Der Taktgeber beim Berlin Marathoon: Christian Pohl, die Zeitmaschine

Formschwankungen kennen sie nicht, das Ziel erreichen sie absolut berechenbar: Zugläufer wie Christian Pohl absolvieren die Strecke punktgenau in vorgegebener Zeit

Der Mann mit dem Ballon: Christian Pohl will nach drei Stunden, null Minuten und null Sekunden das Marathon-Ziel erreichen Bild: privat

Christian Pohl kennt diese trügerischen Gefühle beim Marathon. Das eine Mal wähnt man sich in bester Form und bleibt weit über dem selbst gesetzten Zeitlimit. Das andere Mal läuft man so schnell wie noch nie, obwohl man sich anfangs schrecklich quälen musste. Die Folgen der Wellentäler, die die Läufer während eines Marathons durchleben, sind nicht kalkulierbar.

Pohl aber steht am Sonntag beim 37. Berliner Marathon für die Berechenbarkeit schlechthin. Er zählt zu den 20 Zug- und Bremsläufern, die in der Masse der mehr als 40.000 Teilnehmern dadurch auffallen, dass sie per Schnur mit einem Luftballon verbunden sind. Wer von Pohls Seite nicht weicht, wird die Ziellinie am Brandenburger Tor mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach drei Stunden, null Minuten und null Sekunden überqueren. So wie es auf seinem Ballon geschrieben steht. "Man hat natürlich den Ehrgeiz, eine Punktlandung zu schaffen. Bis auf eine Ausnahme, als es unglaublich heiß war, ist mir das bislang auch immer gelungen", sagt Pohl.

Zu den Wettkämpfen des 37. Berlin-Marathons am Wochenende werden insgesamt rund 70.000 Teilnehmer erwartet. Darunter sind knapp 41.000 Läufer die am Sonntag an den Start gehen, rund 10.000 Schüler beim Mini-Marathon, 11.000 Sportler beim Frühstückslauf sowie rund 1.000 Kinder beim Bambinilauf, wie der Veranstalter SCC Running mitteilte. Außerdem gibt es unter anderem Wettkämpfe für Inline-Skater, Power-Walker sowie Rollstuhl- und Handbikefahrer. An den Strecken werden insgesamt rund eine Million Zuschauer erwartet.

Die Starter im sogenannten Elitefeld beim Marathon am Sonntag sind nach Angaben der Veranstalter Weltklasse. Angekündigt sind unter anderen die beiden schnellsten Marathonläufer des Jahres, Patrick Makau und Geoffrey Mutai (beide Kenia).

Der Start des klassischen 42,195-Kilometer-Laufs befindet sich auf der Straße des 17. Juni, das Ziel ist westlich des Brandenburger Tores. Die Route führt unter anderem über Karl-Marx-Allee, Kottbusser Damm, Gneisenaustraße, Hohenzollerndamm, Kurfürstendamm, Tauentzien sowie Potsdamer und Leipziger Straße.

In der Innenstadt gibt es der Polizei zufolge weiträumige Sperrungen und Verkehrsbeeinträchtigungen. Empfohlen wird, nach Möglichkeit öffentliche Verkehrsmittel, insbesondere U- und S-Bahn, zu nutzen. Wer nicht auf das Auto verzichten kann, sollte auf die Autobahn ausweichen. Zum Queren der Veranstaltungsstrecke kann der Autotunnel Grunerstraße genutzt werden. Auch der Tiergartentunnel wird ohne Einschränkungen befahrbar sein. Der Marathon wird am Sonntag von 8.30 bis 12.00 Uhr im Fernsehsender n-tv live übertragen.

Weitere Infos unter: berlin-marathon.de

Wie ein Uhrwerk müsse er laufen, sagt der 47-Jährige aus Steglitz, genau 14,06 Kilometer pro Stunde. Eine Präzisionsarbeit, die der Klavierbauer seit zehn Jahren verrichtet, seit man beim Berlin-Marathon das Angebot der Zug- und Bremsläufer eingeführt hat.

"Es ist einer der wenigen Sachen, die wir uns in Berlin von anderen abgeguckt haben", sagt John Kunkeler, der für die Organisation der Pacemaker verantwortlich ist. Die Idee, Taktgeber für Hobbyläufer einzuführen, hatten die Veranstalter eines kleinen Marathons im Münsterland. Kunkeler spricht von einem Überangebot an Bewerbern in Berlin, nur für die ambitionierte 3-Stunden-Marke gebe es wenige Kandidaten. Als Qualifikation müssten diese nämlich nachweisen, dass sie eine halbe Stunde schneller laufen können.

Doch worin liegt der Reiz für einen passionierten Ausdauersportler, seine Geschwindigkeit freiwillig zu drosseln? Pohl sagt, dass sich der Berlin-Marathon schon des Öfteren als gute Vorbereitung auf einen schweren Berglauf im Spätherbst erwiesen habe. Außerdem mache es ihm Spaß, eine Läufergruppe zu führen. Bei der Zielankunft erhalte er jedes Mal vielfach positive Rückmeldung aus dem internationalen Teilnehmerfeld. "Great job!" und "Thank you!" würden ihm die Leute zurufen. Manch ein Euphorisierter würde ihn gar umarmen. Vom Veranstalter bekommt man die Startgebühr erlassen und das vom Sponsor gestiftete Lauftrikot darf man mitnehmen.

Drei Stunden ist für einen Hobbyläufer eine schnelle Marathonzeit. Dennoch hält Christian Pohl gerade auch seine Bremsfunktion für bedeutsam: "Beim Berlin-Marathon mit den vielen Zuschauern und den Musikbands an der Strecke gibt es viele emotionale Momente. Da fühlt man sich plötzlich ganz leicht und beschleunigt dann das Tempo. Das rächt sich später."

Pohl dagegen läuft unbeeindruckt vom äußeren Geschehen die 14,06 Kilometer pro Stunde, die ihm seine GPS-Uhr anzeigt. Könnte nicht jeder nach seinem Geschwindigkeitsanzeiger laufen? "Allein nur mit der Uhr laufen ist unheimlich schwierig", sagt Pohl. "Es ist psychologisch viel einfacher, wenn man sich an jemand dranhängen kann."

Die Marathon-Strecken durch Berlin Bild: Infotext

Als Pohl seine Zug-und-Bremsläufer-Karriere in Berlin anfing, wurde das mit den Qualifikationsbelegen nicht so streng gehandhabt. Seine Bestzeit liegt nur zehn Minuten unter der 3-Stunden-Marke. "Aber diese paar Minuten trennen Läuferwelten voneinander" erklärt Pohl.

"Läuferwelten" trennen nicht nur die Minuten. Pohl hat beim Berliner Marathon bislang unterschiedliche Zeitmarken bedient und Mentalitätsunterschiede ausgemacht. Bei der 3-Stunden-Gruppe gehe es ernst und professionell zu. Bei denen, die sich 3:30 Stunden zum Ziel setzten, seien häufig welche dabei, die ihr Vorhaben trotz wenig Training mit der Brechstange erzwingen wollen. "Manche müssen sich dann gar übergeben. Das sind keine schönen Bilder", berichtet Pohl. Entspannt und nett hingegen seien bislang immer die 4-Stunden-Läufer gewesen. Allerdings sei er es nicht gewohnt, so lange zu laufen. "Das ist für mich letztlich anstrengender, als den Marathon in drei Stunden zu laufen."

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