Kommentar Roma in der EU: Bürger zweiter Klasse

Angela Merkels Bundesregierung verhindert die Verabschiedung einer EU-Richtlinie - und macht sich mitschuldig, wenn Roma in Europa Bürger zweiter Klasse bleiben.

Ältere Roma in Mittel- und Osteuropa erinnern sich zuweilen nostalgisch an die kommunistische Herrschaft, als sie allesamt in Schulen und Fabriken geschickt wurden. Der Sozialismus unterschied - zumindest in der Theorie - nicht nach Minderheiten. Anfeindungen gab es aber auch damals. Und das zwangsweise Sesshaftmachen durch den Realsozialismus hat ebenfalls seine Traumata hinterlassen.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs jedoch brachen die Ressentiments offen aus. Gezielte Morde wie in Ungarn, Mauerbau gegen Roma-Siedlungen wie in Tschechien, Pogrome wie in Rumänien konnten passieren, weil die Mehrheitsgesellschaft nicht protestierte. Selbst in westlichen Ländern wie Italien weiß mancher Bürgermeister das Volk hinter sich, wenn er Roma-Siedlungen zwangsräumen lässt und die unerwünschten Mitbürger an den Stadtrand verfrachtet, wo nicht einmal eine Busanbindung ins Zentrum besteht.

Die patriarchalen Strukturen der Roma mögen uns nicht gefallen. Auch "Zigeunerkriminalität" gibt es zweifellos. Doch hier greifen Strafgesetze, die für alle gelten. Bürgerwehren helfen genauso wenig, eine ausgegrenzte Minderheit an die Mehrheit heranzuführen, wie die kollektive Einweisung von Roma-Kindern in Sonderschulen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich zwar im Kampf gegen solche Diskriminierungen Verdienste erworben, doch seine Mühlen mahlen langsam. Und die verurteilten Staaten lassen sich Zeit, die Urteilssprüche umzusetzen.

Roma leben in fast allen Staaten der EU. Es liegt deswegen nahe, den Umgang mit dieser insgesamt größten Minderheit nicht den Nationalstaaten zu überlassen. Da verwundert es schon, wenn Staaten, die eine moralische Führungsrolle in Europa beanspruchen, mit zweierlei Maß messen. So gab sich Deutschland vor zwei Jahren zwar ein vorbildliches Antidiskriminierungsgesetz, das ethnische und religiöse Minderheiten ebenso schützt wie etwa Homosexuelle oder Behinderte. Doch verhindert Angela Merkels Bundesregierung gleichzeitig die Verabschiedung einer europäischen Richtlinie mit derselben Stoßrichtung. Amnesty International spricht jetzt von einem "verheerenden Signal". Über die Motive dieser Blockadepolitik kann man nur spekulieren. Aber Deutschland macht sich mitschuldig, wenn Roma in Europa Bürger zweiter Klasse bleiben.

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*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.

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