Abhörskandal in Griechenland: Angriff auf Pressefreiheit

Der frühere Generalsekretär des griechischen Premiers Mitsotakis klagt gegen Athener Medien. Sie berichteten über Beziehungen zu einer Spyware-Firma.

Grigoris Dimitriadis lächelt verschmitzt und hebt die Hände

Grigoris Dimitriadis ist sauer. Er fordert 550.000 Euro wegen Verleumdung von zwei Athener Medien und drei Journalisten Foto: George Kontarinis/picture alliance

ATHEN taz | Er fordert 550.000 Euro wegen Verleumdung von zwei Athener Medien und drei Journalisten. Doch vor Gericht erschien er nicht. Grigoris Dimitriadis, Rechtsanwalt, vom 11. Juli 2019 bis zum 5. August 2022 omnipotenter Generalsekretär im Büro des griechischen Premiers Kyriakos Mitsotakis und dessen Neffe, zog es vor, sich am Donnerstag bei der Verhandlung in erster Instanz am Landgericht Athen von zwei Rechtsanwälten vertreten zu lassen. Für ihn sagte eine Zeugin aus, die für seine Kanzlei tätig ist. Auf Schlüsselfragen der Verteidigung erwiderte sie: „Das weiß ich nicht.“

Mehr wussten die Athener Tageszeitung Efsyn, wie die taz eine Genossenschaft, sowie die Athener Investigativplattform Reporters United mit ihrem gleichnamigen Webauftritt. Mit zwei aufwendig recherchierten Enthüllungsgeschichten brachten sie Licht ins Dunkel des gewaltigen Athener Abhörskandals – und Dimitriadis ebenso auf die Palme.

Der erste Beitrag vom 3. Juni 2022 trägt den Titel „Großer Neffe und großer Bruder“. Darin wird aufgezeigt, dass Dimitriadis Ende 2019 „trotz der Unvereinbarkeit mit dem Gesetz“ eine geschäftliche Tätigkeit aufgenommen habe, so Efsyn und Reporters United.

Im Detail wird dokumentiert, wie bestimmte Personen, mit denen Dimitriadis zu tun hatte, direkt oder indirekt mit den Firmen verbunden sind, die die berüchtigte Spähsoftware Predator vertreiben. Dimitriades bestreitet die Vorwürfe und bezeichnet dies als „eine Aneinanderreihung von Behauptungen und Szenarien“. Gegenüber Reporters United erklärte er: „Meine Investitionen sind völlig legal“.

Auszeichnung mit SLAPP-Preis

Efsyn und Reporters United ließen aber nicht locker. Am 4. August 2022 folgte die zweite Enthüllungsgeschichte mit dem Titel „Wand an Wand mit Predator“. Hintergrund dafür ist, dass in Griechenland in der ersten Amtsperiode der konservativen Regierung Mitsotakis mutmaßlich mehr als einhundert Politiker, Militärangehörige, Unternehmer sowie Journalisten überwacht worden sein sollen.

Am 5. August 2022, einen Tag nach der Publikation des zweiten Artikels, trat Dimitriadis von seinem Posten zurück. Die 49-seitige Klage, die der taz vorliegt, ist datiert auf den 4. August, dem letzten Tag, an dem Dimitriadis als rechte Hand von Premier Mitsotakis fungierte.

Zahlreiche internationale Organisationen für Meinungs- und Medienfreiheit haben Dimitriadis' Klage als „Strategische Klage gegen die öffentliche Beteiligung“ (kurz:„SLAPP“) verurteilt. Sie ziele darauf ab, kritische Berichterstattung zu unterdrücken. Im Oktober 2022 wurde Dimitriadis mit dem europäischen SLAPP-Preis ausgezeichnet. Aufrufe, die Klage zurückzuziehen, ignoriert er beharrlich.

Eingeschränkte Medienfreiheit in Griechenland

Bei der Gerichtsverhandlung in Athen hatte die Verteidigung mehrere Zeugen benannt, darunter Verfassungsrechtler und Investigativjournalisten. „Die Veröffentlichungen sind äußerst sorgfältig. Ich würde sie meinen Studenten als Beispiel für einen Text zeigen, der nicht als verleumderisch anzusehen ist“, sagte der Verfassungsrechtler Nikos Alevizatos.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die hiesige Medienfreiheit. Griechenland belegt in der Weltrangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF) den beschämenden Platz 107.

Ob ein gigantischer Pharmaskandal, das verheerende Zugunglück im zentralgriechischen Tempital mit 57 Toten oder eben der ominöse Athener Abhörskandal: stets vertuschen Mitsotakis und Co. zudem mit ihrer Mehrheit in den parlamentarischen U-Ausschüssen nach Kräften. Wichtige Zeugen werden nicht geladen, Beweise nicht geprüft – oder kurzerhand vernichtet. Die Untersuchungen verlaufen im Sande, keiner wird bestraft.

Weitere Klage gegen Athener Medien

Auffällig ineffizient ist auch die griechische Justiz. Als der im Athener Abhörskandal mit den Ermittlungen beauftragte Athener Staatsanwalt dem Vernehmen nach so weit war, Strafverfahren einzuleiten, entzog ihm die Oberste Staatsanwältin, Georgia Adeilini, plötzlich die Ermittlungsakte. Die Höchstrichterin ist von der Regierung Mitsotakis ernannt. Seither ist in der heiklen Causa nichts passiert.

Zurück zu Dimitriadis: im November 2023 reichte der Premier-Neffe eine zweite Klage ein. Sie richtet sich erneut gegen Efsyn und Reporters United. Darin verlangt er diesmal einen Schadenersatz von 3,3 Millionen Euro und die Entfernung weiterer Artikel, in denen über seine angebliche Verwicklung in den Abhörskandal berichtet wurde.

Nikolas Leontopoulos, Mitbegründer und Autor von Reporter United, sagte der taz: „Dimitriadis hat das gute Recht, zu klagen. Gewinnen werden aber wir.“

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