen Ausnahmen ist der Dokumentarfilm „My Country, my Country“, den Laura Poitras 2006 drehte.

Indem Poitras’ Film der Kritik eines irakischen Arztes Raum gibt, entsteht ein gänzlich anderes Bild der amerikanischen Besetzung des Iraks. Ein Bild, das dem in arabischen Filmen zum Irakkrieg wie dem Dokumentarfilm „Homeland: Iraq Year Zero“ von Abbas Fahdel von 2015 deutlich näher ist. Fahdels Film dokumentiert den Alltag im Irak während der 18 Monate vom Februar 2002 bis Juli 2003. Der Film ist eine der konzisesten Annäherungen an die irakische Wahrnehmung des Kriegs, bricht aber leider recht bald nach dem offiziellen Ende des Kriegs ab.

Dafür schließt Kasim Abids „Hayat ma Ba’ed al Suqut“ („Life after the Fall“) fast nahtlos daran an. Abid reist kurz nach dem Ende des Kriegs durch den Irak und dokumentiert in seinen Begegnungen mit der Bevölkerung des Iraks das Zerschmelzen der Hoffnungen auf eine bessere Zukunft ohne Saddam Hussein und nach dem Ende des Kriegs. Gemeinsam mit der Filmemacherin Maysoon Pachachi hat Kasim Abid in Bagdad das Independent Film & Television College gegründet, eine unabhängige Filmschule. Aus dem Umfeld der Filmschule sind eine ganze Reihe von Filmen hervorgegangen, die den Alltag im Irak der letzten zehn Jahre dokumentieren.

Die Scherben aneinander legen

Viele andere arabische Produktionen gehen fragmentarischer vor, scheinen eher die Scherben aufzuklauben und aneinanderzulegen, ohne dass sich recht ein Bild einstellt: Bassem Fayads „Ma Hataftu li Ghayriha“ („Road Beyond Sunset“) dokumentiert 2004 die erste Begegnung des im Libanon aufgewachsenen Regisseurs mit dem Irak nach dem Krieg.

Während die Fragmente der Reise sich eher zum Bild eines zerrissenen Landes fügen, endet der Film überraschend hoffnungsfroh für die Zukunft des Iraks. Umso beeindruckender, dass die Aufnahmen Fayads aus dem irakischen Norden durch die Verheerungen des sogenannten „Islamischen Staates“ rückblickend beinahe den Charakter eines Requiems für eine Landschaft und ihre Bewohner bekommen. Und Koutaiba Al Janabis „Leaving Baghdad“ erzählt anhand der fiktiven Figur des persönlichen Kameramannes von Saddam Hussein und dessen Flucht vor der irakischen Geheimpolizei durch Europa von der Repression unter Saddam Hussein.

„Die irre Heldentour des Billy Lynn“. Regie: Ang Lee. Mit Joe Alwyn, Kristen Stewart u. a.; USA/Großbritannien/China 2016, 117 Min.

Man versteht, dass Ang Lee wie andere Regisseure in den USA vor ihm sich schwertun, den Fehler des Irakkriegs in die Handlung der Filme einzubeziehen. Im Fall von „Billy Lynn’s Long Halftime Walk“ hätte es den Film vermutlich dennoch gestärkt, indem der Film dann gezeigt hätte, dass auch die Diskussion über einen desaströsen Fehler wie den Irakkrieg nicht auf dem Rücken der Soldaten ausgetragen werden sollte, die das Pech haben, in diesen Krieg geschickt zu werden. Das wiederum konnte man schon aus Heidi Specognas Dokumentarfilm „Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez“ von 2006 lernen.

Der Autor dankt Irit Neidhardt vom Verleih mec film für Hinweise zur arabischen Filmgeschichte des Irakkriegs.

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